liche und für sich entwickelbare Existenz zu führen. Für jenes per- sonale, dem Eigner gleichsam angewachsene Wesen des Besitzes ist es bezeichnend, dass im frühgermanischen Recht jede Schenkung im Falle der Undankbarkeit des Beschenkten und in einigen andern Fällen widerrufbar war. Weniges zeigt so scharf den ganz personalen Cha- rakter jener frühen Besitzformen: eine rein individuell-ethische Be- ziehung zwischen Schenker und Beschenktem hat eine unmittelbare rechtlich-ökonomische Folge. Schon äusserlich widerstrebt die Geld- wirtschaft der hiermit ausgedrückten Empfindungsweise; das naturale Geschenk kann wirklich in natura zurückgegeben werden, das Geld- geschenk aber, nach ganz kurzer Zeit, nicht mehr als "dasselbe", sondern nur dem gleichen Werte nach. Damit ist die Beziehung geschwächt oder vernichtet, die für das Gefühl noch zwischen dem naturalen Ge- schenk und seinem Geber fortbestehen und die Rückforderbarkeit be- gründen mochte; die Geldform des Geschenks entfernt und entfremdet es ihm sehr viel definitiver. Wegen dieses Auseinandertreibens von Sache und Person sind auch Zeitalter der ausgebildetsten und ganz objektiv gewordenen Technik zugleich solche der individualisiertesten und subjektivsten Persönlichkeiten: der Beginn der römischen Kaiser- zeit und die letzten 100--150 Jahre sind beides Zeiten intensivster Geldwirtschaft. Der technisch verfeinerte Charakter der Rechtsbegriffe stellt sich gleichfalls erst als Korrelat jenes abstrakten Individualismus her, der mit der Geldwirtschaft Hand in Hand geht. Bevor, zugleich mit dieser, das römische Recht in Deutschland rezipiert wurde, kannte das deutsche Recht keine Stellvertretung in Rechtssachen, nicht die Institution der juristischen Person, nicht das Eigentum als Gegenstand freier individueller Willkür, sondern nur als Träger von Rechten und Pflichten. Ein mit solchen Begriffen arbeitendes Recht ist nicht mehr möglich, wo das Individuum sich von der Verschmelzung mit beson- deren Bestimmtheiten des Besitzes, der sozialen Position, der mate- rialen Inhalte des Seins gelöst hat und jenes völlig freie und auf sich gestellte, aber von allen speziellen Daseinstendenzen begrifflich ge- schiedene Wesen geworden ist, das allein in die Geldwirtschaft hinein- gehört und so jene Lebensinteressen, als rein sachlich gewordene, der logisch-abstrakten römischen Rechtstechnik überlassen kann. Das Ver- hältnis zwischen dem Grund und Boden und dem Besitzer hat in Deutschland die Stadien durchgemacht, dass zuerst der Grundbesitz aus der personalen Stellung in der Gemeinde geflossen war, und dann umgekehrt die Person durch ihren Besitz bestimmt war, bis schliesslich die Verselbständigung des Grundbesitzes einen ganz andern Sinn an- nimmt, einen solchen, in dem sie gleichsam am anderen Ende die Per-
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liche und für sich entwickelbare Existenz zu führen. Für jenes per- sonale, dem Eigner gleichsam angewachsene Wesen des Besitzes ist es bezeichnend, daſs im frühgermanischen Recht jede Schenkung im Falle der Undankbarkeit des Beschenkten und in einigen andern Fällen widerrufbar war. Weniges zeigt so scharf den ganz personalen Cha- rakter jener frühen Besitzformen: eine rein individuell-ethische Be- ziehung zwischen Schenker und Beschenktem hat eine unmittelbare rechtlich-ökonomische Folge. Schon äuſserlich widerstrebt die Geld- wirtschaft der hiermit ausgedrückten Empfindungsweise; das naturale Geschenk kann wirklich in natura zurückgegeben werden, das Geld- geschenk aber, nach ganz kurzer Zeit, nicht mehr als „dasselbe“, sondern nur dem gleichen Werte nach. Damit ist die Beziehung geschwächt oder vernichtet, die für das Gefühl noch zwischen dem naturalen Ge- schenk und seinem Geber fortbestehen und die Rückforderbarkeit be- gründen mochte; die Geldform des Geschenks entfernt und entfremdet es ihm sehr viel definitiver. Wegen dieses Auseinandertreibens von Sache und Person sind auch Zeitalter der ausgebildetsten und ganz objektiv gewordenen Technik zugleich solche der individualisiertesten und subjektivsten Persönlichkeiten: der Beginn der römischen Kaiser- zeit und die letzten 100—150 Jahre sind beides Zeiten intensivster Geldwirtschaft. Der technisch verfeinerte Charakter der Rechtsbegriffe stellt sich gleichfalls erst als Korrelat