talisierung der Abgaben diejenige Form jeglicher Verpflichtungen er- reicht, die zugleich der grössten persönlichen Freiheit entspricht. Erst mit der Kapitalzahlung ist die Verpflichtung restlos in Geldleistung übergegangen, während die Zinszahlung durch ihre regelmässige Perio- dizität noch ein wenigstens formelles Element von Gebundenheit über das blosse Wertquantum hinaus enthält. Dieser Unterschied tritt etwa so hervor: im 13. Jahrhundert und noch später votierte das englische Parlament öfters, dass die Shires eine bestimmte Anzahl von Soldaten oder Arbeitern für den König zu liefern hätten; regelmässig aber lösten die Repräsentanten-Versammlungen der Shires die Gewähr von Menschen gegen eine Geldleistung ab. So viel personale Freiheit damit aber auch gerettet war -- es unterscheidet sich doch wesentlich von jenen Rechten und Freiheiten, die das englische Volk seinen Königen durch einmalige Geldvotierungen abkaufte. Wenn derjenige, der das Kapital erhält, damit all den Unsicherheiten enthoben ist, denen er bei ein- zelnen Zinsungen unterliegt, so ist das entsprechende Äquivalent dafür auf der Seite des Leistenden, dass seine Freiheit nun aus der labilen Form, die sie bei immer wiederholter Zinsung aufweist, in die stabile übergeht. Die Freiheit des englischen Volkes seinen Königen gegen- über beruht zum Teil darauf, dass es sich durch Kapitalzahlungen ein für allemal in Bezug auf bestimmte Rechte mit ihnen auseinandersetzte: pro hac concessione, sagt z. B. eine Urkunde Heinrichs III., dederunt nobis quintam decimam partem omnium mobilium suorum. Nicht trotz- dem, sondern grade weil eine solche Handelschaft um die Freiheiten des Volkes einen etwas brutalen, äusserlichen, mechanischen Charakter trägt, bedeutet sie ein reinliches Sichabfinden miteinander, den völligsten Gegensatz gegen die Empfindung des Königs, dass sich "kein Blatt Papier zwischen ihn und sein Volk drängen sollte" -- aber eben des- halb auch eine radikale Beseitigung aller der Imponderabilien gemüt- vollerer Beziehungen, die bei einem weniger geldgeschäftsmässigen Er- werb von Freiheiten oft die Handhabe bieten, sie zurückzunehmen oder illusorisch zu machen. Ein gutes Beispiel der stufenweisen Ent- wicklung, in der die Geldablösung der Naturalleistung die Befreiung des Individuums trägt, vollzieht sich an der Verpflichtung der Unter- thanen, Bürger und Hintersassen, ihre Landesherren, bezw. Beamte, Schirmvögte, Gerichtsherren bei ihren Reisen zu beherbergen und zu verpflegen. Diese Last stammte aus dem alten Königsdienste und er- langte im Mittelalter eine sehr bedeutende Ausdehnung. Es ist der erste Schritt zur Sachlichkeit und Unpersönlichkeit dieser Verpflich- tung, wenn dieselbe genau umgrenzt wird; so finden wir schon früh genau vorgeschrieben, wieviele Ritter und Knechte beherbergt werden
talisierung der Abgaben diejenige Form jeglicher Verpflichtungen er- reicht, die zugleich der gröſsten persönlichen Freiheit entspricht. Erst mit der Kapitalzahlung ist die Verpflichtung restlos in Geldleistung übergegangen, während die Zinszahlung durch ihre regelmäſsige Perio- dizität noch ein wenigstens formelles Element von Gebundenheit über das bloſse Wertquantum hinaus enthält. Dieser Unterschied tritt etwa so hervor: im 13. Jahrhundert und noch später votierte das englische Parlament öfters, daſs die Shires eine bestimmte Anzahl von Soldaten oder Arbeitern für den König zu liefern hätten; regelmäſsig aber lösten die Repräsentanten-Versammlungen der Shires die Gewähr von Menschen gegen eine Geldleistung ab. So viel personale Freiheit damit aber auch gerettet war — es unterscheidet sich doch wesentlich von jenen Rechten und Freiheiten, die das englische Volk seinen Königen durch einmalige Geldvotierungen abkaufte. Wenn derjenige, der das Kapital erhält, damit all den Unsicherheiten enthoben ist, denen er bei ein- zelnen Zinsungen unterliegt, so ist das entsprechende Äquivalent dafür auf der Seite des Leistenden, daſs seine Freiheit nun aus der labilen Form, die sie bei immer wiederholter Zinsung aufweist, in die stabile übergeht. Die Freiheit des englischen Volkes seinen Königen gegen- über beruht zum Teil darauf, daſs es sich durch Kapitalzahlungen ein für allemal in Bezug auf bestimmte Rechte mit ihnen auseinandersetzte: pro hac