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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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möchte sagen symptomatischste unter den Momenten dar, die den welt-
geschichtlichen Wechsel zwischen Kontraktion und Lockerung jener
Beziehung veranlassen. --

Wenn also Freiheit den Sinn hat, Sein und Haben von einander
unabhängig zu machen, und wenn der Geldbesitz die Bestimmtheit des
einen durch das andere am entschiedensten lockert und durchbricht --
so steht dem ein anderer und positiverer Begriff ihrer gegenüber, der
das Sein und das Haben auf einer andern Stufe wiederum enger ver-
bindet, darum aber nicht weniger im Geld seine entschiedenste Ver-
wirklichung findet. Ich knüpfe an die obige Bestimmung an, dass der
Besitz nicht, wie es oberflächlich scheint, ein passives Aufnehmen von
Objekten ist, sondern ein Thun an und mit ihnen. Nichts anderes
kann der Besitz, auch der umfassendste und unbeschränkteste, mit den
Dingen thun, als den Willen des Ich an ihnen ausprägen: denn das
eben heisst eine Sache besitzen, dass sie meinem Willen keinen Wider-
stand entgegensetzt, dass er sich ihr gegenüber durchsetzen kann: und
wenn ich von einem Menschen sage, dass ich ihn "besitze", so bedeutet
dies, dass er meinem Willen nachgiebt, dass natürliche Harmonie oder
suggestive Vergewaltigung mein Sein und Wollen sich gleichsam an
ihm fortsetzen lassen. Wie mein Körper deshalb mein ist und in
höherem Masse "mein" als jedes andere Objekt, weil er unmittelbarer
und vollständiger als jedes andere meinen psychischen Impulsen ge-
horcht, und diese sich relativ vollständig in ihm ausdrücken: so ist
jedes Ding in demselben Masse mein, in dem dies von ihm gilt. Dass
man mit einer Sache "machen kann, was man will", das ist nicht erst
eine Folge des Besitzens, sondern das eben heisst es sie zu besitzen. So
wird das Ich von seinem gesamten "Besitz" wie von einem Bereich um-
geben, in dem seine Tendenzen und Charakterzüge sichtbare Wirklich-
keit gewinnen, er bildet eine Erweiterung des Ich, das nur das Zentrum
ist, von dem aus Fulgurationen in die Dinge hineingehen; und die
Dinge sind eben mein, wenn sie sich dem Recht und der Kraft meines
Ich ergeben, sie nach seinem Willen zu gestalten. Diese enge Be-
ziehung zum Ich, die den Besitz gleichsam als dessen Sphäre und Aus-
druck erscheinen lässt, knüpft sich keineswegs nur an ihn, soweit er
dauert und behalten wird. Es stimmt vielmehr mit unserer Vorstellung
vom Besitz als einer Summe von Aktionen durchaus überein, dass grade
das Fortgeben von Werten, sei es im Tausch, sei es als Geschenk,
eine gewisse Steigerung des Persönlichkeitsgefühls mit sich führen
kann -- den Reiz, der mit der Selbstentäusserung, Selbstopferung ver-
bunden ist und der auf dem Umwege über eine Verminderung eine
Erhöhung des Selbst bedeutet. Oft empfindet man erst im Fortgeben

möchte sagen symptomatischste unter den Momenten dar, die den welt-
geschichtlichen Wechsel zwischen Kontraktion und Lockerung jener
Beziehung veranlassen. —

