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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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II.

In dem Vorhergehenden ist eine Thatsache des Wertgefühls voraus-
gesetzt worden, deren Selbstverständlichkeit für uns leicht über ihre
Bedeutsamkeit hinwegtäuschen kann. Das Geld ist uns wertvoll, weil
es das Mittel zur Erlangung von Werten ist; aber ebenso gut könnte
man doch sagen: obgleich es nur das Mittel dazu ist. Denn logisch
notwendig erscheint es keineswegs, dass der Ton des Wertes, der auf
den Endzwecken unseres Handelns ruht, sich auch auf die Mittel über-
trage, die an sich und ohne Einstellung in die teleologische Reihe
völlig wertfremd wären. Dass diese Wertübertragung, auf Grund rein
äusserer Zusammenhänge, stattfindet, ordnet sich in eine sehr allgemeine
Form unserer geistigen Bewegungen ein, die man die psychologische
Expansion der Qualitäten benennen könnte. Wenn nämlich eine sachliche
Reihe von Gegenständen, Kräften, Geschehnissen ein Glied enthält,
das bestimmte subjektive Reaktionen in uns auslöst: Lust oder Unlust,
Liebe oder Hass, positive oder negative Wertgefühle -- so scheint uns
dieser Wert nicht nur auf seinem unmittelbaren Träger zu haften,
sondern wir lassen auch die andern, an sich nicht ebenso ausgezeich-
neten Glieder der Reihe an ihm teilhaben: dies ist keineswegs nur bei
teleologischen Reihen der Fall, deren Endglied seine Bedeutung auf
alle Ursachen seiner Verwirklichung ausstrahlt, sondern auch bei anders
laufenden Verknüpfungen der Elemente: alle Mitglieder einer Familie
partizipieren an der Ehrung oder Degradierung eines einzelnen von
ihnen; die unbedeutendsten Produkte eines grossen Dichters geniessen,
weil andere bedeutend sind, eine ihnen an sich nicht zukommende
Schätzung; Neigung oder Hass des Einzelnen, aus politischer Partei-
stellung entsprungen, erstreckt sich auf diejenigen Punkte der Partei-
programme, denen an und für sich er gleichgültig oder mit entgegen-
gesetzten Gefühlen gegenüberstehen würde; die Liebe zu einem
Menschen, von dem sympathischen Gefühl für eine seiner Wesensseiten
ausgehend, umfasst schliesslich seine Gesamtpersönlichkeit und damit
vielerlei Eigenschaften und Äusserungen mit der gleichen Leidenschaft,

II.

In dem Vorhergehenden ist eine Thatsache des Wertgefühls voraus-
gesetzt worden, deren Selbstverständlichkeit für uns leicht über ihre
Bedeutsamkeit hinwegtäuschen kann. Das Geld ist uns wertvoll, weil
es das Mittel zur Erlangung von Werten ist; aber ebenso gut könnte
man doch sagen: obgleich es nur das Mittel dazu ist. Denn logisch
notwendig erscheint es keineswegs, daſs der Ton des Wertes, der auf
den Endzwecken unseres Handelns ruht, sich auch auf die Mittel über-
trage, die an sich und ohne Einstellung in die teleologische Reihe
völlig wertfremd wären. Daſs diese Wertübertragung, auf Grund rein
äuſserer Zusammenhänge, stattfindet, ordnet sich in eine sehr allgemeine
Form unserer geistigen Bewegungen ein, die man die psychologische
Expansion der Qualitäten benennen könnte. Wenn nämlich eine sachliche
Reihe von Gegenständen, Kräften, Geschehnissen ein Glied enthält,
das bestimmte subjektive Reaktionen in uns auslöst: Lust oder Unlust,
Liebe oder Haſs, positive oder negative Wertgefühle — so scheint uns
dieser Wert nicht nur auf seinem unmittelbaren Träger zu haften,
sondern wir lassen auch die andern, an sich nicht ebenso ausgezeich-
neten Glieder der Reihe an ihm teilhaben: dies ist keineswegs nur bei
teleologischen Reihen der Fall, deren Endglied seine Bedeutung auf
alle Ursachen seiner Verwirklichung ausstrahlt, sondern auch bei anders
laufenden Verknüpfungen der Elemente: alle Mitglieder einer Familie
partizipieren an der Ehrung oder Degradierung eines einzelnen von
ihnen; die unbedeutendsten Produkte eines groſsen Dichters genieſsen,
weil andere bedeutend sind, eine ihnen an sich nicht zukommende
Schätzung; Neigung oder Haſs des Einzelnen, aus politischer Partei-
stellung entsprungen, erstreckt sich auf diejenigen Punkte der Partei-
programme, denen an und für sich er gleichgültig oder mit entgegen-
gesetzten Gefühlen gegenüberstehen würde; die Liebe zu einem
Menschen, von dem sympathischen Gefühl für eine seiner Wesensseiten
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[[212]/0236] II. In dem Vorhergehenden ist eine Thatsache des Wertgefühls voraus- gesetzt worden, deren Selbstverständlichkeit für uns leicht über ihre Bedeutsamkeit hinwegtäuschen kann. Das Geld ist uns wertvoll, weil es das Mittel zur Erlangung von Werten ist; aber ebenso gut könnte man doch sagen: obgleich es nur das Mittel dazu ist. Denn logisch notwendig erscheint es keineswegs, daſs der Ton des Wertes, der auf den Endzwecken unseres Handelns ruht, sich auch auf die Mittel über- trage, die an sich und ohne Einstellung in die teleologische Reihe völlig wertfremd wären. Daſs diese Wertübertragung, auf Grund rein äuſserer Zusammenhänge, stattfindet, ordnet sich in eine sehr allgemeine Form unserer geistigen Bewegungen ein, die man die psychologische Expansion der Qualitäten benennen könnte. Wenn nämlich eine sachliche Reihe von Gegenständen, Kräften, Geschehnissen ein Glied enthält, das bestimmte subjektive Reaktionen in uns auslöst: Lust oder Unlust, Liebe oder Haſs, positive oder negative Wertgefühle — so scheint uns dieser Wert nicht nur auf seinem unmittelbaren Träger zu haften, sondern wir lassen auch die andern, an sich nicht ebenso ausgezeich- neten Glieder der Reihe an ihm teilhaben: dies ist keineswegs nur bei teleologischen Reihen der Fall, deren Endglied seine Bedeutung auf alle Ursachen seiner Verwirklichung ausstrahlt, sondern auch bei anders laufenden Verknüpfungen der Elemente: alle Mitglieder einer Familie partizipieren an der Ehrung oder Degradierung eines einzelnen von ihnen; die unbedeutendsten Produkte eines groſsen Dichters genieſsen, weil andere bedeutend sind, eine ihnen an sich nicht zukommende Schätzung; Neigung oder Haſs des Einzelnen, aus politischer Partei- stellung entsprungen, erstreckt sich auf diejenigen Punkte der Partei- programme, denen an und für sich er gleichgültig oder mit entgegen- gesetzten Gefühlen gegenüberstehen würde; die Liebe zu einem Menschen, von dem sympathischen Gefühl für eine seiner Wesensseiten ausgehend, umfaſst schlieſslich seine Gesamtpersönlichkeit und damit vielerlei Eigenschaften und Äuſserungen mit der gleichen Leidenschaft,

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. [212]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/236>, abgerufen am 23.11.2024.