dem der engagierte Lehrer kontraktbrüchig wird, ohne dass er im stande wäre, gleich Ersatz für ihn zu beschaffen -- alle diese Personen werden, obgleich ihr Recht auf Schadensersatz sonnenklar ist, diesen Anspruch nicht erheben können, weil ihr Schaden sich nicht einer be- stimmten Geldsumme gleichsetzen lässt. Wer wollte das Geldäquivalent jener inneren und äusseren Unannehmlichkeiten und Beeinträchtigungen auf Heller und Pfennig nachweisen? Gelingt aber dieser Nachweis nicht, so sind die fraglichen Beschädigungen für den Richter eben auch quantites negligeables, sie existieren für ihn nicht. In einer un- geheueren Zahl von Lebensbeziehungen ist der Geschädigte schlechthin rechtlos, er hat weder die moralische Genugthuung, den Schädiger strafrechtlich verfolgt zu sehen, noch die ökonomische, einen Ersatz für seine Einbussen und Ärgernisse von ihm zu erlangen. Da nun aber, wie nochmals betont werden muss, die Präsumtion des Rechtes doch ist, alle Güter der Individuen gegen unrechtmässige Beschädigung zu sichern; da diese Sicherung jetzt, wie sich ergiebt, eine grosse Summe von Gütern, sobald ihr Wert nicht in Geld substanziiert werden kann, nicht umfasst; so folgt als Voraussetzung dieser ganzen Rechts- anschauung, dass alle personalen Güter ein Geldäquivalent besitzen, -- abgesehen natürlich von der Unverletztheit des Körpers und, in einigen Beziehungen, der Ehre --, die das Recht gleichfalls garantiert. Die ausserordentliche Vereinfachung und Vereinheitlichung des Rechts- systems, die diese Reduktion auf das Geldinteresse mit sich bringt, im Verein mit dessen thatsächlicher Herrschaft, hat so zu der Fiktion seiner Alleinherrschaft geführt, ganz entsprechend der auch auf anderen Gebieten merkwürdigen praktischen Gleichgültigkeit gegen die nicht in Geld ausdrückbaren, wenngleich theoretisch als die höchsten an- erkannten Werte.
Es ist interessant zu beobachten, wie entgegengesetzt sich das römische Recht, in seiner mittleren Periode, in dieser Hinsicht verhält. Die Geldkondemnation, die dasselbe im Zivilprozess statuierte, war eine Busse, die über den Wert des Objektes hinaus an den Beschädigten entrichtet wurde, um denselben für die besondere Hinterlist oder Bos- heit zu entschädigen, unter der der Beklagte ihn hatte leiden lassen. Das böswillig abgeleugnete Depositum, die vom Vormund vorenthaltenen Mündelgelder und ähnliches wurden nicht einfach ersetzt, sondern ausserdem war der Richter und unter Umständen der Kläger berechtigt, einen Schadensersatz festzusetzen -- nicht für den objektiven, einer bestimmten Geldsumme unmittelbar äquivalenten Schaden, sondern für die böswillige Verletzung der persönlichen Rechtssphäre überhaupt. Es wird hier also einerseits empfunden: die persönlichen Werte, die
dem der engagierte Lehrer kontraktbrüchig wird, ohne daſs er im stande wäre, gleich Ersatz für ihn zu beschaffen — alle diese Personen werden, obgleich ihr Recht auf Schadensersatz sonnenklar ist, diesen Anspruch nicht erheben können, weil ihr Schaden sich nicht einer be- stimmten Geldsumme gleichsetzen läſst. Wer wollte das Geldäquivalent jener inneren und äuſseren Unannehmlichkeiten und Beeinträchtigungen auf Heller und Pfennig nachweisen? Gelingt aber dieser Nachweis nicht, so sind die fraglichen Beschädigungen für den Richter eben auch quantités négligeables, sie existieren für ihn nicht. In einer un- geheueren Zahl von Lebensbeziehungen ist der Geschädigte schlechthin rechtlos, er hat weder die moralische Genugthuung, den Schädiger strafrechtlich verfolgt zu sehen, noch die ökonomische, einen Ersatz für seine Einbuſsen und Ärgernisse von ihm zu erlangen. Da nun aber, wie nochmals betont werden muſs, die Präsumtion des Rechtes doch ist, alle Güter der Individuen gegen unrechtmäſsige Beschädigung zu sichern; da diese Sicherung jetzt, wie sich ergiebt, eine groſse Summe von Gütern, sobald ihr Wert nicht in Geld substanziiert werden kann, nicht umfaſst; so folgt als Voraussetzung dieser ganzen Rechts- anschauung, daſs alle personalen Güter ein Geldäquivalent besitzen, — abgesehen natürlich von der Unverletztheit des Körpers und, in einigen Beziehungen, der Ehre —, die das Recht gleichfalls garantiert. Die auſserordentliche Vereinfachung und Vereinheitlichung des Rechts- systems, die diese Reduktion auf das Geldinteresse mit sich bringt, im Verein mit dessen thatsächlicher Herrschaft, hat so zu der Fiktion seiner Alleinherrschaft geführt, ganz entsprechend der auch auf anderen Gebieten merkwürdigen praktischen Gleichgültigkeit gegen die nicht in Geld ausdrückbaren, wenngleich theoretisch als die höchsten an- erkannten Werte.
