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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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das Recht zu schützen hat, sind nicht durch den Geldwert ihres Ob-
jektes begrenzt, sondern ihre Verletzung fordert eine über diesen
hinausgehende Busse; zugleich aber ist diese Busse nun wieder durch
die Hingabe einer bestimmten Geldsumme geleistet: die jenseits des
objektiven Geldinteresses erlittene Schädigung wird doch durch Geld
ausgeglichen. Das Geld spielt hier also einerseits eine geringere, aber
andrerseits eine grössere Rolle als in dem gegenwärtigen Zustand.
Eben deshalb zeigt dieser gegenwärtige Zustand doch eine Kombination
der beiden typischen Richtungen, in die die wachsende Kultur die
Entwicklung des Geldes treibt: sie verleiht ihm einerseits eine Wichtig-
keit, durch die es gleichsam zur Weltseele des sachlichen Interessen-
kosmos wird und, den so erhaltenen Anstoss über seine zukommende
Grenze fortsetzend, auch die personalen Werte überwuchert; sie ent-
fernt es doch aber andrerseits von diesen, macht seine Bedeutung mit
der alles eigentlich Persönlichen immer unvergleichbarer und unterdrückt
eher die Geltendmachung personaler Werte, als dass sie ihnen ein so
inadäquates Äquivalent zuspräche. Die Unbefriedigtheit des unmittel-
baren Rechtsgefühles, durch die das momentane Resultat des Zusammen-
wirkens dieser Motive hinter jenem römischen Zustand zurücksteht, darf
doch die Erkenntnis nicht verhindern, dass es sich hier wirklich um
die Kombination weiter vorgeschrittener Kulturtendenzen handelt, die
freilich die Entgegengesetztheit und Unversöhnlichkeit ihrer Richtungen
in der Unzulänglichkeit und dem Tiefstande mancher Erscheinungen
zeigen, in denen sie beide gleichzeitig zu Worte kommen. --

Die Evolution des früheren Zustandes, in dem der ganze Mensch
durch Geld aufgewogen wurde, findet einige Analogien in einer spe-
zielleren, die sich an den Kauf der Frauen für Geld knüpfte. Die
Kaufehe, ihre ausserordentliche Häufigkeit in der Vergangenheit vor-
geschrittener Völker und in der Gegenwart weniger zivilisierter, die
Fülle ihrer Variationen und Formen sind bekannt genug. Es handelt
sich hier nur um die Rückschlüsse, welche diese Thatsachen auf das
Wesen der gekauften Werte gestatten. Das Gefühl von Entwürdigung,
das der Kauf einer Person für Geld oder Geldeswert im modernen
Menschen hervorbringt, ist in seiner Beziehung auf frühere historische
Verhältnisse nicht immer gerechtfertigt. Wir sahen: so lange einer-
seits die Persönlichkeit noch mehr in den Gattungstypus eingesenkt
ist, andrerseits der Geldwert noch nicht zu völliger Farblosigkeit ver-
allgemeinert ist, stehen sozusagen beide sich näher, und die persönliche
Würde der alten Germanen hat sicher nicht darunter gelitten, dass
das Wergeld ihren Wert in Geld ausdrücken liess. Entsprechend liegt
die Sache beim Frauenkauf. Die ethnologischen Thatsachen zeigen

das Recht zu schützen hat, sind nicht durch den Geldwert ihres Ob-
jektes begrenzt, sondern ihre Verletzung fordert eine über diesen
hinausgehende Buſse; zugleich aber ist diese Buſse nun wieder durch
die Hingabe einer bestimmten Geldsumme geleistet: die jenseits des
objektiven Geldinteresses erlittene Schädigung wird doch durch Geld
ausgeglichen. Das Geld spielt hier also einerseits eine geringere, aber
andrerseits eine gröſsere Rolle als in dem gegenwärtigen Zustand.
Eben deshalb zeigt dieser gegenwärtige Zustand doch eine Kombination
der beiden typischen Richtungen, in die die wachsende Kultur die
Entwicklung des Geldes treibt: sie verleiht ihm einerseits eine Wichtig-
keit, durch die es gleichsam zur Weltseele des sachlichen Interessen-
kosmos wird und, den so erhaltenen Anstoſs über seine zukommende
Grenze fortsetzend, auch die personalen Werte überwuchert; sie ent-
fernt es doch aber andrerseits von diesen, macht seine Bedeutung mit
der alles eigentlich Persönlichen immer unvergleichbarer und unterdrückt
eher die Geltendmachung personaler Werte, als daſs sie ihnen ein so
inadäquates Äquivalent zuspräche. Die Unbefriedigtheit des unmittel-
baren Rechtsgefühles, durch die das momentane Resultat des Zusammen-
wirkens dieser Motive hinter jenem römischen Zustand zurücksteht, darf
doch die Erkenntnis nicht verhindern, daſs es sich hier wirklich um
die Kombination weiter vorgeschrittener Kulturtendenzen handelt, die
freilich die Entgegengesetztheit und Unversöhnlichkeit ihrer Richtungen
in der Unzulänglichkeit und dem Tiefstande mancher Erscheinungen
zeigen, in denen sie beide gleichzeitig zu Worte kommen. —

