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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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müssen, wieviele Pferde und Hunde mitgebracht werden dürfen, wie-
viel Brot, Wein, Fleisch, Schüsseln, Tischtücher u. s. w. zu liefern
sind. Immerhin, sobald unmittelbar Beherbergung und Atzung statt-
fand, mussten einerseits die Grenzen der Leistungen leicht ins Schwanken
geraten, andrerseits trugen sie entschieden den Charakter der persön-
lichen Beziehung. Dem gegenüber ist es die entwickeltere Stufe, wenn
wir hören, dass blosse Lieferungen von Naturalien ohne Berherbergung
stattfanden; dabei konnten die Abmessungen des Quantums viel ge-
nauer sein, als wenn die Personen beherbergt und satt gemacht werden
sollten. So heisst es, der Graf von Rieseck sollte eine bestimmte Ab-
gabe Korn erhalten: "Davon sul man syme gesinde brot backen, wan er in
dem Dorf zu Crotzenburg ist, off daz er die arme lüde in dem
dorff nit furter besweren oder schedigen solle
." Diese
Entwicklung führt weiter dahin, dass feste Geldleistungen gelegentlich
der Anwesenheit der hohen Herren bei ihren Reisen und Gerichts-
sitzungen stipuliert werden. Und endlich wird auch das hierin noch
liegende variable und personale Moment beseitigt, indem diese
Leistungen in ständige Abgaben übergeführt werden, die als Atz-
geld, Herrentaggeld, Reisigvogtgeld, auch dann erhoben wurden, als
die alten Amtsreisen der Richter u. s. w. durch ganz andere Organi-
sationen ersetzt wurden. Das war der Weg, auf dem die Leistungen
solcher Art schliesslich ganz fortfielen und in der allgemeinen Steuer-
leistung der Unterthanen aufgingen, der sozusagen jede spezifische
Formung fehlt und die deshalb das Korrelat der persönlichen Freiheit
der Neuzeit ist.

In solchen Fällen von Ablösung der naturalen Leistungen durch
Geldzahlungen pflegt der Vorteil auf beiden Seiten zu sein. Dies ist
eine sehr merkwürdige und zur Einstellung in grössere Zusammen-
hänge auffordernde Thatsache. Wenn man von der Vorstellung aus-
geht, dass das zum Genuss verfügbare Güterquantum ein begrenztes
ist; dass es den vorhandenen Ansprüchen nicht genügt; dass endlich
"die Welt weggegeben ist", das heisst, dass im allgemeinen jedes Gut
seinen Besitzer hat -- so folgt daraus, dass, was dem Einen gegeben
wird, dem Anderen genommen werden muss. Zieht man hier nun alle
die Fälle ab, in denen dies ersichtlich nicht gilt, so bleiben doch
immer noch unzählig viele, in denen die Bedürfnisbefriedigung des
Einen nur auf Kosten des Anderen erfolgen kann. Wollte man dies
als das oder ein Charakteristikum oder Fundament unseres Wirt-
schaftens ansehen, so würde es sich in alle jene Weltanschauungen ein-
ordnen, die überhaupt das Quantum der der Menschheit beschiedenen
Werte -- der Sittlichkeit, des Glückes, der Erkenntnis -- für ein

müssen, wieviele Pferde und Hunde mitgebracht werden dürfen, wie-
viel Brot, Wein, Fleisch, Schüsseln, Tischtücher u. s. w. zu liefern
sind. Immerhin, sobald unmittelbar Beherbergung und Atzung statt-
fand, muſsten einerseits die Grenzen der Leistungen leicht ins Schwanken
geraten, andrerseits trugen sie entschieden den Charakter der persön-
lichen Beziehung. Dem gegenüber ist es die entwickeltere Stufe, wenn
wir hören, daſs bloſse Lieferungen von Naturalien ohne Berherbergung
stattfanden; dabei konnten die Abmessungen des Quantums viel ge-
nauer sein, als wenn die Personen beherbergt und satt gemacht werden
sollten. So heiſst es, der Graf von Rieseck sollte eine bestimmte Ab-
gabe Korn erhalten: „Davon sul man syme gesinde brot backen, wan er in
dem Dorf zu Crotzenburg ist, off daz er die arme lüde in dem
dorff nit furter besweren oder schedigen solle
.“ Diese
Entwicklung führt weiter dahin, daſs feste Geldleistungen gelegentlich
der Anwesenheit der hohen Herren bei ihren Reisen und Gerichts-
sitzungen stipuliert werden. Und endlich wird auch das hierin noch
liegende variable und personale Moment beseitigt, indem diese
Leistungen in ständige Abgaben übergeführt werden, die als Atz-
geld, Herrentaggeld, Reisigvogtgeld, auch dann erhoben wurden, als
die alten Amtsreisen der Richter u. s. w. durch ganz andere Organi-
sationen ersetzt wurden. Das war der Weg, auf dem die Leistungen
solcher Art schlieſslich ganz fortfielen und in der allgemeinen Steuer-
leistung der Unterthanen aufgingen, der sozusagen jede spezifische
Formung fehlt und die deshalb das Korrelat der persönlichen Freiheit
der Neuzeit ist.

