Seltenheitswert, weil sie kein irgend vertretbares Gut, sondern in ihrer Bedeutung schlechthin unersetzbar sei -- so bleibt die Frage, gegen welche anderen Werte man sie auf diese Weise isoliere. Tragen die Qualitäten des Menschen seinen Wert, so bezieht sich jene Selten- heit, -- da sie bei jedem andere sind -- auf den einzelnen Menschen gegenüber allen anderen. Diese Anschauung, die teilweise dem Alter- tum und dem modernsten Individualismus eigen ist, führt unvermeid- lich auf eine Abstufung innerhalb der Menschenwelt, und nur in dem Mass, in dem die Träger der niedrigsten Werte sich noch mit denen der höchsten berühren, haben jene an der Absolutheit des Wertes dieser Teil; daher wiederholt sich die klassische Überzeugung von der Berechtigung der Sklaverei bei einigen der neuesten Individualisten. Ganz anders das Christentum, die Aufklärung des 18. Jahrhunderts (einschliesslich Rousseau und Kant) und der ethische Sozialismus. Für diese Standpunkte ruht der Wert in dem Menschen, bloss weil er ein Mensch ist, es bezieht sich also der Seltenheitswert auf die Menschen- seele überhaupt gegenüber dem, was nicht Seele ist; in Bezug auf den entscheidenden, den absoluten Wert ist hier jeder Mensch jedem anderen gleich. Das ist also der abstrakte Individualismus -- abstrakt, weil er den ganzen Wert, die ganze absolute Bedeutung an den Allgemein- begriff Mensch heftet und ihn erst von diesem auf das einzelne Exemplar der Gattung überleitet. Ihm gegenüber hat das 19. Jahrhundert, seit den Romantikern, den Begriff des Individualismus mit einem ganz andern Inhalt erfüllt; während der Gegensatz, aus dem das Individuum als solches seine spezifische Bedeutung zog, im 18. Jahrhundert die staatliche, kirchliche, gesellschaftliche, zünftige Kollektivität und Bindung war, so dass das Ideal in dem freien Fürsichsein der Einzelnen be- stand -- ist der Sinn des späteren Individualismus der Unterschied zwischen den Einzelnen, ihre quantitative Besonderung gegeneinander. An der ersteren Anschauungsweise, auf deren Boden die "Menschen- würde" und die "Menschenrechte" gewachsen sind, markiert sich am entschiedensten die Entwicklung, die jeden Verkauf eines Menschen für Geld und die Sühnung seiner Tötung durch Geld innerlich un- möglich macht -- eine Entwicklung, deren Anfänge da liegen müssen, wo die kollektivistischen Bande der frühesten Sozialformen sich lockern, wo das Individuum sich aus der Interessenverschmelzung mit seinen Gruppengenossen heraushebt und sein Fürsichsein betont.
Die Entwicklung der Mordsühne, die ich verfolgte, mündete an dem Punkte, wo aus dem Ersatz des den Hinterbliebenen wirklich geschehenen Schadens durch die soziale Fixierung desselben hindurch sich die Vor- stellung entwickelt hat, dass der Mensch, der Angehörige dieses bestimmten
Seltenheitswert, weil sie kein irgend vertretbares Gut, sondern in ihrer Bedeutung schlechthin unersetzbar sei — so bleibt die Frage, gegen welche anderen Werte man sie auf diese Weise isoliere. Tragen die Qualitäten des Menschen seinen Wert, so bezieht sich jene Selten- heit, — da sie bei jedem andere sind — auf den einzelnen Menschen gegenüber allen anderen. Diese Anschauung, die teilweise dem Alter- tum und dem modernsten Individualismus eigen ist, führt unvermeid- lich auf eine Abstufung innerhalb der Menschenwelt, und nur in dem Maſs, in dem die Träger der niedrigsten Werte sich noch mit denen der höchsten berühren, haben jene an der Absolutheit des Wertes dieser Teil; daher wiederholt sich die klassische Überzeugung von der Berechtigung der Sklaverei bei einigen der neuesten Individualisten. Ganz anders das Christentum, die Aufklärung des 18. Jahrhunderts (einschlieſslich Rousseau und Kant) und der ethische Sozialismus. Für diese Standpunkte ruht der Wert in dem Menschen, bloſs weil er ein Mensch ist, es bezieht sich also der Seltenheitswert auf die Menschen- seele überhaupt gegenüber dem, was nicht Seele ist; in Bezug auf den entscheidenden, den absoluten Wert ist hier jeder Mensch jedem anderen gleich. Das ist also der abstrakte Individualismus — abstrakt, weil er den ganzen Wert, die ganze absolute Bedeutung an den Allgemein- begriff Mensch heftet und ihn erst von diesem auf das einzelne Exemplar der Gattung überleitet. Ihm gegenüber hat das 19. Jahrhundert, seit den Romantikern, den Begriff des Individualismus mit einem ganz andern Inhalt erfüllt; während der Gegensatz, aus dem das Individuum als solches seine spezifische Bedeutung zog, im 18. Jahrhundert die staatliche, kirchliche, gesellschaftliche, zünftige Kollektivität und Bindung war, so daſs das Ideal in dem freien Fürsichsein der Einzelnen be- stand — ist der Sinn des späteren Individualismus der Unterschied zwischen den Einzelnen, ihre quantitative Besonderung gegeneinander. An der ersteren Anschauungsweise, auf deren Boden die „Menschen- würde“ und die „Menschenrechte“ gewachsen sind, markiert sich am entschiedensten die Entwicklung, die jeden Verkauf eines Menschen für Geld und die Sühnung seiner Tötung durch Geld innerlich un- möglich macht — eine Entwicklung, deren Anfänge da liegen müssen, wo die kollektivistischen Bande der frühesten Sozialformen sich lockern, wo das Individuum sich aus der Interessenverschmelzung mit seinen Gruppengenossen heraushebt und sein Fürsichsein betont.