Die Evolution des früheren Zustandes, in dem der ganze Mensch
durch Geld aufgewogen wurde, findet einige Analogien in einer spe-
zielleren, die sich an den Kauf der Frauen für Geld knüpfte. Die
Kaufehe, ihre auſserordentliche Häufigkeit in der Vergangenheit vor-
geschrittener Völker und in der Gegenwart weniger zivilisierter, die
Fülle ihrer Variationen und Formen sind bekannt genug. Es handelt
sich hier nur um die Rückschlüsse, welche diese Thatsachen auf das
Wesen der gekauften Werte gestatten. Das Gefühl von Entwürdigung,
das der Kauf einer Person für Geld oder Geldeswert im modernen
Menschen hervorbringt, ist in seiner Beziehung auf frühere historische
Verhältnisse nicht immer gerechtfertigt. Wir sahen: so lange einer-
seits die Persönlichkeit noch mehr in den Gattungstypus eingesenkt
ist, andrerseits der Geldwert noch nicht zu völliger Farblosigkeit ver-
allgemeinert ist, stehen sozusagen beide sich näher, und die persönliche
Würde der alten Germanen hat sicher nicht darunter gelitten, daſs
das Wergeld ihren Wert in Geld ausdrücken lieſs. Entsprechend liegt
die Sache beim Frauenkauf. Die ethnologischen Thatsachen zeigen

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[383/0407] das Recht zu schützen hat, sind nicht durch den Geldwert ihres Ob- jektes begrenzt, sondern ihre Verletzung fordert eine über diesen hinausgehende Buſse; zugleich aber ist diese Buſse nun wieder durch die Hingabe einer bestimmten Geldsumme geleistet: die jenseits des objektiven Geldinteresses erlittene Schädigung wird doch durch Geld ausgeglichen. Das Geld spielt hier also einerseits eine geringere, aber andrerseits eine gröſsere Rolle als in dem gegenwärtigen Zustand. Eben deshalb zeigt dieser gegenwärtige Zustand doch eine Kombination der beiden typischen Richtungen, in die die wachsende Kultur die Entwicklung des Geldes treibt: sie verleiht ihm einerseits eine Wichtig- keit, durch die es gleichsam zur Weltseele des sachlichen Interessen- kosmos wird und, den so erhaltenen Anstoſs über seine zukommende Grenze fortsetzend, auch die personalen Werte überwuchert; sie ent- fernt es doch aber andrerseits von diesen, macht seine Bedeutung mit der alles eigentlich Persönlichen immer unvergleichbarer und unterdrückt eher die Geltendmachung personaler Werte, als daſs sie ihnen ein so inadäquates Äquivalent zuspräche. Die Unbefriedigtheit des unmittel- baren Rechtsgefühles, durch die das momentane Resultat des Zusammen- wirkens dieser Motive hinter jenem römischen Zustand zurücksteht, darf doch die Erkenntnis nicht verhindern, daſs es sich hier wirklich um die Kombination weiter vorgeschrittener Kulturtendenzen handelt, die freilich die Entgegengesetztheit und Unversöhnlichkeit ihrer Richtungen in der Unzulänglichkeit und dem Tiefstande mancher Erscheinungen zeigen, in denen sie beide gleichzeitig zu Worte kommen. — Die Evolution des früheren Zustandes, in dem der ganze Mensch durch Geld aufgewogen wurde, findet einige Analogien in einer spe- zielleren, die sich an den Kauf der Frauen für Geld knüpfte. Die Kaufehe, ihre auſserordentliche Häufigkeit in der Vergangenheit vor- geschrittener Völker und in der Gegenwart weniger zivilisierter, die Fülle ihrer Variationen und Formen sind bekannt genug. Es handelt sich hier nur um die Rückschlüsse, welche diese Thatsachen auf das Wesen der gekauften Werte gestatten. Das Gefühl von Entwürdigung, das der Kauf einer Person für Geld oder Geldeswert im modernen Menschen hervorbringt, ist in seiner Beziehung auf frühere historische Verhältnisse nicht immer gerechtfertigt. Wir sahen: so lange einer- seits die Persönlichkeit noch mehr in den Gattungstypus eingesenkt ist, andrerseits der Geldwert noch nicht zu völliger Farblosigkeit ver- allgemeinert ist, stehen sozusagen beide sich näher, und die persönliche Würde der alten Germanen hat sicher nicht darunter gelitten, daſs das Wergeld ihren Wert in Geld ausdrücken lieſs. Entsprechend liegt die Sache beim Frauenkauf. Die ethnologischen Thatsachen zeigen

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/407>, abgerufen am 22.11.2024.