Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

Bild:
<< vorherige Seite
III.

Ich habe oben einmal erwähnt, dass Geldgier und Geiz, so sehr
sie in der Mehrzahl der Fälle vereinigt auftreten, dennoch begrifflich
und psychologisch genau zu unterscheiden sind. Und thatsächlich giebt
es auch Erscheinungen, die sie in Sonderung zeigen; das Tempo des
Weges zum Gelde hin zeigt vielfach eine völlige Unabhängigkeit von
dem des Weges vom Gelde weg, und zwar keineswegs nur da, wo
Geldgier und Geiz im engeren Sinne in Frage stehen, sondern schon auf den
Stufen, auf denen die inneren Bewegungen noch nicht die Grenze des
Normalen überschritten haben. Das wird hauptsächlich durch jene illegi-
time Höhersetzung des Geldes in der Zweckreihe bewirkt, die, weil sie
kein sachliches Mass in sich hat, ihre Bedeutung vielfach ändert, so dass
das Geld, solange es noch zu gewinnen ist, ganz andre Wertgefühle
weckt, als wenn es sich um seine Weggabe für weitere Objekte handelt.
Die Spannung des Wertgefühls dem Gelde gegenüber, die den Weg
zu ihm begleitete, lässt mit seiner Erreichtheit nach, was man so aus-
gedrückt hat, dass die meisten Menschen als Konsumenten das Gesetz
der Wirtschaftlichkeit nicht so genau beobachten, wie sie es als
erwerbende Geschäftsleute thun. Aus dieser Erfahrung heraus, dass
wir im Erwerben strenger, exakter, weniger leichtsinnig sind, als im
Ausgeben, stammt vielleicht eine Bestimmung des altjüdischen Rechtes.
Nach ihm hat im allgemeinen bei Geldstreitigkeiten stets der Ver-
klagte
zu schwören. Nur dem Krämer wird an einer Stelle im
Talmud ausnahmsweise zugestanden, den betreffenden Vermerk seines
Ladenbuches zu beschwören. In gewissen Verhältnissen tritt jener
Wechsel von Kontraktion und Remission der Geldwertung an Fürsten
hervor, die, wie Ludwig XI. und viele andre, im Eintreiben ihrer Ein-
künfte von äusserster Strenge, im Ausgeben derselben aber durchaus
liberal sind. Im grossen und ganzen wird indessen eine Proportion
zwischen dem Tempo des Erwerbens und dem des Ausgebens nicht zu
leugnen sein. Deshalb giebt niemand das Geld leichter und leicht-

III.