Die Entwicklung der Mordsühne, die ich verfolgte, mündete an dem Punkte, wo aus dem Ersatz des den Hinterbliebenen wirklich geschehenen Schadens durch die soziale Fixierung desselben hindurch sich die Vor- stellung entwickelt hat, daſs der Mensch, der Angehörige dieses bestimmten
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Seltenheitswert, weil sie kein irgend vertretbares Gut, sondern in ihrer
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welche anderen Werte man sie auf diese Weise isoliere. Tragen die
Qualitäten des Menschen seinen Wert, so bezieht sich jene Selten-
heit, — da sie bei jedem andere sind — auf den einzelnen Menschen
gegenüber allen anderen. Diese Anschauung, die teilweise dem Alter-
tum und dem modernsten Individualismus eigen ist, führt unvermeid-
lich auf eine Abstufung innerhalb der Menschenwelt, und nur in dem
Maſs, in dem die Träger der niedrigsten Werte sich noch mit denen
der höchsten berühren, haben jene an der Absolutheit des Wertes
dieser Teil; daher wiederholt sich die klassische Überzeugung von der
Berechtigung der Sklaverei bei einigen der neuesten Individualisten.
Ganz anders das Christentum, die Aufklärung des 18. Jahrhunderts
(einschlieſslich Rousseau und Kant) und der ethische Sozialismus. Für
diese Standpunkte ruht der Wert in dem Menschen, bloſs weil er ein
Mensch ist, es bezieht sich also der Seltenheitswert auf die Menschen-
seele überhaupt gegenüber dem, was nicht Seele ist; in Bezug auf den
entscheidenden, den absoluten Wert ist hier jeder Mensch jedem anderen
gleich. Das ist also der abstrakte Individualismus — abstrakt, weil
er den ganzen Wert, die ganze absolute Bedeutung an den Allgemein-
begriff Mensch heftet und ihn erst von diesem auf das einzelne Exemplar
der Gattung überleitet. Ihm gegenüber hat das 19. Jahrhundert, seit
den Romantikern, den Begriff des Individualismus mit einem ganz
andern Inhalt erfüllt; während der Gegensatz, aus dem das Individuum
als solches seine spezifische Bedeutung zog, im 18. Jahrhundert die
staatliche, kirchliche, gesellschaftliche, zünftige Kollektivität und Bindung
war, so daſs das Ideal in dem freien Fürsichsein der Einzelnen be-
stand — ist der Sinn des späteren Individualismus der Unterschied
zwischen den Einzelnen, ihre quantitative Besonderung gegeneinander.
An der ersteren Anschauungsweise, auf deren Boden die „Menschen-
würde“ und die „Menschenrechte“ gewachsen sind, markiert sich am
entschiedensten die Entwicklung, die jeden Verkauf eines Menschen
für Geld und die Sühnung seiner Tötung durch Geld innerlich un-
möglich macht — eine Entwicklung, deren Anfänge da liegen müssen,
wo die kollektivistischen Bande der frühesten Sozialformen sich lockern,
wo das Individuum sich aus der Interessenverschmelzung mit seinen
Gruppengenossen heraushebt und sein Fürsichsein betont.
Die Entwicklung der Mordsühne, die ich verfolgte, mündete an dem
Punkte, wo aus dem Ersatz des den Hinterbliebenen wirklich geschehenen
Schadens durch die soziale Fixierung desselben hindurch sich die Vor-
stellung entwickelt hat, daſs der Mensch, der Angehörige dieses bestimmten
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/398>, abgerufen am 21.11.2024.
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