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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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Enge persönlicher Beziehung, oft persönlicher Unersetzbarkeit der-
selben bezahlen musste, werden wir für die Vielheit unserer Abhängig-
keiten durch die Gleichgültigkeit gegen die dahinter stehenden Per-
sonen und die Freiheit des Wechsels mit ihnen entschädigt. Und wenn
wir durch die Kompliziertheit unserer Bedürfnisse einerseits, die
Spezialisiertheit unserer Fähigkeiten andrerseits von dem Ganzen der
Gesellschaft sehr viel abhängiger sind als der primitive Mensch, der
sich allenfalls mit seiner ganz engen isolierten Gruppe durchs Leben
schlagen konnte -- so sind wir dafür von jedem bestimmten Ele-
mente dieser Gesellschaft ausserordentlich unabhängig, weil seine Be-
deutung für uns in die einseitige Sachlichkeit seiner Leistung über-
gegangen ist, die deshalb viel leichter auch von so und so viel anderen
und persönlich verschiedenen Menschen produziert werden kann, mit
denen uns nichts als das in Geld restlos ausdrückbare Interesse ver-
bindet.

Dies ist nun die günstigste Lage, um innere Unabhängigkeit, das
Gefühl individuellen Fürsichseins, zustande zu bringen. Denn der
blossen Isolierung Anderen gegenüber gelingt die positive, hiermit ge-
meinte Verfassung noch nicht; rein logisch formuliert: die Unabhängig-
keit ist noch etwas Anderes als die blosse Nicht-Abhängigkeit -- wie
etwa Unsterblichkeit noch etwas Anderes ist als Nicht-Sterblichkeit;
denn nicht sterblich ist auch der Stein oder das Metall, die man doch
nicht unsterblich nennen dürfte. Ist doch schon an der andern Be-
deutung des Isoliertseins, der Einsamkeit, der Anschein reiner Negativität
ein irriger. Auch diese, wenn sie eine psychologische Wirksamkeit
und Betonung hat, meint keineswegs nur die Abwesenheit jeder Gesell-
schaft, sondern grade ihr ideelles und dann erst verneintes Dasein; sie
ist eine Fernwirkung der Gesellschaft, die positive Bestimmung des
Individuums durch negative Vergesellschaftung. Falls die blosse Iso-
lierung schon nicht eine direkte Sehnsucht nach Anderen, eine Ab-
hängigkeit des Gefühls erzeugt, so stellt sie den Menschen überhaupt
jenseits der ganzen Frage von Abhängigkeit oder Freiheit und lässt die
thatsächlich genossene Freiheit zu keinem Bewusstseinswert kommen,
weil ihr der Gegensatz, die Reibung, Versuchung, Nähe des Unter-
schiedes fehlt. Wenn die Entwicklung der Individualität, die Über-
zeugung, mit allem einzelnen Wollen und Fühlen den Kern unseres
Ich zu entfalten, als Freiheit gelten soll, so tritt sie unter diese Kate-
gorie nicht als blosse Beziehungslosigkeit, sondern grade als eine ganz
bestimmte Beziehung zu Andern. Diese Andern müssen zunächst doch
dasein und empfunden werden, damit sie einem gleichgültig sein
können. Die individuelle Freiheit ist keine rein innere Beschaffenheit

Enge persönlicher Beziehung, oft persönlicher Unersetzbarkeit der-
selben bezahlen muſste, werden wir für die Vielheit unserer Abhängig-
keiten durch die Gleichgültigkeit gegen die dahinter stehenden Per-
sonen und die Freiheit des Wechsels mit ihnen entschädigt. Und wenn
wir durch die Kompliziertheit unserer Bedürfnisse einerseits, die
Spezialisiertheit unserer Fähigkeiten andrerseits von dem Ganzen der
Gesellschaft sehr viel abhängiger sind als der primitive Mensch, der
sich allenfalls mit seiner ganz engen isolierten Gruppe durchs Leben
schlagen konnte — so sind wir dafür von jedem bestimmten Ele-
mente dieser Gesellschaft auſserordentlich unabhängig, weil seine Be-
deutung für uns in die einseitige Sachlichkeit seiner Leistung über-
gegangen ist, die deshalb viel leichter auch von so und so viel anderen
und persönlich verschiedenen Menschen produziert werden kann, mit
denen uns nichts als das in Geld restlos ausdrückbare Interesse ver-
bindet.

