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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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personalen Hingabe des Mannes aufgewogen werden dürfte, grade um
einer so ganz unpersönlichen, rein äusserlich-sachlichen Vergeltung
willen dahingiebt. Wir empfinden hier die völligste und peinlichste
Unangemessenheit zwischen Leistung und Gegenleistung; oder vielmehr,
das eben ist die Erniedrigung durch die Prostitution, dass sie den
persönlichsten und auf die grösste Reserve angewiesenen Besitz der Frau
so herabsetzt, dass der allerneutralste, allem Persönlichen fernste Wert
als angemessenes Äquivalent für ihn empfunden wird. Diese Charak-
terisiertheit der Prostitution durch die Geldentlohnung trifft indes auf
einige gegenteilige Überlegungen, die erörtert werden müssen, um jene
Bedeutung des Geldes ganz scharf hervortreten zu lassen.

Der ganz personale, intim-individuelle Charakter, den die
sexuelle Hingabe der Frau tragen soll, scheint mit der oben betonten
Thatsache nicht recht übereinzustimmen, dass die bloss sinnliche Be-
ziehung zwischen den Geschlechtern rein generellen Wesens sei, dass
in ihr, als dem absolut Allgemeinen, und uns sogar mit dem Tierreich
Gemeinsamen, grade alle Personalität und individuelle Innerlichkeit
ausgelöscht wäre. Wenn die Männer so sehr geneigt sind, über die
Frauen "im Plural" zu sprechen, über sie in Bausch und Bogen und
alle gleichsam in einen Topf werfend zu urteilen, so ist allerdings einer
der Gründe dafür sicherlich auch der, dass dasjenige, was insbesondere
die Männer von roherer Sinnlichkeit an den Frauen interessiert,
eben dasselbe bei den Frauen aller Rangstufen ist. So scheint es
ausgeschlossen, grade in dieser Funktion einen eigentlichen Persön-
lichkeitswert zu finden; alle anderen von ähnlicher Allgemeinheit:
Essen und Trinken, die regulären physiologischen, ja psychologischen
Thätigkeiten, der Trieb der Selbsterhaltung und die typisch-logischen
Funktionen, werden niemals mit der Persönlichkeit als solcher in soli-
darische Verbindung gesetzt, niemals empfindet man, dass jemand grade
in der Ausübung oder Darbietung dessen, was ihm mit allen Anderen
ununterscheidbar gemeinsam ist, sein Innerstes, Wesentliches, Um-
fassendstes äussere oder fortgebe. Dennoch liegt bei der geschlecht-
lichen Hingabe der Frau diese Anomalie unleugbar vor: dieser ganz
generelle, für alle Schichten des Menschlichen gleichmässige Akt wird
thatsächlich -- wenigstens für die Frau -- zugleich als ein allerper-
sönlichster, ihr Innerliches einschliessender empfunden. Dies kann
verständlich werden, wenn man sich der Meinung anschliesst, dass die
Frauen überhaupt noch tiefer in den Gattungstypus eingesenkt sind
als die Männer, von denen sich der Einzelne differenzierter und in-
dividualisierter aus jenem heraushebt. Daraus würde zunächst folgen,
dass bei der Frau das Gattungsmässige und das Persönliche eher zu-

personalen Hingabe des Mannes aufgewogen werden dürfte, grade um
einer so ganz unpersönlichen, rein äuſserlich-sachlichen Vergeltung
willen dahingiebt. Wir empfinden hier die völligste und peinlichste
Unangemessenheit zwischen Leistung und Gegenleistung; oder vielmehr,
das eben ist die Erniedrigung durch die Prostitution, daſs sie den
persönlichsten und auf die gröſste Reserve angewiesenen Besitz der Frau
so herabsetzt, daſs der allerneutralste, allem Persönlichen fernste Wert
als angemessenes Äquivalent für ihn empfunden wird. Diese Charak-
terisiertheit der Prostitution durch die Geldentlohnung trifft indes auf
einige gegenteilige Überlegungen, die erörtert werden müssen, um jene
Bedeutung des Geldes ganz scharf hervortreten zu lassen.