Wenn also Freiheit den Sinn hat, Sein und Haben von einander
unabhängig zu machen, und wenn der Geldbesitz die Bestimmtheit des
einen durch das andere am entschiedensten lockert und durchbricht —
so steht dem ein anderer und positiverer Begriff ihrer gegenüber, der
das Sein und das Haben auf einer andern Stufe wiederum enger ver-
bindet, darum aber nicht weniger im Geld seine entschiedenste Ver-
wirklichung findet. Ich knüpfe an die obige Bestimmung an, daſs der
Besitz nicht, wie es oberflächlich scheint, ein passives Aufnehmen von
Objekten ist, sondern ein Thun an und mit ihnen. Nichts anderes
kann der Besitz, auch der umfassendste und unbeschränkteste, mit den
Dingen thun, als den Willen des Ich an ihnen ausprägen: denn das
eben heiſst eine Sache besitzen, daſs sie meinem Willen keinen Wider-
stand entgegensetzt, daſs er sich ihr gegenüber durchsetzen kann: und
wenn ich von einem Menschen sage, daſs ich ihn „besitze“, so bedeutet
dies, daſs er meinem Willen nachgiebt, daſs natürliche Harmonie oder
suggestive Vergewaltigung mein Sein und Wollen sich gleichsam an
ihm fortsetzen lassen. Wie mein Körper deshalb mein ist und in
höherem Maſse „mein“ als jedes andere Objekt, weil er unmittelbarer
und vollständiger als jedes andere meinen psychischen Impulsen ge-
horcht, und diese sich relativ vollständig in ihm ausdrücken: so ist
jedes Ding in demselben Maſse mein, in dem dies von ihm gilt. Daſs
man mit einer Sache „machen kann, was man will“, das ist nicht erst
eine Folge des Besitzens, sondern das eben heiſst es sie zu besitzen. So
wird das Ich von seinem gesamten „Besitz“ wie von einem Bereich um-
geben, in dem seine Tendenzen und Charakterzüge sichtbare Wirklich-
keit gewinnen, er bildet eine Erweiterung des Ich, das nur das Zentrum
ist, von dem aus Fulgurationen in die Dinge hineingehen; und die
Dinge sind eben mein, wenn sie sich dem Recht und der Kraft meines
Ich ergeben, sie nach seinem Willen zu gestalten. Diese enge Be-
ziehung zum Ich, die den Besitz gleichsam als dessen Sphäre und Aus-
druck erscheinen läſst, knüpft sich keineswegs nur an ihn, soweit er
dauert und behalten wird. Es stimmt vielmehr mit unserer Vorstellung
vom Besitz als einer Summe von Aktionen durchaus überein, daſs grade
das Fortgeben von Werten, sei es im Tausch, sei es als Geschenk,
eine gewisse Steigerung des Persönlichkeitsgefühls mit sich führen
kann — den Reiz, der mit der Selbstentäuſserung, Selbstopferung ver-
bunden ist und der auf dem Umwege über eine Verminderung eine
Erhöhung des Selbst bedeutet. Oft empfindet man erst im Fortgeben

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[324/0348] möchte sagen symptomatischste unter den Momenten dar, die den welt- geschichtlichen Wechsel zwischen Kontraktion und Lockerung jener Beziehung veranlassen. — Wenn also Freiheit den Sinn hat, Sein und Haben von einander unabhängig zu machen, und wenn der Geldbesitz die Bestimmtheit des einen durch das andere am entschiedensten lockert und durchbricht — so steht dem ein anderer und positiverer Begriff ihrer gegenüber, der das Sein und das Haben auf einer andern Stufe wiederum enger ver- bindet, darum aber nicht weniger im Geld seine entschiedenste Ver- wirklichung findet. Ich knüpfe an die obige Bestimmung an, daſs der Besitz nicht, wie es oberflächlich scheint, ein passives Aufnehmen von Objekten ist, sondern ein Thun an und mit ihnen. Nichts anderes kann der Besitz, auch der umfassendste und unbeschränkteste, mit den Dingen thun, als den Willen des Ich an ihnen ausprägen: denn das eben heiſst eine Sache besitzen, daſs sie meinem Willen keinen Wider- stand entgegensetzt, daſs er sich ihr gegenüber durchsetzen kann: und wenn ich von einem Menschen sage, daſs ich ihn „besitze“, so bedeutet dies, daſs er meinem Willen nachgiebt, daſs natürliche Harmonie oder suggestive Vergewaltigung mein Sein und Wollen sich gleichsam an ihm fortsetzen lassen. Wie mein Körper deshalb mein ist und in höherem Maſse „mein“ als jedes andere Objekt, weil er unmittelbarer und vollständiger als jedes andere meinen psychischen Impulsen ge- horcht, und diese sich relativ vollständig in ihm ausdrücken: so ist jedes Ding in demselben Maſse mein, in dem dies von ihm gilt. Daſs man mit einer Sache „machen kann, was man will“, das ist nicht erst eine Folge des Besitzens, sondern das eben heiſst es sie zu besitzen. So wird das Ich von seinem gesamten „Besitz“ wie von einem Bereich um- geben, in dem seine Tendenzen und Charakterzüge sichtbare Wirklich- keit gewinnen, er bildet eine Erweiterung des Ich, das nur das Zentrum ist, von dem aus Fulgurationen in die Dinge hineingehen; und die Dinge sind eben mein, wenn sie sich dem Recht und der Kraft meines Ich ergeben, sie nach seinem Willen zu gestalten. Diese enge Be- ziehung zum Ich, die den Besitz gleichsam als dessen Sphäre und Aus- druck erscheinen läſst, knüpft sich keineswegs nur an ihn, soweit er dauert und behalten wird. Es stimmt vielmehr mit unserer Vorstellung vom Besitz als einer Summe von Aktionen durchaus überein, daſs grade das Fortgeben von Werten, sei es im Tausch, sei es als Geschenk, eine gewisse Steigerung des Persönlichkeitsgefühls mit sich führen kann — den Reiz, der mit der Selbstentäuſserung, Selbstopferung ver- bunden ist und der auf dem Umwege über eine Verminderung eine Erhöhung des Selbst bedeutet. Oft empfindet man erst im Fortgeben

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/348>, abgerufen am 21.11.2024.