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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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ponierten und eingeengten Stellung mit grösster Intensität auf den
Gelderwerb, wie die Quäker in England. Vom Gelderwerb als solchem
kann man, weil eben alle möglichen Wege gleichmässig zu ihm führen,
am wenigsten jemanden prinzipiell ausschliessen. Vom reinen Geld-
geschäft deshalb nicht, weil es weniger technische Vorbedingungen be-
darf, als jeder andere Erwerb und sich deshalb leichter der Kontrolle
und dem Eingriff entzieht, und zudem, weil der Geldbedürftige in
der Regel in einer Notlage ist, in der er schliesslich auch die sonst
verachtetste Persönlichkeit und den sonst gemiedensten Schlupfwinkel
aufsucht. Und weil der in irgend einem Sinne Rechtlose grade vom
Gebiet der blossen Geldinteressen nicht fernzuhalten ist, entsteht
zwischen beiden Bestimmungen eine Assoziation, die in mehrfachen
Richtungen wirksam wird: so droht einerseits dem blossen Geldmenschen
leicht eine soziale Deklassierung, deren Fühlbarkeit er oft nur durch
seine Macht und Unentbehrlichkeit entgeht, und so wurde andrerseits
den fahrenden Leuten des Mittelalters, die allenthalben schlechtes Recht
hatten, doch in Geldsachen unparteilich Recht gemessen. Eben der-
selbe Erfolg muss eintreten, wenn die Ausschliessung sozialer Elemente
von den Rechten und Genüssen der Vollbürger nicht mehr durch ju-
ristische oder ihnen sonst oktroyierte Bestimmungen, sondern durch
freiwilligen Verzicht ihrerseits geschieht. Als die Quäker schon die
volle politische Gleichberechtigung hatten, schlossen sie sich selbst von
den Interessen der Anderen aus: sie schwuren nicht, konnten also
keine öffentlichen Ämter übernehmen, sie verschmähten alles, was mit
dem Schmuck des Lebens zusammenhängt, sogar den Sport, sie mussten
sogar den Landbau aufgeben, weil sie den Kirchenzehnten verweigerten.
So waren sie, um überhaupt noch ein äusseres Lebensinteresse zu
haben, auf das Geld hingewiesen, als auf das einzige, zu dem sie sich
den Zugang nicht versperrt hatten. Ganz entsprechend hat man über
das herrenhuterische Leben bemerkt, dass ihm aller ideale Gehalt von
Wissenschaften, Künsten, heiterer Geselligkeit fehle und so neben dem
religiösen Interesse nur noch die nackte Erwerbslust als praktischen
Impuls bestehen lasse. Die Betriebsamkeit und Habsucht vieler Herren-
huter und Pietisten sei deshalb kein Anzeichen von Heuchelei, sondern
von einem kranken, vor den Kulturinteressen flüchtigen Christentum, von
einer Frömmigkeit, die nichts irdisch Hohes neben sich duldet, sondern
eher noch ein irdisch Niedriges. Macht jene nicht zu raubende Mög-
lichkeit schon das Geldgeschäft zur ultima ratio sozial benachteiligter
und bedrückter Elemente, so wirkt für sie positiv noch die Macht des
Geldes, Stellungen, Einfluss, Genüsse noch da zu gewinnen, wo man
von gewissen direkten Mitteln des sozialen Ranges: der Beamten-

