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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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den Besitz, ganz wie man ein Körperelement am energischsten im Mo-
ment der Exstirpation fühlt. Der Reiz des Habens spitzt sich im
Augenblick des Fortgebens so stark zu -- schmerzlich oder geniessend --
wie es ohne diesen Preis nie stattfindet. Dieser Augenblick ist --
genau wie der des Gewinnens -- ein eminent "fruchtbarer Moment",
das Können der Persönlichkeit, das der Besitz darstellt, erscheint in
dieser äussersten Verfügung über ihn am fühlbarsten aufgegipfelt --
wie es mit einer gewissen Modifikation auch in der Wollust des Zer-
störens geschieht. Wenn deshalb von den arabischen Beduinen be-
richtet wird, dass bei ihnen Betteln, Schenken und Plündern Wechsel-
begriffe und notwendig zusammenhängende Handlungen sind, so beweist
dies, insbesondere in Anbetracht des stark individualistischen Charakters
jener Stämme, wie alle diese verschiedenen Aktionen mit dem Besitz
doch nur mit verschiedenen Vorzeichen und nach verschiedenen Rich-
tungen hin einen und denselben Sinn und Grundwert aller Besitzobjekte
aussprechen: dass die Persönlichkeit sich in ihnen auslebt, ausprägt,
ausbreitet. So ist das Entscheidende für das Verständnis des Besitzes,
dass die scharfe Grenzsetzung zwischen ihm und dem Ich, zwischen
dem Inneren und dem Äusseren als eine ganz oberflächliche erkannt
und für eine tiefere Betrachtung verflüssigt werde. Einerseits liegt die
ganze Bedeutung des Besitzes darin, gewisse Gefühle und Impulse in
der Seele auszulösen, andrerseits erstreckt sich die Sphäre des Ich
über diese "äusseren" Objekte und in sie hinein, wie sich in der Be-
wegung des Violinbogens oder des Pinsels doch der Vorgang in der
Seele des Geigers oder des Malers kontinuierlich fortsetzt. Wie jedes
äussere Objekt als Besitz sinnlos wäre, wenn es nicht zu einem psy-
chischen Wert würde, so würde das Ich gleichsam ausdehnungslos in
einen Punkt zusammenfallen, wenn es nicht äussere Objekte um sich
herum hätte, die seine Tendenzen, Kraft und individuelle Art an sich
ausprägen lassen, weil sie ihm gehorchen, d. h. gehören. Es ist mir
auch deshalb wahrscheinlich, dass die Entwicklung des Privateigentums
nicht grade die Arbeitsprodukte als solche am ehesten und intensivsten
ergriffen habe, sondern die Arbeitswerkzeuge, einschliesslich der
Waffen. Denn grade die Werkzeuge funktionieren am unmittelbarsten
als Verlängerungen der Körperglieder, erst an ihrem Endpunkt pflegt
der Widerstand der Dinge gegen unsere Impulse empfunden zu werden;
so ist das Aktivitätsmoment an ihrem Besitze grösser als an ander-
weitigem und sie werden deshalb nächst dem Körper am gründlichsten
in das Ich einbezogen.

Man könnte sagen, das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein
Wachstum der Persönlichkeit über das Mass des Individuums hinaus --

den Besitz, ganz wie man ein Körperelement am energischsten im Mo-
ment der Exstirpation fühlt. Der Reiz des Habens spitzt sich im
Augenblick des Fortgebens so stark zu — schmerzlich oder genieſsend —
wie es ohne diesen Preis nie stattfindet. Dieser Augenblick ist —
genau wie der des Gewinnens — ein eminent „fruchtbarer Moment“,
das Können der Persönlichkeit, das der Besitz darstellt, erscheint in
dieser äuſsersten Verfügung über ihn am fühlbarsten aufgegipfelt —
wie es mit einer gewissen Modifikation auch in der Wollust des Zer-
störens geschieht. Wenn deshalb von den arabischen Beduinen be-
richtet wird, daſs bei ihnen Betteln, Schenken und Plündern Wechsel-
begriffe und notwendig zusammenhängende Handlungen sind, so beweist
dies, insbesondere in Anbetracht des stark individualistischen Charakters
jener Stämme, wie alle diese verschiedenen Aktionen mit dem Besitz
doch nur mit verschiedenen Vorzeichen und nach verschiedenen Rich-
tungen hin einen und denselben Sinn und Grundwert aller Besitzobjekte
aussprechen: daſs die Persönlichkeit sich in ihnen auslebt, ausprägt,
ausbreitet. So ist das Entscheidende für das Verständnis des Besitzes,
daſs die scharfe Grenzsetzung zwischen ihm und dem Ich, zwischen
dem Inneren und dem Äuſseren als eine ganz oberflächliche erkannt
und für eine tiefere Betrachtung verflüssigt werde. Einerseits liegt die
ganze Bedeutung des Besitzes darin, gewisse Gefühle und Impulse in
der Seele auszulösen, andrerseits erstreckt sich die Sphäre des Ich
über diese „äuſseren“ Objekte und in sie hinein, wie sich in der Be-
wegung des Violinbogens oder des Pinsels doch der Vorgang in der
Seele des Geigers oder des Malers kontinuierlich fortsetzt. Wie jedes
äuſsere Objekt als Besitz sinnlos wäre, wenn es nicht zu einem psy-
chischen Wert würde, so würde das Ich gleichsam ausdehnungslos in
einen Punkt zusammenfallen, wenn es nicht äuſsere Objekte um sich
herum hätte, die seine Tendenzen, Kraft und individuelle Art an sich
ausprägen lassen, weil sie ihm gehorchen, d. h. gehören. Es ist mir
auch deshalb wahrscheinlich, daſs die Entwicklung des Privateigentums
nicht grade die Arbeitsprodukte als solche am ehesten und intensivsten
ergriffen habe, sondern die Arbeitswerkzeuge, einschlieſslich der
Waffen. Denn grade die Werkzeuge funktionieren am unmittelbarsten
als Verlängerungen der Körperglieder, erst an ihrem Endpunkt pflegt
der Widerstand der Dinge gegen unsere Impulse empfunden zu werden;
so ist das Aktivitätsmoment an ihrem Besitze gröſser als an ander-
weitigem und sie werden deshalb nächst dem Körper am gründlichsten
in das Ich einbezogen.