jenes abstrakten Individualismus her, der mit der Geldwirtschaft Hand in Hand geht. Bevor, zugleich mit dieser, das römische Recht in Deutschland rezipiert wurde, kannte das deutsche Recht keine Stellvertretung in Rechtssachen, nicht die Institution der juristischen Person, nicht das Eigentum als Gegenstand freier individueller Willkür, sondern nur als Träger von Rechten und Pflichten. Ein mit solchen Begriffen arbeitendes Recht ist nicht mehr möglich, wo das Individuum sich von der Verschmelzung mit beson- deren Bestimmtheiten des Besitzes, der sozialen Position, der mate- rialen Inhalte des Seins gelöst hat und jenes völlig freie und auf sich gestellte, aber von allen speziellen Daseinstendenzen begrifflich ge- schiedene Wesen geworden ist, das allein in die Geldwirtschaft hinein- gehört und so jene Lebensinteressen, als rein sachlich gewordene, der logisch-abstrakten römischen Rechtstechnik überlassen kann. Das Ver- hältnis zwischen dem Grund und Boden und dem Besitzer hat in Deutschland die Stadien durchgemacht, daſs zuerst der Grundbesitz aus der personalen Stellung in der Gemeinde geflossen war, und dann umgekehrt die Person durch ihren Besitz bestimmt war, bis schlieſslich die Verselbständigung des Grundbesitzes einen ganz andern Sinn an- nimmt, einen solchen, in dem sie gleichsam am anderen Ende die Per-
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liche und für sich entwickelbare Existenz zu führen. Für jenes per-
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bezeichnend, daſs im frühgermanischen Recht jede Schenkung im Falle
der Undankbarkeit des Beschenkten und in einigen andern Fällen
widerrufbar war. Weniges zeigt so scharf den ganz personalen Cha-
rakter jener frühen Besitzformen: eine rein individuell-ethische Be-
ziehung zwischen Schenker und Beschenktem hat eine unmittelbare
rechtlich-ökonomische Folge. Schon äuſserlich widerstrebt die Geld-
wirtschaft der hiermit ausgedrückten Empfindungsweise; das naturale
Geschenk kann wirklich in natura zurückgegeben werden, das Geld-
geschenk aber, nach ganz kurzer Zeit, nicht mehr als „dasselbe“, sondern
nur dem gleichen Werte nach. Damit ist die Beziehung geschwächt
oder vernichtet, die für das Gefühl noch zwischen dem naturalen Ge-
schenk und seinem Geber fortbestehen und die Rückforderbarkeit be-
gründen mochte; die Geldform des Geschenks entfernt und entfremdet
es ihm sehr viel definitiver. Wegen dieses Auseinandertreibens von
Sache und Person sind auch Zeitalter der ausgebildetsten und ganz
objektiv gewordenen Technik zugleich solche der individualisiertesten
und subjektivsten Persönlichkeiten: der Beginn der römischen Kaiser-
zeit und die letzten 100—150 Jahre sind beides Zeiten intensivster
Geldwirtschaft. Der technisch verfeinerte Charakter der Rechtsbegriffe
stellt sich gleichfalls erst als Korrelat jenes abstrakten Individualismus
her, der mit der Geldwirtschaft Hand in Hand geht. Bevor, zugleich
mit dieser, das römische Recht in Deutschland rezipiert wurde, kannte
das deutsche Recht keine Stellvertretung in Rechtssachen, nicht die
Institution der juristischen Person, nicht das Eigentum als Gegenstand
freier individueller Willkür, sondern nur als Träger von Rechten und
Pflichten. Ein mit solchen Begriffen arbeitendes Recht ist nicht mehr
möglich, wo das Individuum sich von der Verschmelzung mit beson-
deren Bestimmtheiten des Besitzes, der sozialen Position, der mate-
rialen Inhalte des Seins gelöst hat und jenes völlig freie und auf sich
gestellte, aber von allen speziellen Daseinstendenzen begrifflich ge-
schiedene Wesen geworden ist, das allein in die Geldwirtschaft hinein-
gehört und so jene Lebensinteressen, als rein sachlich gewordene, der
logisch-abstrakten römischen Rechtstechnik überlassen kann. Das Ver-
hältnis zwischen dem Grund und Boden und dem Besitzer hat in
Deutschland die Stadien durchgemacht, daſs zuerst der Grundbesitz
aus der personalen Stellung in der Gemeinde geflossen war, und dann
umgekehrt die Person durch ihren Besitz bestimmt war, bis schlieſslich
die Verselbständigung des Grundbesitzes einen ganz andern Sinn an-
nimmt, einen solchen, in dem sie gleichsam am anderen Ende die Per-
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/363>, abgerufen am 22.11.2024.
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