Dies ist nun die günstigste Lage, um innere Unabhängigkeit, das
Gefühl individuellen Fürsichseins, zustande zu bringen. Denn der
bloſsen Isolierung Anderen gegenüber gelingt die positive, hiermit ge-
meinte Verfassung noch nicht; rein logisch formuliert: die Unabhängig-
keit ist noch etwas Anderes als die bloſse Nicht-Abhängigkeit — wie
etwa Unsterblichkeit noch etwas Anderes ist als Nicht-Sterblichkeit;
denn nicht sterblich ist auch der Stein oder das Metall, die man doch
nicht unsterblich nennen dürfte. Ist doch schon an der andern Be-
deutung des Isoliertseins, der Einsamkeit, der Anschein reiner Negativität
ein irriger. Auch diese, wenn sie eine psychologische Wirksamkeit
und Betonung hat, meint keineswegs nur die Abwesenheit jeder Gesell-
schaft, sondern grade ihr ideelles und dann erst verneintes Dasein; sie
ist eine Fernwirkung der Gesellschaft, die positive Bestimmung des
Individuums durch negative Vergesellschaftung. Falls die bloſse Iso-
lierung schon nicht eine direkte Sehnsucht nach Anderen, eine Ab-
hängigkeit des Gefühls erzeugt, so stellt sie den Menschen überhaupt
jenseits der ganzen Frage von Abhängigkeit oder Freiheit und läſst die
thatsächlich genossene Freiheit zu keinem Bewuſstseinswert kommen,
weil ihr der Gegensatz, die Reibung, Versuchung, Nähe des Unter-
schiedes fehlt. Wenn die Entwicklung der Individualität, die Über-
zeugung, mit allem einzelnen Wollen und Fühlen den Kern unseres
Ich zu entfalten, als Freiheit gelten soll, so tritt sie unter diese Kate-
gorie nicht als bloſse Beziehungslosigkeit, sondern grade als eine ganz
bestimmte Beziehung zu Andern. Diese Andern müssen zunächst doch
dasein und empfunden werden, damit sie einem gleichgültig sein
können. Die individuelle Freiheit ist keine rein innere Beschaffenheit

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[295/0319] Enge persönlicher Beziehung, oft persönlicher Unersetzbarkeit der- selben bezahlen muſste, werden wir für die Vielheit unserer Abhängig- keiten durch die Gleichgültigkeit gegen die dahinter stehenden Per- sonen und die Freiheit des Wechsels mit ihnen entschädigt. Und wenn wir durch die Kompliziertheit unserer Bedürfnisse einerseits, die Spezialisiertheit unserer Fähigkeiten andrerseits von dem Ganzen der Gesellschaft sehr viel abhängiger sind als der primitive Mensch, der sich allenfalls mit seiner ganz engen isolierten Gruppe durchs Leben schlagen konnte — so sind wir dafür von jedem bestimmten Ele- mente dieser Gesellschaft auſserordentlich unabhängig, weil seine Be- deutung für uns in die einseitige Sachlichkeit seiner Leistung über- gegangen ist, die deshalb viel leichter auch von so und so viel anderen und persönlich verschiedenen Menschen produziert werden kann, mit denen uns nichts als das in Geld restlos ausdrückbare Interesse ver- bindet. Dies ist nun die günstigste Lage, um innere Unabhängigkeit, das Gefühl individuellen Fürsichseins, zustande zu bringen. Denn der bloſsen Isolierung Anderen gegenüber gelingt die positive, hiermit ge- meinte Verfassung noch nicht; rein logisch formuliert: die Unabhängig- keit ist noch etwas Anderes als die bloſse Nicht-Abhängigkeit — wie etwa Unsterblichkeit noch etwas Anderes ist als Nicht-Sterblichkeit; denn nicht sterblich ist auch der Stein oder das Metall, die man doch nicht unsterblich nennen dürfte. Ist doch schon an der andern Be- deutung des Isoliertseins, der Einsamkeit, der Anschein reiner Negativität ein irriger. Auch diese, wenn sie eine psychologische Wirksamkeit und Betonung hat, meint keineswegs nur die Abwesenheit jeder Gesell- schaft, sondern grade ihr ideelles und dann erst verneintes Dasein; sie ist eine Fernwirkung der Gesellschaft, die positive Bestimmung des Individuums durch negative Vergesellschaftung. Falls die bloſse Iso- lierung schon nicht eine direkte Sehnsucht nach Anderen, eine Ab- hängigkeit des Gefühls erzeugt, so stellt sie den Menschen überhaupt jenseits der ganzen Frage von Abhängigkeit oder Freiheit und läſst die thatsächlich genossene Freiheit zu keinem Bewuſstseinswert kommen, weil ihr der Gegensatz, die Reibung, Versuchung, Nähe des Unter- schiedes fehlt. Wenn die Entwicklung der Individualität, die Über- zeugung, mit allem einzelnen Wollen und Fühlen den Kern unseres Ich zu entfalten, als Freiheit gelten soll, so tritt sie unter diese Kate- gorie nicht als bloſse Beziehungslosigkeit, sondern grade als eine ganz bestimmte Beziehung zu Andern. Diese Andern müssen zunächst doch dasein und empfunden werden, damit sie einem gleichgültig sein können. Die individuelle Freiheit ist keine rein innere Beschaffenheit

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/319>, abgerufen am 22.11.2024.