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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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mit Geld zu Hülfe kommen. Sobald die Armut als sittliches Ideal
auftaucht, ist es deshalb auch der Besitz an Geld, den sie als die
schlimmste Versuchung, als das eigentliche Übel verabscheut.

Wo das Heil der Seele als Endzweck empfunden wird, da er-
scheint zu ihm die Armut in manchen Doktrinen als ein ganz posi-
tives und unerlässliches Mittel, das sich aus dieser Stellung dann zu
der Würde eines durch sich selbst bedeutungsvollen und gültigen
Wertes erhebt. Das kann auf verschiedenen Staffeln der Zweckreihen
und von verschiedenen Motiven aus geschehen. Zunächst wird
die blosse Gleichgültigkeit gegen alles irdische Geniessen und Inter-
essiertsein dahin führen. Von der Seele, die zum Höchsten aufstrebt,
fällt dieser Ballast wie von selbst ab, ohne dass es eines besonders
darauf gerichteten Willens bedürfte. So mögen sich vielfach die ersten
Christen verhalten haben: nicht direkt feindselig und aggressiv den
Gütern der Sichtbarkeit gegenüber, sondern einfach ohne Beziehung
zu ihnen, wie zu Dingen, für deren Wahrnehmung man kein Organ
besitzt. Deshalb ist der -- äusserst sporadische -- Kommunismus des
Urchristentums den Bestrebungen des modernen Kommunismus im
tiefsten Wesen entgegengesetzt: jener aus der Gleichgültigkeit gegen
die irdischen Güter, dieser grade der allerstärksten Wertung der-
selben entsprungen. Eine Mischform beider liegt auch zeitlich zwischen
ihnen: die sozialistisch-revolutionären Bewegungen am Ende des Mittel-
alters waren zwar durchaus begehrlicher Natur, aber doch wurden
sie teilweise von asketischen Strömungen, mit ihrem Ideal völliger Be-
dürfnislosigkeit, genährt. In Hinsicht auf das Geld freilich müssen
diese letzteren aus dem blossen Jenseits der materiellen Interessen
herabsteigen und entschiedenere und positivere Formen annehmen, da
man auf dem Wege auch zum Unentbehrlichsten ihm immerwährend
begegnet und da der Erwerb seiner mehr Aufmerksamkeit und Willens-
beschäftigung fordert, als die daraufhin erfolgende Beschaffung des
Unterhaltes selbst. Wer gegen diesen so abgestumpft sein sollte, dass
er wie jener Kirchenvater Wagenschmiere für Butter ass, ohne es zu
merken, kann dennoch, wenn er in einer Zeit des Geldverkehrs überhaupt
existieren will, für den Erwerb auch der bescheidensten Summe sein
Bewusstsein nicht in derselben Weise ablenken lassen. Deshalb wird,
wo prinzipiell nur Gleichgültigkeit gegen alles Äussere herrscht, diese
grade dem Gelde gegenüber leicht in wirklichen Hass übergehen.
Darauf wirkt zweitens der versucherische Charakter des Geldes noch
entschiedener ein. Weil es in jedem Augenblick zur Verwendung
bereit ist, ist es der schlimmste Fallstrick der schwachen Stunden,
und da es alles zu beschaffen dient, so bietet es der Seele das ihr je-

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mit Geld zu Hülfe kommen. Sobald die Armut als sittliches Ideal
auftaucht, ist es deshalb auch der Besitz an Geld, den sie als die
schlimmste Versuchung, als das eigentliche Übel verabscheut.