concessione, sagt z. B. eine Urkunde Heinrichs III., dederunt nobis quintam decimam partem omnium mobilium suorum. Nicht trotz- dem, sondern grade weil eine solche Handelschaft um die Freiheiten des Volkes einen etwas brutalen, äuſserlichen, mechanischen Charakter trägt, bedeutet sie ein reinliches Sichabfinden miteinander, den völligsten Gegensatz gegen die Empfindung des Königs, daſs sich „kein Blatt Papier zwischen ihn und sein Volk drängen sollte“ — aber eben des- halb auch eine radikale Beseitigung aller der Imponderabilien gemüt- vollerer Beziehungen, die bei einem weniger geldgeschäftsmäſsigen Er- werb von Freiheiten oft die Handhabe bieten, sie zurückzunehmen oder illusorisch zu machen. Ein gutes Beispiel der stufenweisen Ent- wicklung, in der die Geldablösung der Naturalleistung die Befreiung des Individuums trägt, vollzieht sich an der Verpflichtung der Unter- thanen, Bürger und Hintersassen, ihre Landesherren, bezw. Beamte, Schirmvögte, Gerichtsherren bei ihren Reisen zu beherbergen und zu verpflegen. Diese Last stammte aus dem alten Königsdienste und er- langte im Mittelalter eine sehr bedeutende Ausdehnung. Es ist der erste Schritt zur Sachlichkeit und Unpersönlichkeit dieser Verpflich- tung, wenn dieselbe genau umgrenzt wird; so finden wir schon früh genau vorgeschrieben, wieviele Ritter und Knechte beherbergt werden
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[284/0308]
talisierung der Abgaben diejenige Form jeglicher Verpflichtungen er-
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übergegangen, während die Zinszahlung durch ihre regelmäſsige Perio-
dizität noch ein wenigstens formelles Element von Gebundenheit über
das bloſse Wertquantum hinaus enthält. Dieser Unterschied tritt etwa
so hervor: im 13. Jahrhundert und noch später votierte das englische
Parlament öfters, daſs die Shires eine bestimmte Anzahl von Soldaten
oder Arbeitern für den König zu liefern hätten; regelmäſsig aber lösten
die Repräsentanten-Versammlungen der Shires die Gewähr von Menschen
gegen eine Geldleistung ab. So viel personale Freiheit damit aber
auch gerettet war — es unterscheidet sich doch wesentlich von jenen
Rechten und Freiheiten, die das englische Volk seinen Königen durch
einmalige Geldvotierungen abkaufte. Wenn derjenige, der das Kapital
erhält, damit all den Unsicherheiten enthoben ist, denen er bei ein-
zelnen Zinsungen unterliegt, so ist das entsprechende Äquivalent dafür
auf der Seite des Leistenden, daſs seine Freiheit nun aus der labilen
Form, die sie bei immer wiederholter Zinsung aufweist, in die stabile
übergeht. Die Freiheit des englischen Volkes seinen Königen gegen-
über beruht zum Teil darauf, daſs es sich durch Kapitalzahlungen ein
für allemal in Bezug auf bestimmte Rechte mit ihnen auseinandersetzte:
pro hac concessione, sagt z. B. eine Urkunde Heinrichs III., dederunt
nobis quintam decimam partem omnium mobilium suorum. Nicht trotz-
dem, sondern grade weil eine solche Handelschaft um die Freiheiten
des Volkes einen etwas brutalen, äuſserlichen, mechanischen Charakter
trägt, bedeutet sie ein reinliches Sichabfinden miteinander, den völligsten
Gegensatz gegen die Empfindung des Königs, daſs sich „kein Blatt
Papier zwischen ihn und sein Volk drängen sollte“ — aber eben des-
halb auch eine radikale Beseitigung aller der Imponderabilien gemüt-
vollerer Beziehungen, die bei einem weniger geldgeschäftsmäſsigen Er-
werb von Freiheiten oft die Handhabe bieten, sie zurückzunehmen
oder illusorisch zu machen. Ein gutes Beispiel der stufenweisen Ent-
wicklung, in der die Geldablösung der Naturalleistung die Befreiung
des Individuums trägt, vollzieht sich an der Verpflichtung der Unter-
thanen, Bürger und Hintersassen, ihre Landesherren, bezw. Beamte,
Schirmvögte, Gerichtsherren bei ihren Reisen zu beherbergen und zu
verpflegen. Diese Last stammte aus dem alten Königsdienste und er-
langte im Mittelalter eine sehr bedeutende Ausdehnung. Es ist der
erste Schritt zur Sachlichkeit und Unpersönlichkeit dieser Verpflich-
tung, wenn dieselbe genau umgrenzt wird; so finden wir schon früh
genau vorgeschrieben, wieviele Ritter und Knechte beherbergt werden
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/308>, abgerufen am 22.11.2024.
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