In solchen Fällen von Ablösung der naturalen Leistungen durch
Geldzahlungen pflegt der Vorteil auf beiden Seiten zu sein. Dies ist
eine sehr merkwürdige und zur Einstellung in gröſsere Zusammen-
hänge auffordernde Thatsache. Wenn man von der Vorstellung aus-
geht, daſs das zum Genuſs verfügbare Güterquantum ein begrenztes
ist; daſs es den vorhandenen Ansprüchen nicht genügt; daſs endlich
„die Welt weggegeben ist“, das heiſst, daſs im allgemeinen jedes Gut
seinen Besitzer hat — so folgt daraus, daſs, was dem Einen gegeben
wird, dem Anderen genommen werden muſs. Zieht man hier nun alle
die Fälle ab, in denen dies ersichtlich nicht gilt, so bleiben doch
immer noch unzählig viele, in denen die Bedürfnisbefriedigung des
Einen nur auf Kosten des Anderen erfolgen kann. Wollte man dies
als das oder ein Charakteristikum oder Fundament unseres Wirt-
schaftens ansehen, so würde es sich in alle jene Weltanschauungen ein-
ordnen, die überhaupt das Quantum der der Menschheit beschiedenen
Werte — der Sittlichkeit, des Glückes, der Erkenntnis — für ein

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[285/0309] müssen, wieviele Pferde und Hunde mitgebracht werden dürfen, wie- viel Brot, Wein, Fleisch, Schüsseln, Tischtücher u. s. w. zu liefern sind. Immerhin, sobald unmittelbar Beherbergung und Atzung statt- fand, muſsten einerseits die Grenzen der Leistungen leicht ins Schwanken geraten, andrerseits trugen sie entschieden den Charakter der persön- lichen Beziehung. Dem gegenüber ist es die entwickeltere Stufe, wenn wir hören, daſs bloſse Lieferungen von Naturalien ohne Berherbergung stattfanden; dabei konnten die Abmessungen des Quantums viel ge- nauer sein, als wenn die Personen beherbergt und satt gemacht werden sollten. So heiſst es, der Graf von Rieseck sollte eine bestimmte Ab- gabe Korn erhalten: „Davon sul man syme gesinde brot backen, wan er in dem Dorf zu Crotzenburg ist, off daz er die arme lüde in dem dorff nit furter besweren oder schedigen solle.“ Diese Entwicklung führt weiter dahin, daſs feste Geldleistungen gelegentlich der Anwesenheit der hohen Herren bei ihren Reisen und Gerichts- sitzungen stipuliert werden. Und endlich wird auch das hierin noch liegende variable und personale Moment beseitigt, indem diese Leistungen in ständige Abgaben übergeführt werden, die als Atz- geld, Herrentaggeld, Reisigvogtgeld, auch dann erhoben wurden, als die alten Amtsreisen der Richter u. s. w. durch ganz andere Organi- sationen ersetzt wurden. Das war der Weg, auf dem die Leistungen solcher Art schlieſslich ganz fortfielen und in der allgemeinen Steuer- leistung der Unterthanen aufgingen, der sozusagen jede spezifische Formung fehlt und die deshalb das Korrelat der persönlichen Freiheit der Neuzeit ist. In solchen Fällen von Ablösung der naturalen Leistungen durch Geldzahlungen pflegt der Vorteil auf beiden Seiten zu sein. Dies ist eine sehr merkwürdige und zur Einstellung in gröſsere Zusammen- hänge auffordernde Thatsache. Wenn man von der Vorstellung aus- geht, daſs das zum Genuſs verfügbare Güterquantum ein begrenztes ist; daſs es den vorhandenen Ansprüchen nicht genügt; daſs endlich „die Welt weggegeben ist“, das heiſst, daſs im allgemeinen jedes Gut seinen Besitzer hat — so folgt daraus, daſs, was dem Einen gegeben wird, dem Anderen genommen werden muſs. Zieht man hier nun alle die Fälle ab, in denen dies ersichtlich nicht gilt, so bleiben doch immer noch unzählig viele, in denen die Bedürfnisbefriedigung des Einen nur auf Kosten des Anderen erfolgen kann. Wollte man dies als das oder ein Charakteristikum oder Fundament unseres Wirt- schaftens ansehen, so würde es sich in alle jene Weltanschauungen ein- ordnen, die überhaupt das Quantum der der Menschheit beschiedenen Werte — der Sittlichkeit, des Glückes, der Erkenntnis — für ein

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/309>, abgerufen am 22.11.2024.