die Freiheit im gewöhnlichen Sinne, als Unabhängigkeit von äusseren Mächten, einbegriffen. Denn die Unfreiheit, die wir durch solche er- leiden, bedeutet, genau angesehen, nichts Anderes, als dass die für sie in Bewegung gesetzte innere Kraft, die zu einem oktroyierten Zweck engagierte Seelenprovinz andere Energien und Interessen in eine Rich- tung mit hineinzieht, die diese, sich selbst überlassen, nicht nehmen würden. Eine uns aufgezwungene Arbeit würden wir nicht als Un- freiheit empfinden, wenn sie uns nicht an anderweitigem Thun oder Geniessen hinderte; eine uns auferlegte Entbehrung niemals als Un- freiheit, wenn sie nicht andere, normale oder erwünschte Empfindungs- Energien abböge oder unterdrückte. Jener alte Satz, dass Freiheit bedeutet, der eignen Natur gemäss zu leben, ist nur der zusammen- fassende und abstrakte Ausdruck für das, was hier in konkreter Einzel- heit gemeint ist; da der Mensch aus einer Anzahl von Qualitäten, Kräften und Impulsen besteht, so bedeutet Freiheit die Selbständigkeit und nur dem eignen Lebensgesetz folgende Entfaltung jedes derselben.
Nun kann diese Lösung der einzelnen psychischen Reihen von gegenseitiger Beeinflussung niemals eine absolute werden; sie findet vielmehr ihre Grenze an den thatsächlichen und unentbehrlichen psy- chischen Zusammenhängen, vermöge deren der Mensch schliesslich in aller Mannigfaltigkeit seines Seins und Thuns als eine relative Einheit erscheint. Die vollständige Differenziertheit oder Freiheit einer inneren Reihe ist ein unvollziehbarer Begriff. Die Formel des in dieser Hin- sicht Erreichbaren dürfte die sein, dass die Verschlingungen und Bin- dungen immer weniger die einzelnen Punkte der Reihen betreffen; wo eine Reihe mit einem andern psychischen Gebiet unvermeidlich verbunden ist, wird sie ihre selbständigste Ausbildung erreichen, wenn sie mit diesem Gebiet nur im allgemeinen, nicht aber mit seinen Elementen ganz im einzelnen verbunden ist. Während z. B. die Intelligenz im engen Zusammenhang mit dem Willen steht, derart, dass ihre grössten Vertiefungen und Leistungen nur bei der energischsten Lebendigkeit des letzteren zustande kommen -- wird das Denken so- gleich von seinen eignen Normen, von der Unabhängigkeit seiner inneren Folgerichtigkeit abgebogen, sobald der Wille, der es treibt, eine spezifische Färbung, einen speziellen Inhalt besitzt. Die Intelli- genz bedarf durchaus der Verschmelzung mit der allgemeinen Lebens- energie; je mehr sie aber mit besonderen Ausgestaltungen der letzteren: religiösen, politischen, sinnlichen u. s. w. verschmilzt, um so mehr kommt sie in Gefahr, ihre eigene Wesensrichtung nicht mehr un- abhängig entwickeln zu können. So ist die künstlerische Produktion in Stadien besonderer Verfeinerung und Vergeistigung an ein höheres
die Freiheit im gewöhnlichen Sinne, als Unabhängigkeit von äuſseren Mächten, einbegriffen. Denn die Unfreiheit, die wir durch solche er- leiden, bedeutet, genau angesehen, nichts Anderes, als daſs die für sie in Bewegung gesetzte innere Kraft, die zu einem oktroyierten Zweck engagierte Seelenprovinz andere Energien und Interessen in eine Rich- tung mit hineinzieht, die diese, sich selbst überlassen, nicht nehmen würden. Eine uns aufgezwungene Arbeit würden wir nicht als Un- freiheit empfinden, wenn sie uns nicht an anderweitigem Thun oder Genieſsen hinderte; eine uns auferlegte Entbehrung niemals als Un- freiheit, wenn sie nicht andere, normale oder erwünschte Empfindungs- Energien abböge oder unterdrückte. Jener alte Satz, daſs Freiheit bedeutet, der eignen Natur gemäſs zu leben, ist nur der zusammen- fassende und abstrakte Ausdruck für das, was hier in konkreter Einzel- heit gemeint ist; da der Mensch aus einer Anzahl von Qualitäten, Kräften und Impulsen besteht, so bedeutet Freiheit die Selbständigkeit und nur dem eignen Lebensgesetz folgende Entfaltung jedes derselben.
