An dem Verhältnis des Menschen zu seinem Besitz scheint sich diese Fortschrittsform zu wiederholen. Prinzipiell angesehen ist jeder Besitz eine Erweiterung des Ich, eine Erscheinung innerhalb des subjektiven Lebens, und sein ganzer Sinn besteht in dem Bewusstseins- bezw. Ge- fühlsreflex, den die durch ihn bezeichnete Beziehung zu den Dingen in der Seele auslöst. In dem gleichen Sinne ist alles, was mit den Besitzgegenständen geschieht, eine Funktion des Subjekts, das sich selbst, seinen Willen, sein Gefühl, seine Denkart in sie ausströmt und an ihnen ausprägt. Historisch indes stellt sich, worauf ich schon früher hin- deutete, diese absolute Bedeutung des praktischen Besitzes, grade wie die des intellektuellen Besitzes, zunächst in einem Indifferenzzustand dar, der das Ich und die Dinge verschmilzt und jenseits des Gegen- satzes zwischen beiden steht. Die altgermanische Verfassung, die den Besitz unmittelbar an die Person knüpfte, der spätere Feudalismus, der umgekehrt die Person an den Besitz band; die enge Verbindung mit der Gruppe überhaupt, die jedes Mitglied a priori in seine öko- nomische Stellung hineinwachsen lässt; die Erblichkeit der Berufe, durch welche Thätigkeit und Position einerseits, die familiäre Persön- lichkeit andrerseits zu Wechselbegriffen werden; jede ständische oder zunftartige Verfassung der Gesellschaft, die ein organisches Verweben der Persönlichkeit mit ihrem ökonomischen Sein und Haben bedingt -- dies alles sind Zustände von Undifferenziertheit zwischen Besitz und Person; ihre ökonomischen Inhalte oder Funktionen und diejenigen, welche das Ich im engeren Sinne ausmachen, stehen in sehr unmittel- barer gegenseitiger Bedingtheit, und, wie das Denken des primitiven Menschen keine gesonderten Kategorien für die bloss subjektive Ein- bildung und die objektiv wahre Vorstellung besitzt, so unterscheidet seine Praxis auch nicht klar zwischen der eignen Gesetzmässigkeit der Dinge (wo er diese anerkennt, nimmt sie leicht wieder die per- sonifizierende Gestalt eines göttlichen Prinzips an) und der nach innen konzentrierten, von dem Äusseren unabhängigen Persönlichkeit. Die Entwicklung über dieses Stadium hinaus besteht nun in der Sonderung jener Elemente. Alle höhere wirtschaftliche Technik be- ruht auf einer Verselbständigung der ökonomischen Prozesse: sie werden von der Unmittelbarkeit der personalen Interessen gelöst, sie funktio- nieren, als ob sie Selbstzwecke wären, ihr mechanischer Ablauf wird immer weniger von den Unregelmässigkeiten und Unberechenbarkeiten des personalen Elementes gekreuzt. Und auf der andern Seite differen- ziert sich eben dieses zu wachsender Selbständigkeit, das Individuum erhält eine Ausbildungsfähigkeit, die zwar nicht von seiner ökonomischen Lage überhaupt, wohl aber von den apriorischen Bestimmtheiten der-
Simmel, Philosophie des Geldes. 22
An dem Verhältnis des Menschen zu seinem Besitz scheint sich diese Fortschrittsform zu wiederholen. Prinzipiell angesehen ist jeder Besitz eine Erweiterung des Ich, eine Erscheinung innerhalb des subjektiven Lebens, und sein ganzer Sinn besteht in dem Bewuſstseins- bezw. Ge- fühlsreflex, den die durch ihn bezeichnete Beziehung zu den Dingen in der Seele auslöst. In dem gleichen Sinne ist alles, was mit den Besitzgegenständen geschieht, eine Funktion des Subjekts, das sich selbst, seinen Willen, sein Gefühl, seine Denkart in sie ausströmt und an ihnen ausprägt. Historisch indes stellt sich, worauf ich schon früher hin- deutete, diese absolute Bedeutung des praktischen Besitzes, grade wie die des intellektuellen Besitzes, zunächst in einem Indifferenzzustand dar, der das Ich und die Dinge verschmilzt und jenseits des Gegen- satzes zwischen beiden steht. Die altgermanische Verfassung, die den Besitz unmittelbar an die Person knüpfte, der spätere Feudalismus, der umgekehrt die Person an den Besitz band; die enge Verbindung mit der Gruppe überhaupt, die jedes Mitglied a priori in seine öko- nomische Stellung hineinwachsen läſst; die Erblichkeit der Berufe, durch welche Thätigkeit und Position einerseits, die familiäre Persön- lichkeit andrerseits zu Wechselbegriffen werden; jede ständische oder zunftartige Verfassung der Gesellschaft, die ein organisches Verweben der Persönlichkeit mit ihrem ökonomischen Sein und Haben bedingt — dies alles sind Zustände von Undifferenziertheit