Es ist interessant zu beobachten, wie entgegengesetzt sich das römische Recht, in seiner mittleren Periode, in dieser Hinsicht verhält. Die Geldkondemnation, die dasselbe im Zivilprozeſs statuierte, war eine Buſse, die über den Wert des Objektes hinaus an den Beschädigten entrichtet wurde, um denselben für die besondere Hinterlist oder Bos- heit zu entschädigen, unter der der Beklagte ihn hatte leiden lassen. Das böswillig abgeleugnete Depositum, die vom Vormund vorenthaltenen Mündelgelder und ähnliches wurden nicht einfach ersetzt, sondern auſserdem war der Richter und unter Umständen der Kläger berechtigt, einen Schadensersatz festzusetzen — nicht für den objektiven, einer bestimmten Geldsumme unmittelbar äquivalenten Schaden, sondern für die böswillige Verletzung der persönlichen Rechtssphäre überhaupt. Es wird hier also einerseits empfunden: die persönlichen Werte, die
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[382/0406]
dem der engagierte Lehrer kontraktbrüchig wird, ohne daſs er im
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werden, obgleich ihr Recht auf Schadensersatz sonnenklar ist, diesen
Anspruch nicht erheben können, weil ihr Schaden sich nicht einer be-
stimmten Geldsumme gleichsetzen läſst. Wer wollte das Geldäquivalent
jener inneren und äuſseren Unannehmlichkeiten und Beeinträchtigungen
auf Heller und Pfennig nachweisen? Gelingt aber dieser Nachweis
nicht, so sind die fraglichen Beschädigungen für den Richter eben
auch quantités négligeables, sie existieren für ihn nicht. In einer un-
geheueren Zahl von Lebensbeziehungen ist der Geschädigte schlechthin
rechtlos, er hat weder die moralische Genugthuung, den Schädiger
strafrechtlich verfolgt zu sehen, noch die ökonomische, einen Ersatz
für seine Einbuſsen und Ärgernisse von ihm zu erlangen. Da nun
aber, wie nochmals betont werden muſs, die Präsumtion des Rechtes
doch ist, alle Güter der Individuen gegen unrechtmäſsige Beschädigung
zu sichern; da diese Sicherung jetzt, wie sich ergiebt, eine groſse
Summe von Gütern, sobald ihr Wert nicht in Geld substanziiert werden
kann, nicht umfaſst; so folgt als Voraussetzung dieser ganzen Rechts-
anschauung, daſs alle personalen Güter ein Geldäquivalent besitzen, —
abgesehen natürlich von der Unverletztheit des Körpers und, in einigen
Beziehungen, der Ehre —, die das Recht gleichfalls garantiert. Die
auſserordentliche Vereinfachung und Vereinheitlichung des Rechts-
systems, die diese Reduktion auf das Geldinteresse mit sich bringt,
im Verein mit dessen thatsächlicher Herrschaft, hat so zu der Fiktion
seiner Alleinherrschaft geführt, ganz entsprechend der auch auf anderen
Gebieten merkwürdigen praktischen Gleichgültigkeit gegen die nicht
in Geld ausdrückbaren, wenngleich theoretisch als die höchsten an-
erkannten Werte.
Es ist interessant zu beobachten, wie entgegengesetzt sich das
römische Recht, in seiner mittleren Periode, in dieser Hinsicht verhält.
Die Geldkondemnation, die dasselbe im Zivilprozeſs statuierte, war eine
Buſse, die über den Wert des Objektes hinaus an den Beschädigten
entrichtet wurde, um denselben für die besondere Hinterlist oder Bos-
heit zu entschädigen, unter der der Beklagte ihn hatte leiden lassen.
Das böswillig abgeleugnete Depositum, die vom Vormund vorenthaltenen
Mündelgelder und ähnliches wurden nicht einfach ersetzt, sondern
auſserdem war der Richter und unter Umständen der Kläger berechtigt,
einen Schadensersatz festzusetzen — nicht für den objektiven, einer
bestimmten Geldsumme unmittelbar äquivalenten Schaden, sondern für
die böswillige Verletzung der persönlichen Rechtssphäre überhaupt.
Es wird hier also einerseits empfunden: die persönlichen Werte, die
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/406>, abgerufen am 22.11.2024.
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