Man könnte sagen, das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein
Wachstum der Persönlichkeit über das Maſs des Individuums hinaus —

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[325/0349] den Besitz, ganz wie man ein Körperelement am energischsten im Mo- ment der Exstirpation fühlt. Der Reiz des Habens spitzt sich im Augenblick des Fortgebens so stark zu — schmerzlich oder genieſsend — wie es ohne diesen Preis nie stattfindet. Dieser Augenblick ist — genau wie der des Gewinnens — ein eminent „fruchtbarer Moment“, das Können der Persönlichkeit, das der Besitz darstellt, erscheint in dieser äuſsersten Verfügung über ihn am fühlbarsten aufgegipfelt — wie es mit einer gewissen Modifikation auch in der Wollust des Zer- störens geschieht. Wenn deshalb von den arabischen Beduinen be- richtet wird, daſs bei ihnen Betteln, Schenken und Plündern Wechsel- begriffe und notwendig zusammenhängende Handlungen sind, so beweist dies, insbesondere in Anbetracht des stark individualistischen Charakters jener Stämme, wie alle diese verschiedenen Aktionen mit dem Besitz doch nur mit verschiedenen Vorzeichen und nach verschiedenen Rich- tungen hin einen und denselben Sinn und Grundwert aller Besitzobjekte aussprechen: daſs die Persönlichkeit sich in ihnen auslebt, ausprägt, ausbreitet. So ist das Entscheidende für das Verständnis des Besitzes, daſs die scharfe Grenzsetzung zwischen ihm und dem Ich, zwischen dem Inneren und dem Äuſseren als eine ganz oberflächliche erkannt und für eine tiefere Betrachtung verflüssigt werde. Einerseits liegt die ganze Bedeutung des Besitzes darin, gewisse Gefühle und Impulse in der Seele auszulösen, andrerseits erstreckt sich die Sphäre des Ich über diese „äuſseren“ Objekte und in sie hinein, wie sich in der Be- wegung des Violinbogens oder des Pinsels doch der Vorgang in der Seele des Geigers oder des Malers kontinuierlich fortsetzt. Wie jedes äuſsere Objekt als Besitz sinnlos wäre, wenn es nicht zu einem psy- chischen Wert würde, so würde das Ich gleichsam ausdehnungslos in einen Punkt zusammenfallen, wenn es nicht äuſsere Objekte um sich herum hätte, die seine Tendenzen, Kraft und individuelle Art an sich ausprägen lassen, weil sie ihm gehorchen, d. h. gehören. Es ist mir auch deshalb wahrscheinlich, daſs die Entwicklung des Privateigentums nicht grade die Arbeitsprodukte als solche am ehesten und intensivsten ergriffen habe, sondern die Arbeitswerkzeuge, einschlieſslich der Waffen. Denn grade die Werkzeuge funktionieren am unmittelbarsten als Verlängerungen der Körperglieder, erst an ihrem Endpunkt pflegt der Widerstand der Dinge gegen unsere Impulse empfunden zu werden; so ist das Aktivitätsmoment an ihrem Besitze gröſser als an ander- weitigem und sie werden deshalb nächst dem Körper am gründlichsten in das Ich einbezogen. Man könnte sagen, das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein Wachstum der Persönlichkeit über das Maſs des Individuums hinaus —

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/349>, abgerufen am 22.11.2024.