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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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Menschen, das seinem Wesen nach auf Dauer und innere Wahrheit der
verbindenden Kräfte angelegt ist -- wie das wirkliche Liebesverhältnis,
so schnell es auch abgebrochen werde -- ist das Geld niemals der adä-
quate Mittler; für den käuflichen Genuss, der jede über den Augenblick
und über den ausschliesslich sinnlichen Trieb hinausgehende Beziehung
ablehnt, leistet das Geld, das sich mit seiner Hingabe absolut von der
Persönlichkeit löst und jede weitere Konsequenz am gründlichsten ab-
schneidet, den sachlich und symbolisch vollkommensten Dienst -- in-
dem man mit Geld bezahlt hat, ist man mit jeder Sache am gründ-
lichsten fertig, so gründlich, wie mit der Prostituierten nach erlangter
Befriedigung. Dadurch, dass die Beziehung der Geschlechter inner-
halb der Prostitution ganz unzweideutig auf den sinnlichen Akt be-
schränkt ist, wird sie auf ihren rein gattungsmässigen Inhalt herab-
gesetzt; sie besteht in demjenigen, was jedes Exemplar der Gattung
leisten und empfinden kann und worin sich die sonst entgegengesetztesten
Persönlichkeiten begegnen und alle individuellen Differenzen aufgehoben
erscheinen. Das ökonomische Seitenstück für diese Art von Beziehungen
ist deshalb das Geld, das gleichfalls, jenseits aller individuellen Be-
stimmtheit stehend, gleichsam den Gattungstypus der ökonomischen
Werte bedeutet, die Darstellung dessen, was allen einzelnen Werten
gemein ist. So empfindet man auch umgekehrt am Wesen des Geldes
selbst etwas vom Wesen der Prostitution. Die Indifferenz, in der es
sich jeder Verwendung darbietet, die Treulosigkeit, mit der es sich
von jedem Subjekt löst, weil es mit keinem eigentlich verbunden
war, die jede Herzensbeziehung ausschliessende Sachlichkeit, die
ihm als reinem Mittel eignet -- alles dies stiftet eine verhängnis-
volle Analogie zwischen ihm und der Prostitution. Wenn Kant als
Moralgebot aufstellt, man solle niemals einen Menschen als blosses
Mittel gebrauchen, sondern ihn jederzeit zugleich als Zweck an-
erkennen und behandeln -- so zeigt die Prostitution das absolut
entgegengesetzte Verhalten, und zwar auf beiden beteiligten
Seiten
. So ist sie von allen Verhältnissen der Menschen unterein-
ander vielleicht der prägnanteste Fall einer gegenseitigen Herabdrückung
zum blossen Mittel; und dies mag das stärkste und tiefste Moment sein,
das sie in so enge historische Verbindung mit der Geldwirtschaft,
der Wirtschaft mit "Mitteln" im striktesten Sinne, setzt.

Hierauf gründet es sich, dass die fürchterliche, in der Prostitution
liegende Entwürdigung in ihrem Geldäquivalent den schärfsten Aus-
druck findet. Sicherlich bezeichnet es den Tiefpunkt der Menschen-
würde, wenn eine Frau das Intimste und Persönlichste, das nur aus
einem ganz individuellen Impuls geopfert und nur mit der gleichen

Menschen, das seinem Wesen nach auf Dauer und innere Wahrheit der
verbindenden Kräfte angelegt ist — wie das wirkliche Liebesverhältnis,
so schnell es auch abgebrochen werde — ist das Geld niemals der adä-
quate Mittler; für den käuflichen Genuſs, der jede über den Augenblick
und über den ausschlieſslich sinnlichen Trieb hinausgehende Beziehung
ablehnt, leistet das Geld, das sich mit seiner Hingabe absolut von der
Persönlichkeit löst und jede weitere Konsequenz am gründlichsten ab-
schneidet, den sachlich und symbolisch vollkommensten Dienst — in-
dem man mit Geld bezahlt hat, ist man mit jeder Sache am gründ-
lichsten fertig, so gründlich, wie mit der Prostituierten nach erlangter
Befriedigung. Dadurch, daſs die Beziehung der Geschlechter inner-
halb der Prostitution ganz unzweideutig auf den sinnlichen Akt be-
schränkt ist, wird sie auf ihren rein gattungsmäſsigen Inhalt herab-
gesetzt; sie besteht in demjenigen, was jedes Exemplar der Gattung
leisten und empfinden kann und worin sich die sonst entgegengesetztesten
Persönlichkeiten begegnen und alle individuellen Differenzen aufgehoben
erscheinen. Das ökonomische Seitenstück für diese Art von Beziehungen
ist deshalb das Geld, das gleichfalls, jenseits aller individuellen Be-
stimmtheit stehend, gleichsam den Gattungstypus der ökonomischen
Werte bedeutet, die Darstellung dessen, was allen einzelnen Werten
gemein ist. So empfindet man auch umgekehrt am Wesen des Geldes
selbst etwas vom Wesen der Prostitution. Die Indifferenz, in der es
sich jeder Verwendung darbietet, die Treulosigkeit, mit der es sich
von jedem Subjekt löst, weil es mit keinem eigentlich verbunden
war, die jede Herzensbeziehung ausschlieſsende Sachlichkeit, die
ihm als reinem Mittel eignet — alles dies stiftet eine verhängnis-
volle Analogie zwischen ihm und der Prostitution. Wenn Kant als
Moralgebot aufstellt, man solle niemals einen Menschen als bloſses
Mittel gebrauchen, sondern ihn jederzeit zugleich als Zweck an-
erkennen und behandeln — so zeigt die Prostitution das absolut
entgegengesetzte Verhalten, und zwar auf beiden beteiligten
Seiten
. So ist sie von allen Verhältnissen der Menschen unterein-
ander vielleicht der prägnanteste Fall einer gegenseitigen Herabdrückung
zum bloſsen Mittel; und dies mag das stärkste und tiefste Moment sein,
das sie in so enge historische Verbindung mit der Geldwirtschaft,
der Wirtschaft mit „Mitteln“ im striktesten Sinne, setzt.

