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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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Mass intellektueller Ausbildung gebunden; aber nur dann wird sie dies
ausnützen, ja ertragen können, wenn es nicht spezialistisch zugespitzt
ist, sondern seinen Umfang und seine Vertiefungen nur auf allgemeineren
Gebieten entfaltet; andernfalls wird die Selbständigkeit und rein künst-
lerische Motivierung der Produktion Abbiegungen und Beengungen er-
fahren. So wird das Gefühl der Liebe freilich die genaueste Kenntnis
der geliebten Person zur Ursache wie zur Wirkung oder zur Begleit-
erscheinung haben können; dennoch wird die Steigerung des Gefühls
zu seiner Höhe und sein Verbleiben auf ihr leicht dadurch gehindert,
dass das Bewusstsein sich mit einseitiger Zuspitzung auf irgend eine
einzelne Eigenschaft des Anderen richtet; vielmehr, nur wenn das all-
gemeine Bild desselben, wie unter Ausgleich alles Einzelnen und Ein-
seitigen, was man von ihm weiss, das Bewusstsein über ihn ausmacht,
ist es eine Grundlage, auf der das liebende Gefühl seine Kraft und
Innigkeit am ungestörtesten und gleichsam nur auf sich selber hörend
entfalten kann. So scheint allenthalben die unvermeidliche Verschmelzung
der psychischen Energien die freie, nur der eignen Norm folgende
Entwicklung der einzelnen nur dann nicht zu behindern, wenn sie nicht
mit einer spezialisierten Seite oder Ausbildungsstadium der andern,
sondern mit dem ganz Allgemeinen derselben verbunden ist; nur so
scheint die Distanz zwischen beiden herstellbar, die je der einen von
ihnen eine differenzierte Entfaltung ermöglicht.

Diesem Typus gehört wohl auch der Fall an, der uns hier be-
schäftigt. Die rein geistigen Reihen der psychischen Prozesse sind von
denen, die die ökonomischen Interessen tragen, nicht völlig zu trennen;
der fundamentale Charakter der letzteren verhindert das zwar nicht im
einzelnen und in Ausnahmefällen, wohl aber in den durchgängigen
Zusammenhängen des individuellen und sozialen Lebens. Wenn dies
nun schon die absolute Ungestörtheit und Freiheit der bloss geistigen
Arbeit einschränkt, so wird es das doch um so weniger thun, je weniger
die Bindung ein speziell bestimmtes ökonomisches Objekt betrifft. Wenn
es gelingt, die ökonomische Interessenreihe in dieser Hinsicht nur auf
das ganz Allgemeine ihrer zu stellen, so gewinnt die geistige Reihe
eine Distanz von ihr, die sie, bei der Zuspitzung jener auf ein spezi-
fisches und deshalb spezifische Aufmerksamkeit erforderndes Objekt,
nicht einhalten könnte. Die nach dieser Richtung geeignetste Besitzart
war lange Zeit hindurch, wie erwähnt, der Grundbesitz. Die Art seines
Betriebes, die unmittelbare Verwendbarkeit seiner Produkte einerseits,
die gleichmässige Absetzbarkeit derselben andrerseits gestattete der
intellektuellen Energie eine relative Differenziertheit und Ungestörtheit;
aber erst die Geldwirtschaft vermochte dies so zu steigern, dass jemand

Maſs intellektueller Ausbildung gebunden; aber nur dann wird sie dies
ausnützen, ja ertragen können, wenn es nicht spezialistisch zugespitzt
ist, sondern seinen Umfang und seine Vertiefungen nur auf allgemeineren
Gebieten entfaltet; andernfalls wird die Selbständigkeit und rein künst-
lerische Motivierung der Produktion Abbiegungen und Beengungen er-
fahren. So wird das Gefühl der Liebe freilich die genaueste Kenntnis
der geliebten Person zur Ursache wie zur Wirkung oder zur Begleit-
erscheinung haben können; dennoch wird die Steigerung des Gefühls
zu seiner Höhe und sein Verbleiben auf ihr leicht dadurch gehindert,
daſs das Bewuſstsein sich mit einseitiger Zuspitzung auf irgend eine
einzelne Eigenschaft des Anderen richtet; vielmehr, nur wenn das all-
gemeine Bild desselben, wie unter Ausgleich alles Einzelnen und Ein-
seitigen, was man von ihm weiſs, das Bewuſstsein über ihn ausmacht,
ist es eine Grundlage, auf der das liebende Gefühl seine Kraft und
Innigkeit am ungestörtesten und gleichsam nur auf sich selber hörend
entfalten kann. So scheint allenthalben die unvermeidliche Verschmelzung
der psychischen Energien die freie, nur der eignen Norm folgende
Entwicklung der einzelnen nur dann nicht zu behindern, wenn sie nicht
mit einer spezialisierten Seite oder Ausbildungsstadium der andern,
sondern mit dem ganz Allgemeinen derselben verbunden ist; nur so
scheint die Distanz zwischen beiden herstellbar, die je der einen von
ihnen eine differenzierte Entfaltung ermöglicht.