zwischen Besitz und Person; ihre ökonomischen Inhalte oder Funktionen und diejenigen, welche das Ich im engeren Sinne ausmachen, stehen in sehr unmittel- barer gegenseitiger Bedingtheit, und, wie das Denken des primitiven Menschen keine gesonderten Kategorien für die bloſs subjektive Ein- bildung und die objektiv wahre Vorstellung besitzt, so unterscheidet seine Praxis auch nicht klar zwischen der eignen Gesetzmäſsigkeit der Dinge (wo er diese anerkennt, nimmt sie leicht wieder die per- sonifizierende Gestalt eines göttlichen Prinzips an) und der nach innen konzentrierten, von dem Äuſseren unabhängigen Persönlichkeit. Die Entwicklung über dieses Stadium hinaus besteht nun in der Sonderung jener Elemente. Alle höhere wirtschaftliche Technik be- ruht auf einer Verselbständigung der ökonomischen Prozesse: sie werden von der Unmittelbarkeit der personalen Interessen gelöst, sie funktio- nieren, als ob sie Selbstzwecke wären, ihr mechanischer Ablauf wird immer weniger von den Unregelmäſsigkeiten und Unberechenbarkeiten des personalen Elementes gekreuzt. Und auf der andern Seite differen- ziert sich eben dieses zu wachsender Selbständigkeit, das Individuum erhält eine Ausbildungsfähigkeit, die zwar nicht von seiner ökonomischen Lage überhaupt, wohl aber von den apriorischen Bestimmtheiten der-
Simmel, Philosophie des Geldes. 22
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An dem Verhältnis des Menschen zu seinem Besitz scheint sich diese
Fortschrittsform zu wiederholen. Prinzipiell angesehen ist jeder Besitz
eine Erweiterung des Ich, eine Erscheinung innerhalb des subjektiven
Lebens, und sein ganzer Sinn besteht in dem Bewuſstseins- bezw. Ge-
fühlsreflex, den die durch ihn bezeichnete Beziehung zu den Dingen
in der Seele auslöst. In dem gleichen Sinne ist alles, was mit den
Besitzgegenständen geschieht, eine Funktion des Subjekts, das sich selbst,
seinen Willen, sein Gefühl, seine Denkart in sie ausströmt und an ihnen
ausprägt. Historisch indes stellt sich, worauf ich schon früher hin-
deutete, diese absolute Bedeutung des praktischen Besitzes, grade wie
die des intellektuellen Besitzes, zunächst in einem Indifferenzzustand
dar, der das Ich und die Dinge verschmilzt und jenseits des Gegen-
satzes zwischen beiden steht. Die altgermanische Verfassung, die den
Besitz unmittelbar an die Person knüpfte, der spätere Feudalismus,
der umgekehrt die Person an den Besitz band; die enge Verbindung
mit der Gruppe überhaupt, die jedes Mitglied a priori in seine öko-
nomische Stellung hineinwachsen läſst; die Erblichkeit der Berufe,
durch welche Thätigkeit und Position einerseits, die familiäre Persön-
lichkeit andrerseits zu Wechselbegriffen werden; jede ständische oder
zunftartige Verfassung der Gesellschaft, die ein organisches Verweben
der Persönlichkeit mit ihrem ökonomischen Sein und Haben bedingt —
dies alles sind Zustände von Undifferenziertheit zwischen Besitz und
Person; ihre ökonomischen Inhalte oder Funktionen und diejenigen,
welche das Ich im engeren Sinne ausmachen, stehen in sehr unmittel-
barer gegenseitiger Bedingtheit, und, wie das Denken des primitiven
Menschen keine gesonderten Kategorien für die bloſs subjektive Ein-
bildung und die objektiv wahre Vorstellung besitzt, so unterscheidet
seine Praxis auch nicht klar zwischen der eignen Gesetzmäſsigkeit der
Dinge (wo er diese anerkennt, nimmt sie leicht wieder die per-
sonifizierende Gestalt eines göttlichen Prinzips an) und der nach
innen konzentrierten, von dem Äuſseren unabhängigen Persönlichkeit.
Die Entwicklung über dieses Stadium hinaus besteht nun in der
Sonderung jener Elemente. Alle höhere wirtschaftliche Technik be-
ruht auf einer Verselbständigung der ökonomischen Prozesse: sie werden
von der Unmittelbarkeit der personalen Interessen gelöst, sie funktio-
nieren, als ob sie Selbstzwecke wären, ihr mechanischer Ablauf wird
immer weniger von den Unregelmäſsigkeiten und Unberechenbarkeiten
des personalen Elementes gekreuzt. Und auf der andern Seite differen-
ziert sich eben dieses zu wachsender Selbständigkeit, das Individuum
erhält eine Ausbildungsfähigkeit, die zwar nicht von seiner ökonomischen
Lage überhaupt, wohl aber von den apriorischen Bestimmtheiten der-
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/361>, abgerufen am 21.11.2024.
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