Hierauf gründet es sich, daſs die fürchterliche, in der Prostitution
liegende Entwürdigung in ihrem Geldäquivalent den schärfsten Aus-
druck findet. Sicherlich bezeichnet es den Tiefpunkt der Menschen-
würde, wenn eine Frau das Intimste und Persönlichste, das nur aus
einem ganz individuellen Impuls geopfert und nur mit der gleichen

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[391/0415] Menschen, das seinem Wesen nach auf Dauer und innere Wahrheit der verbindenden Kräfte angelegt ist — wie das wirkliche Liebesverhältnis, so schnell es auch abgebrochen werde — ist das Geld niemals der adä- quate Mittler; für den käuflichen Genuſs, der jede über den Augenblick und über den ausschlieſslich sinnlichen Trieb hinausgehende Beziehung ablehnt, leistet das Geld, das sich mit seiner Hingabe absolut von der Persönlichkeit löst und jede weitere Konsequenz am gründlichsten ab- schneidet, den sachlich und symbolisch vollkommensten Dienst — in- dem man mit Geld bezahlt hat, ist man mit jeder Sache am gründ- lichsten fertig, so gründlich, wie mit der Prostituierten nach erlangter Befriedigung. Dadurch, daſs die Beziehung der Geschlechter inner- halb der Prostitution ganz unzweideutig auf den sinnlichen Akt be- schränkt ist, wird sie auf ihren rein gattungsmäſsigen Inhalt herab- gesetzt; sie besteht in demjenigen, was jedes Exemplar der Gattung leisten und empfinden kann und worin sich die sonst entgegengesetztesten Persönlichkeiten begegnen und alle individuellen Differenzen aufgehoben erscheinen. Das ökonomische Seitenstück für diese Art von Beziehungen ist deshalb das Geld, das gleichfalls, jenseits aller individuellen Be- stimmtheit stehend, gleichsam den Gattungstypus der ökonomischen Werte bedeutet, die Darstellung dessen, was allen einzelnen Werten gemein ist. So empfindet man auch umgekehrt am Wesen des Geldes selbst etwas vom Wesen der Prostitution. Die Indifferenz, in der es sich jeder Verwendung darbietet, die Treulosigkeit, mit der es sich von jedem Subjekt löst, weil es mit keinem eigentlich verbunden war, die jede Herzensbeziehung ausschlieſsende Sachlichkeit, die ihm als reinem Mittel eignet — alles dies stiftet eine verhängnis- volle Analogie zwischen ihm und der Prostitution. Wenn Kant als Moralgebot aufstellt, man solle niemals einen Menschen als bloſses Mittel gebrauchen, sondern ihn jederzeit zugleich als Zweck an- erkennen und behandeln — so zeigt die Prostitution das absolut entgegengesetzte Verhalten, und zwar auf beiden beteiligten Seiten. So ist sie von allen Verhältnissen der Menschen unterein- ander vielleicht der prägnanteste Fall einer gegenseitigen Herabdrückung zum bloſsen Mittel; und dies mag das stärkste und tiefste Moment sein, das sie in so enge historische Verbindung mit der Geldwirtschaft, der Wirtschaft mit „Mitteln“ im striktesten Sinne, setzt. Hierauf gründet es sich, daſs die fürchterliche, in der Prostitution liegende Entwürdigung in ihrem Geldäquivalent den schärfsten Aus- druck findet. Sicherlich bezeichnet es den Tiefpunkt der Menschen- würde, wenn eine Frau das Intimste und Persönlichste, das nur aus einem ganz individuellen Impuls geopfert und nur mit der gleichen

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/415>, abgerufen am 22.11.2024.