Nun kann diese Lösung der einzelnen psychischen Reihen von gegenseitiger Beeinflussung niemals eine absolute werden; sie findet vielmehr ihre Grenze an den thatsächlichen und unentbehrlichen psy- chischen Zusammenhängen, vermöge deren der Mensch schlieſslich in aller Mannigfaltigkeit seines Seins und Thuns als eine relative Einheit erscheint. Die vollständige Differenziertheit oder Freiheit einer inneren Reihe ist ein unvollziehbarer Begriff. Die Formel des in dieser Hin- sicht Erreichbaren dürfte die sein, daſs die Verschlingungen und Bin- dungen immer weniger die einzelnen Punkte der Reihen betreffen; wo eine Reihe mit einem andern psychischen Gebiet unvermeidlich verbunden ist, wird sie ihre selbständigste Ausbildung erreichen, wenn sie mit diesem Gebiet nur im allgemeinen, nicht aber mit seinen Elementen ganz im einzelnen verbunden ist. Während z. B. die Intelligenz im engen Zusammenhang mit dem Willen steht, derart, daſs ihre gröſsten Vertiefungen und Leistungen nur bei der energischsten Lebendigkeit des letzteren zustande kommen — wird das Denken so- gleich von seinen eignen Normen, von der Unabhängigkeit seiner inneren Folgerichtigkeit abgebogen, sobald der Wille, der es treibt, eine spezifische Färbung, einen speziellen Inhalt besitzt. Die Intelli- genz bedarf durchaus der Verschmelzung mit der allgemeinen Lebens- energie; je mehr sie aber mit besonderen Ausgestaltungen der letzteren: religiösen, politischen, sinnlichen u. s. w. verschmilzt, um so mehr kommt sie in Gefahr, ihre eigene Wesensrichtung nicht mehr un- abhängig entwickeln zu können. So ist die künstlerische Produktion in Stadien besonderer Verfeinerung und Vergeistigung an ein höheres
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die Freiheit im gewöhnlichen Sinne, als Unabhängigkeit von äuſseren
Mächten, einbegriffen. Denn die Unfreiheit, die wir durch solche er-
leiden, bedeutet, genau angesehen, nichts Anderes, als daſs die für sie
in Bewegung gesetzte innere Kraft, die zu einem oktroyierten Zweck
engagierte Seelenprovinz andere Energien und Interessen in eine Rich-
tung mit hineinzieht, die diese, sich selbst überlassen, nicht nehmen
würden. Eine uns aufgezwungene Arbeit würden wir nicht als Un-
freiheit empfinden, wenn sie uns nicht an anderweitigem Thun oder
Genieſsen hinderte; eine uns auferlegte Entbehrung niemals als Un-
freiheit, wenn sie nicht andere, normale oder erwünschte Empfindungs-
Energien abböge oder unterdrückte. Jener alte Satz, daſs Freiheit
bedeutet, der eignen Natur gemäſs zu leben, ist nur der zusammen-
fassende und abstrakte Ausdruck für das, was hier in konkreter Einzel-
heit gemeint ist; da der Mensch aus einer Anzahl von Qualitäten,
Kräften und Impulsen besteht, so bedeutet Freiheit die Selbständigkeit
und nur dem eignen Lebensgesetz folgende Entfaltung jedes derselben.
Nun kann diese Lösung der einzelnen psychischen Reihen von
gegenseitiger Beeinflussung niemals eine absolute werden; sie findet
vielmehr ihre Grenze an den thatsächlichen und unentbehrlichen psy-
chischen Zusammenhängen, vermöge deren der Mensch schlieſslich in
aller Mannigfaltigkeit seines Seins und Thuns als eine relative Einheit
erscheint. Die vollständige Differenziertheit oder Freiheit einer inneren
Reihe ist ein unvollziehbarer Begriff. Die Formel des in dieser Hin-
sicht Erreichbaren dürfte die sein, daſs die Verschlingungen und Bin-
dungen immer weniger die einzelnen Punkte der Reihen betreffen;
wo eine Reihe mit einem andern psychischen Gebiet unvermeidlich
verbunden ist, wird sie ihre selbständigste Ausbildung erreichen, wenn
sie mit diesem Gebiet nur im allgemeinen, nicht aber mit seinen
Elementen ganz im einzelnen verbunden ist. Während z. B. die
Intelligenz im engen Zusammenhang mit dem Willen steht, derart, daſs
ihre gröſsten Vertiefungen und Leistungen nur bei der energischsten
Lebendigkeit des letzteren zustande kommen — wird das Denken so-
gleich von seinen eignen Normen, von der Unabhängigkeit seiner
inneren Folgerichtigkeit abgebogen, sobald der Wille, der es treibt,
eine spezifische Färbung, einen speziellen Inhalt besitzt. Die Intelli-
genz bedarf durchaus der Verschmelzung mit der allgemeinen Lebens-
energie; je mehr sie aber mit besonderen Ausgestaltungen der letzteren:
religiösen, politischen, sinnlichen u. s. w. verschmilzt, um so mehr
kommt sie in Gefahr, ihre eigene Wesensrichtung nicht mehr un-
abhängig entwickeln zu können. So ist die künstlerische Produktion
in Stadien besonderer Verfeinerung und Vergeistigung an ein höheres
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/339>, abgerufen am 22.11.2024.
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