ponierten und eingeengten Stellung mit gröſster Intensität auf den
Gelderwerb, wie die Quäker in England. Vom Gelderwerb als solchem
kann man, weil eben alle möglichen Wege gleichmäſsig zu ihm führen,
am wenigsten jemanden prinzipiell ausschlieſsen. Vom reinen Geld-
geschäft deshalb nicht, weil es weniger technische Vorbedingungen be-
darf, als jeder andere Erwerb und sich deshalb leichter der Kontrolle
und dem Eingriff entzieht, und zudem, weil der Geldbedürftige in
der Regel in einer Notlage ist, in der er schlieſslich auch die sonst
verachtetste Persönlichkeit und den sonst gemiedensten Schlupfwinkel
aufsucht. Und weil der in irgend einem Sinne Rechtlose grade vom
Gebiet der bloſsen Geldinteressen nicht fernzuhalten ist, entsteht
zwischen beiden Bestimmungen eine Assoziation, die in mehrfachen
Richtungen wirksam wird: so droht einerseits dem bloſsen Geldmenschen
leicht eine soziale Deklassierung, deren Fühlbarkeit er oft nur durch
seine Macht und Unentbehrlichkeit entgeht, und so wurde andrerseits
den fahrenden Leuten des Mittelalters, die allenthalben schlechtes Recht
hatten, doch in Geldsachen unparteilich Recht gemessen. Eben der-
selbe Erfolg muſs eintreten, wenn die Ausschlieſsung sozialer Elemente
von den Rechten und Genüssen der Vollbürger nicht mehr durch ju-
ristische oder ihnen sonst oktroyierte Bestimmungen, sondern durch
freiwilligen Verzicht ihrerseits geschieht. Als die Quäker schon die
volle politische Gleichberechtigung hatten, schlossen sie sich selbst von
den Interessen der Anderen aus: sie schwuren nicht, konnten also
keine öffentlichen Ämter übernehmen, sie verschmähten alles, was mit
dem Schmuck des Lebens zusammenhängt, sogar den Sport, sie muſsten
sogar den Landbau aufgeben, weil sie den Kirchenzehnten verweigerten.
So waren sie, um überhaupt noch ein äuſseres Lebensinteresse zu
haben, auf das Geld hingewiesen, als auf das einzige, zu dem sie sich
den Zugang nicht versperrt hatten. Ganz entsprechend hat man über
das herrenhuterische Leben bemerkt, daſs ihm aller ideale Gehalt von
Wissenschaften, Künsten, heiterer Geselligkeit fehle und so neben dem
religiösen Interesse nur noch die nackte Erwerbslust als praktischen
Impuls bestehen lasse. Die Betriebsamkeit und Habsucht vieler Herren-
huter und Pietisten sei deshalb kein Anzeichen von Heuchelei, sondern
von einem kranken, vor den Kulturinteressen flüchtigen Christentum, von
einer Frömmigkeit, die nichts irdisch Hohes neben sich duldet, sondern
eher noch ein irdisch Niedriges. Macht jene nicht zu raubende Mög-
lichkeit schon das Geldgeschäft zur ultima ratio sozial benachteiligter
und bedrückter Elemente, so wirkt für sie positiv noch die Macht des
Geldes, Stellungen, Einfluſs, Genüsse noch da zu gewinnen, wo man
von gewissen direkten Mitteln des sozialen Ranges: der Beamten-

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[205/0229] ponierten und eingeengten Stellung mit gröſster Intensität auf den Gelderwerb, wie die Quäker in England. Vom Gelderwerb als solchem kann man, weil eben alle möglichen Wege gleichmäſsig zu ihm führen, am wenigsten jemanden prinzipiell ausschlieſsen. Vom reinen Geld- geschäft deshalb nicht, weil es weniger technische Vorbedingungen be- darf, als jeder andere Erwerb und sich deshalb leichter der Kontrolle und dem Eingriff entzieht, und zudem, weil der Geldbedürftige in der Regel in einer Notlage ist, in der er schlieſslich auch die sonst verachtetste Persönlichkeit und den sonst gemiedensten Schlupfwinkel aufsucht. Und weil der in irgend einem Sinne Rechtlose grade vom Gebiet der bloſsen Geldinteressen nicht fernzuhalten ist, entsteht zwischen beiden Bestimmungen eine Assoziation, die in mehrfachen Richtungen wirksam wird: so droht einerseits dem bloſsen Geldmenschen leicht eine soziale Deklassierung, deren Fühlbarkeit er oft nur durch seine Macht und Unentbehrlichkeit entgeht, und so wurde andrerseits den fahrenden Leuten des Mittelalters, die allenthalben schlechtes Recht hatten, doch in Geldsachen unparteilich Recht gemessen. Eben der- selbe Erfolg muſs eintreten, wenn die Ausschlieſsung sozialer Elemente von den Rechten und Genüssen der Vollbürger nicht mehr durch ju- ristische oder ihnen sonst oktroyierte Bestimmungen, sondern durch freiwilligen Verzicht ihrerseits geschieht. Als die Quäker schon die volle politische Gleichberechtigung hatten, schlossen sie sich selbst von den Interessen der Anderen aus: sie schwuren nicht, konnten also keine öffentlichen Ämter übernehmen, sie verschmähten alles, was mit dem Schmuck des Lebens zusammenhängt, sogar den Sport, sie muſsten sogar den Landbau aufgeben, weil sie den Kirchenzehnten verweigerten. So waren sie, um überhaupt noch ein äuſseres Lebensinteresse zu haben, auf das Geld hingewiesen, als auf das einzige, zu dem sie sich den Zugang nicht versperrt hatten. Ganz entsprechend hat man über das herrenhuterische Leben bemerkt, daſs ihm aller ideale Gehalt von Wissenschaften, Künsten, heiterer Geselligkeit fehle und so neben dem religiösen Interesse nur noch die nackte Erwerbslust als praktischen Impuls bestehen lasse. Die Betriebsamkeit und Habsucht vieler Herren- huter und Pietisten sei deshalb kein Anzeichen von Heuchelei, sondern von einem kranken, vor den Kulturinteressen flüchtigen Christentum, von einer Frömmigkeit, die nichts irdisch Hohes neben sich duldet, sondern eher noch ein irdisch Niedriges. Macht jene nicht zu raubende Mög- lichkeit schon das Geldgeschäft zur ultima ratio sozial benachteiligter und bedrückter Elemente, so wirkt für sie positiv noch die Macht des Geldes, Stellungen, Einfluſs, Genüsse noch da zu gewinnen, wo man von gewissen direkten Mitteln des sozialen Ranges: der Beamten-

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/229>, abgerufen am 23.11.2024.