Diesem Typus gehört wohl auch der Fall an, der uns hier be-
schäftigt. Die rein geistigen Reihen der psychischen Prozesse sind von
denen, die die ökonomischen Interessen tragen, nicht völlig zu trennen;
der fundamentale Charakter der letzteren verhindert das zwar nicht im
einzelnen und in Ausnahmefällen, wohl aber in den durchgängigen
Zusammenhängen des individuellen und sozialen Lebens. Wenn dies
nun schon die absolute Ungestörtheit und Freiheit der bloſs geistigen
Arbeit einschränkt, so wird es das doch um so weniger thun, je weniger
die Bindung ein speziell bestimmtes ökonomisches Objekt betrifft. Wenn
es gelingt, die ökonomische Interessenreihe in dieser Hinsicht nur auf
das ganz Allgemeine ihrer zu stellen, so gewinnt die geistige Reihe
eine Distanz von ihr, die sie, bei der Zuspitzung jener auf ein spezi-
fisches und deshalb spezifische Aufmerksamkeit erforderndes Objekt,
nicht einhalten könnte. Die nach dieser Richtung geeignetste Besitzart
war lange Zeit hindurch, wie erwähnt, der Grundbesitz. Die Art seines
Betriebes, die unmittelbare Verwendbarkeit seiner Produkte einerseits,
die gleichmäſsige Absetzbarkeit derselben andrerseits gestattete der
intellektuellen Energie eine relative Differenziertheit und Ungestörtheit;
aber erst die Geldwirtschaft vermochte dies so zu steigern, daſs jemand

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[316/0340] Maſs intellektueller Ausbildung gebunden; aber nur dann wird sie dies ausnützen, ja ertragen können, wenn es nicht spezialistisch zugespitzt ist, sondern seinen Umfang und seine Vertiefungen nur auf allgemeineren Gebieten entfaltet; andernfalls wird die Selbständigkeit und rein künst- lerische Motivierung der Produktion Abbiegungen und Beengungen er- fahren. So wird das Gefühl der Liebe freilich die genaueste Kenntnis der geliebten Person zur Ursache wie zur Wirkung oder zur Begleit- erscheinung haben können; dennoch wird die Steigerung des Gefühls zu seiner Höhe und sein Verbleiben auf ihr leicht dadurch gehindert, daſs das Bewuſstsein sich mit einseitiger Zuspitzung auf irgend eine einzelne Eigenschaft des Anderen richtet; vielmehr, nur wenn das all- gemeine Bild desselben, wie unter Ausgleich alles Einzelnen und Ein- seitigen, was man von ihm weiſs, das Bewuſstsein über ihn ausmacht, ist es eine Grundlage, auf der das liebende Gefühl seine Kraft und Innigkeit am ungestörtesten und gleichsam nur auf sich selber hörend entfalten kann. So scheint allenthalben die unvermeidliche Verschmelzung der psychischen Energien die freie, nur der eignen Norm folgende Entwicklung der einzelnen nur dann nicht zu behindern, wenn sie nicht mit einer spezialisierten Seite oder Ausbildungsstadium der andern, sondern mit dem ganz Allgemeinen derselben verbunden ist; nur so scheint die Distanz zwischen beiden herstellbar, die je der einen von ihnen eine differenzierte Entfaltung ermöglicht. Diesem Typus gehört wohl auch der Fall an, der uns hier be- schäftigt. Die rein geistigen Reihen der psychischen Prozesse sind von denen, die die ökonomischen Interessen tragen, nicht völlig zu trennen; der fundamentale Charakter der letzteren verhindert das zwar nicht im einzelnen und in Ausnahmefällen, wohl aber in den durchgängigen Zusammenhängen des individuellen und sozialen Lebens. Wenn dies nun schon die absolute Ungestörtheit und Freiheit der bloſs geistigen Arbeit einschränkt, so wird es das doch um so weniger thun, je weniger die Bindung ein speziell bestimmtes ökonomisches Objekt betrifft. Wenn es gelingt, die ökonomische Interessenreihe in dieser Hinsicht nur auf das ganz Allgemeine ihrer zu stellen, so gewinnt die geistige Reihe eine Distanz von ihr, die sie, bei der Zuspitzung jener auf ein spezi- fisches und deshalb spezifische Aufmerksamkeit erforderndes Objekt, nicht einhalten könnte. Die nach dieser Richtung geeignetste Besitzart war lange Zeit hindurch, wie erwähnt, der Grundbesitz. Die Art seines Betriebes, die unmittelbare Verwendbarkeit seiner Produkte einerseits, die gleichmäſsige Absetzbarkeit derselben andrerseits gestattete der intellektuellen Energie eine relative Differenziertheit und Ungestörtheit; aber erst die Geldwirtschaft vermochte dies so zu steigern, daſs jemand

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/340>, abgerufen am 21.11.2024.