Wo das Heil der Seele als Endzweck empfunden wird, da er-
scheint zu ihm die Armut in manchen Doktrinen als ein ganz posi-
tives und unerläſsliches Mittel, das sich aus dieser Stellung dann zu
der Würde eines durch sich selbst bedeutungsvollen und gültigen
Wertes erhebt. Das kann auf verschiedenen Staffeln der Zweckreihen
und von verschiedenen Motiven aus geschehen. Zunächst wird
die bloſse Gleichgültigkeit gegen alles irdische Genieſsen und Inter-
essiertsein dahin führen. Von der Seele, die zum Höchsten aufstrebt,
fällt dieser Ballast wie von selbst ab, ohne daſs es eines besonders
darauf gerichteten Willens bedürfte. So mögen sich vielfach die ersten
Christen verhalten haben: nicht direkt feindselig und aggressiv den
Gütern der Sichtbarkeit gegenüber, sondern einfach ohne Beziehung
zu ihnen, wie zu Dingen, für deren Wahrnehmung man kein Organ
besitzt. Deshalb ist der — äuſserst sporadische — Kommunismus des
Urchristentums den Bestrebungen des modernen Kommunismus im
tiefsten Wesen entgegengesetzt: jener aus der Gleichgültigkeit gegen
die irdischen Güter, dieser grade der allerstärksten Wertung der-
selben entsprungen. Eine Mischform beider liegt auch zeitlich zwischen
ihnen: die sozialistisch-revolutionären Bewegungen am Ende des Mittel-
alters waren zwar durchaus begehrlicher Natur, aber doch wurden
sie teilweise von asketischen Strömungen, mit ihrem Ideal völliger Be-
dürfnislosigkeit, genährt. In Hinsicht auf das Geld freilich müssen
diese letzteren aus dem bloſsen Jenseits der materiellen Interessen
herabsteigen und entschiedenere und positivere Formen annehmen, da
man auf dem Wege auch zum Unentbehrlichsten ihm immerwährend
begegnet und da der Erwerb seiner mehr Aufmerksamkeit und Willens-
beschäftigung fordert, als die daraufhin erfolgende Beschaffung des
Unterhaltes selbst. Wer gegen diesen so abgestumpft sein sollte, daſs
er wie jener Kirchenvater Wagenschmiere für Butter aſs, ohne es zu
merken, kann dennoch, wenn er in einer Zeit des Geldverkehrs überhaupt
existieren will, für den Erwerb auch der bescheidensten Summe sein
Bewuſstsein nicht in derselben Weise ablenken lassen. Deshalb wird,
wo prinzipiell nur Gleichgültigkeit gegen alles Äuſsere herrscht, diese
grade dem Gelde gegenüber leicht in wirklichen Haſs übergehen.
Darauf wirkt zweitens der versucherische Charakter des Geldes noch
entschiedener ein. Weil es in jedem Augenblick zur Verwendung
bereit ist, ist es der schlimmste Fallstrick der schwachen Stunden,
und da es alles zu beschaffen dient, so bietet es der Seele das ihr je-

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[243/0267] mit Geld zu Hülfe kommen. Sobald die Armut als sittliches Ideal auftaucht, ist es deshalb auch der Besitz an Geld, den sie als die schlimmste Versuchung, als das eigentliche Übel verabscheut. Wo das Heil der Seele als Endzweck empfunden wird, da er- scheint zu ihm die Armut in manchen Doktrinen als ein ganz posi- tives und unerläſsliches Mittel, das sich aus dieser Stellung dann zu der Würde eines durch sich selbst bedeutungsvollen und gültigen Wertes erhebt. Das kann auf verschiedenen Staffeln der Zweckreihen und von verschiedenen Motiven aus geschehen. Zunächst wird die bloſse Gleichgültigkeit gegen alles irdische Genieſsen und Inter- essiertsein dahin führen. Von der Seele, die zum Höchsten aufstrebt, fällt dieser Ballast wie von selbst ab, ohne daſs es eines besonders darauf gerichteten Willens bedürfte. So mögen sich vielfach die ersten Christen verhalten haben: nicht direkt feindselig und aggressiv den Gütern der Sichtbarkeit gegenüber, sondern einfach ohne Beziehung zu ihnen, wie zu Dingen, für deren Wahrnehmung man kein Organ besitzt. Deshalb ist der — äuſserst sporadische — Kommunismus des Urchristentums den Bestrebungen des modernen Kommunismus im tiefsten Wesen entgegengesetzt: jener aus der Gleichgültigkeit gegen die irdischen Güter, dieser grade der allerstärksten Wertung der- selben entsprungen. Eine Mischform beider liegt auch zeitlich zwischen ihnen: die sozialistisch-revolutionären Bewegungen am Ende des Mittel- alters waren zwar durchaus begehrlicher Natur, aber doch wurden sie teilweise von asketischen Strömungen, mit ihrem Ideal völliger Be- dürfnislosigkeit, genährt. In Hinsicht auf das Geld freilich müssen diese letzteren aus dem bloſsen Jenseits der materiellen Interessen herabsteigen und entschiedenere und positivere Formen annehmen, da man auf dem Wege auch zum Unentbehrlichsten ihm immerwährend begegnet und da der Erwerb seiner mehr Aufmerksamkeit und Willens- beschäftigung fordert, als die daraufhin erfolgende Beschaffung des Unterhaltes selbst. Wer gegen diesen so abgestumpft sein sollte, daſs er wie jener Kirchenvater Wagenschmiere für Butter aſs, ohne es zu merken, kann dennoch, wenn er in einer Zeit des Geldverkehrs überhaupt existieren will, für den Erwerb auch der bescheidensten Summe sein Bewuſstsein nicht in derselben Weise ablenken lassen. Deshalb wird, wo prinzipiell nur Gleichgültigkeit gegen alles Äuſsere herrscht, diese grade dem Gelde gegenüber leicht in wirklichen Haſs übergehen. Darauf wirkt zweitens der versucherische Charakter des Geldes noch entschiedener ein. Weil es in jedem Augenblick zur Verwendung bereit ist, ist es der schlimmste Fallstrick der schwachen Stunden, und da es alles zu beschaffen dient, so bietet es der Seele das ihr je- 16*

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/267>, abgerufen am 24.11.2024.