Ich habe oben einmal erwähnt, daſs Geldgier und Geiz, so sehr
sie in der Mehrzahl der Fälle vereinigt auftreten, dennoch begrifflich
und psychologisch genau zu unterscheiden sind. Und thatsächlich giebt
es auch Erscheinungen, die sie in Sonderung zeigen; das Tempo des
Weges zum Gelde hin zeigt vielfach eine völlige Unabhängigkeit von
dem des Weges vom Gelde weg, und zwar keineswegs nur da, wo
Geldgier und Geiz im engeren Sinne in Frage stehen, sondern schon auf den
Stufen, auf denen die inneren Bewegungen noch nicht die Grenze des
Normalen überschritten haben. Das wird hauptsächlich durch jene illegi-
time Höhersetzung des Geldes in der Zweckreihe bewirkt, die, weil sie
kein sachliches Maſs in sich hat, ihre Bedeutung vielfach ändert, so daſs
das Geld, solange es noch zu gewinnen ist, ganz andre Wertgefühle
weckt, als wenn es sich um seine Weggabe für weitere Objekte handelt.
Die Spannung des Wertgefühls dem Gelde gegenüber, die den Weg
zu ihm begleitete, läſst mit seiner Erreichtheit nach, was man so aus-
gedrückt hat, daſs die meisten Menschen als Konsumenten das Gesetz
der Wirtschaftlichkeit nicht so genau beobachten, wie sie es als
erwerbende Geschäftsleute thun. Aus dieser Erfahrung heraus, daſs
wir im Erwerben strenger, exakter, weniger leichtsinnig sind, als im
Ausgeben, stammt vielleicht eine Bestimmung des altjüdischen Rechtes.
Nach ihm hat im allgemeinen bei Geldstreitigkeiten stets der Ver-
klagte
zu schwören. Nur dem Krämer wird an einer Stelle im
Talmud ausnahmsweise zugestanden, den betreffenden Vermerk seines
Ladenbuches zu beschwören. In gewissen Verhältnissen tritt jener
Wechsel von Kontraktion und Remission der Geldwertung an Fürsten
hervor, die, wie Ludwig XI. und viele andre, im Eintreiben ihrer Ein-
künfte von äuſserster Strenge, im Ausgeben derselben aber durchaus
liberal sind. Im groſsen und ganzen wird indessen eine Proportion
zwischen dem Tempo des Erwerbens und dem des Ausgebens nicht zu
leugnen sein. Deshalb giebt niemand das Geld leichter und leicht-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0274" n="[250]"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">III.</hi> </head><lb/>
            <p>Ich habe oben einmal erwähnt, da&#x017F;s Geldgier und Geiz, so sehr<lb/>
sie in der Mehrzahl der Fälle vereinigt auftreten, dennoch begrifflich<lb/>
und psychologisch genau zu unterscheiden sind. Und thatsächlich giebt<lb/>
es auch Erscheinungen, die sie in Sonderung zeigen; das Tempo des<lb/>
Weges zum Gelde hin zeigt vielfach eine völlige Unabhängigkeit von<lb/>
dem des Weges vom Gelde weg, und zwar keineswegs nur da, wo<lb/>
Geldgier und Geiz im engeren Sinne in Frage stehen, sondern schon auf den<lb/>
Stufen, auf denen die inneren Bewegungen noch nicht die Grenze des<lb/>
Normalen überschritten haben. Das wird hauptsächlich durch jene illegi-<lb/>
time Höhersetzung des Geldes in der Zweckreihe bewirkt, die, weil sie<lb/>
kein sachliches Ma&#x017F;s in sich hat, ihre Bedeutung vielfach ändert, so da&#x017F;s<lb/>
das Geld, solange es noch zu gewinnen ist, ganz andre Wertgefühle<lb/>
weckt, als wenn es sich um seine Weggabe für weitere Objekte handelt.<lb/>
Die Spannung des Wertgefühls dem Gelde gegenüber, die den Weg<lb/>
zu ihm begleitete, lä&#x017F;st mit seiner Erreichtheit nach, was man so aus-<lb/>
gedrückt hat, da&#x017F;s die meisten Menschen als Konsumenten das Gesetz<lb/>
der Wirtschaftlichkeit nicht so genau beobachten, wie sie es als<lb/>
erwerbende Geschäftsleute thun. Aus dieser Erfahrung heraus, da&#x017F;s<lb/>
wir im Erwerben strenger, exakter, weniger leichtsinnig sind, als im<lb/>
Ausgeben, stammt vielleicht eine Bestimmung des altjüdischen Rechtes.<lb/>
Nach ihm hat im allgemeinen bei Geldstreitigkeiten stets der <hi rendition="#g">Ver-<lb/>
klagte</hi> zu schwören. Nur dem Krämer wird an einer Stelle im<lb/>
Talmud ausnahmsweise zugestanden, den betreffenden Vermerk seines<lb/>
Ladenbuches zu beschwören. In gewissen Verhältnissen tritt jener<lb/>
Wechsel von Kontraktion und Remission der Geldwertung an Fürsten<lb/>
hervor, die, wie Ludwig XI. und viele andre, im Eintreiben ihrer Ein-<lb/>
künfte von äu&#x017F;serster Strenge, im Ausgeben derselben aber durchaus<lb/>
liberal sind. Im gro&#x017F;sen und ganzen wird indessen eine Proportion<lb/>
zwischen dem Tempo des Erwerbens und dem des Ausgebens nicht zu<lb/>
leugnen sein. Deshalb giebt niemand das Geld leichter und leicht-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[250]/0274] III. Ich habe oben einmal erwähnt, daſs Geldgier und Geiz, so sehr sie in der Mehrzahl der Fälle vereinigt auftreten, dennoch begrifflich und psychologisch genau zu unterscheiden sind. Und thatsächlich giebt es auch Erscheinungen, die sie in Sonderung zeigen; das Tempo des Weges zum Gelde hin zeigt vielfach eine völlige Unabhängigkeit von dem des Weges vom Gelde weg, und zwar keineswegs nur da, wo Geldgier und Geiz im engeren Sinne in Frage stehen, sondern schon auf den Stufen, auf denen die inneren Bewegungen noch nicht die Grenze des Normalen überschritten haben. Das wird hauptsächlich durch jene illegi- time Höhersetzung des Geldes in der Zweckreihe bewirkt, die, weil sie kein sachliches Maſs in sich hat, ihre Bedeutung vielfach ändert, so daſs das Geld, solange es noch zu gewinnen ist, ganz andre Wertgefühle weckt, als wenn es sich um seine Weggabe für weitere Objekte handelt. Die Spannung des Wertgefühls dem Gelde gegenüber, die den Weg zu ihm begleitete, läſst mit seiner Erreichtheit nach, was man so aus- gedrückt hat, daſs die meisten Menschen als Konsumenten das Gesetz der Wirtschaftlichkeit nicht so genau beobachten, wie sie es als erwerbende Geschäftsleute thun. Aus dieser Erfahrung heraus, daſs wir im Erwerben strenger, exakter, weniger leichtsinnig sind, als im Ausgeben, stammt vielleicht eine Bestimmung des altjüdischen Rechtes. Nach ihm hat im allgemeinen bei Geldstreitigkeiten stets der Ver- klagte zu schwören. Nur dem Krämer wird an einer Stelle im Talmud ausnahmsweise zugestanden, den betreffenden Vermerk seines Ladenbuches zu beschwören. In gewissen Verhältnissen tritt jener Wechsel von Kontraktion und Remission der Geldwertung an Fürsten hervor, die, wie Ludwig XI. und viele andre, im Eintreiben ihrer Ein- künfte von äuſserster Strenge, im Ausgeben derselben aber durchaus liberal sind. Im groſsen und ganzen wird indessen eine Proportion zwischen dem Tempo des Erwerbens und dem des Ausgebens nicht zu leugnen sein. Deshalb giebt niemand das Geld leichter und leicht-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/274
Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. [250]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/274>, abgerufen am 24.11.2024.