Der ganz personale, intim-individuelle Charakter, den die
sexuelle Hingabe der Frau tragen soll, scheint mit der oben betonten
Thatsache nicht recht übereinzustimmen, daſs die bloſs sinnliche Be-
ziehung zwischen den Geschlechtern rein generellen Wesens sei, daſs
in ihr, als dem absolut Allgemeinen, und uns sogar mit dem Tierreich
Gemeinsamen, grade alle Personalität und individuelle Innerlichkeit
ausgelöscht wäre. Wenn die Männer so sehr geneigt sind, über die
Frauen „im Plural“ zu sprechen, über sie in Bausch und Bogen und
alle gleichsam in einen Topf werfend zu urteilen, so ist allerdings einer
der Gründe dafür sicherlich auch der, daſs dasjenige, was insbesondere
die Männer von roherer Sinnlichkeit an den Frauen interessiert,
eben dasselbe bei den Frauen aller Rangstufen ist. So scheint es
ausgeschlossen, grade in dieser Funktion einen eigentlichen Persön-
lichkeitswert zu finden; alle anderen von ähnlicher Allgemeinheit:
Essen und Trinken, die regulären physiologischen, ja psychologischen
Thätigkeiten, der Trieb der Selbsterhaltung und die typisch-logischen
Funktionen, werden niemals mit der Persönlichkeit als solcher in soli-
darische Verbindung gesetzt, niemals empfindet man, daſs jemand grade
in der Ausübung oder Darbietung dessen, was ihm mit allen Anderen
ununterscheidbar gemeinsam ist, sein Innerstes, Wesentliches, Um-
fassendstes äuſsere oder fortgebe. Dennoch liegt bei der geschlecht-
lichen Hingabe der Frau diese Anomalie unleugbar vor: dieser ganz
generelle, für alle Schichten des Menschlichen gleichmäſsige Akt wird
thatsächlich — wenigstens für die Frau — zugleich als ein allerper-
sönlichster, ihr Innerliches einschlieſsender empfunden. Dies kann
verständlich werden, wenn man sich der Meinung anschlieſst, daſs die
Frauen überhaupt noch tiefer in den Gattungstypus eingesenkt sind
als die Männer, von denen sich der Einzelne differenzierter und in-
dividualisierter aus jenem heraushebt. Daraus würde zunächst folgen,
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[392/0416] personalen Hingabe des Mannes aufgewogen werden dürfte, grade um einer so ganz unpersönlichen, rein äuſserlich-sachlichen Vergeltung willen dahingiebt. Wir empfinden hier die völligste und peinlichste Unangemessenheit zwischen Leistung und Gegenleistung; oder vielmehr, das eben ist die Erniedrigung durch die Prostitution, daſs sie den persönlichsten und auf die gröſste Reserve angewiesenen Besitz der Frau so herabsetzt, daſs der allerneutralste, allem Persönlichen fernste Wert als angemessenes Äquivalent für ihn empfunden wird. Diese Charak- terisiertheit der Prostitution durch die Geldentlohnung trifft indes auf einige gegenteilige Überlegungen, die erörtert werden müssen, um jene Bedeutung des Geldes ganz scharf hervortreten zu lassen. Der ganz personale, intim-individuelle Charakter, den die sexuelle Hingabe der Frau tragen soll, scheint mit der oben betonten Thatsache nicht recht übereinzustimmen, daſs die bloſs sinnliche Be- ziehung zwischen den Geschlechtern rein generellen Wesens sei, daſs in ihr, als dem absolut Allgemeinen, und uns sogar mit dem Tierreich Gemeinsamen, grade alle Personalität und individuelle Innerlichkeit ausgelöscht wäre. Wenn die Männer so sehr geneigt sind, über die Frauen „im Plural“ zu sprechen, über sie in Bausch und Bogen und alle gleichsam in einen Topf werfend zu urteilen, so ist allerdings einer der Gründe dafür sicherlich auch der, daſs dasjenige, was insbesondere die Männer von roherer Sinnlichkeit an den Frauen interessiert, eben dasselbe bei den Frauen aller Rangstufen ist. So scheint es ausgeschlossen, grade in dieser Funktion einen eigentlichen Persön- lichkeitswert zu finden; alle anderen von ähnlicher Allgemeinheit: Essen und Trinken, die regulären physiologischen, ja psychologischen Thätigkeiten, der Trieb der Selbsterhaltung und die typisch-logischen Funktionen, werden niemals mit der Persönlichkeit als solcher in soli- darische Verbindung gesetzt, niemals empfindet man, daſs jemand grade in der Ausübung oder Darbietung dessen, was ihm mit allen Anderen ununterscheidbar gemeinsam ist, sein Innerstes, Wesentliches, Um- fassendstes äuſsere oder fortgebe. Dennoch liegt bei der geschlecht- lichen Hingabe der Frau diese Anomalie unleugbar vor: dieser ganz generelle, für alle Schichten des Menschlichen gleichmäſsige Akt wird thatsächlich — wenigstens für die Frau — zugleich als ein allerper- sönlichster, ihr Innerliches einschlieſsender empfunden. Dies kann verständlich werden, wenn man sich der Meinung anschlieſst, daſs die Frauen überhaupt noch tiefer in den Gattungstypus eingesenkt sind als die Männer, von denen sich der Einzelne differenzierter und in- dividualisierter aus jenem heraushebt. Daraus würde zunächst folgen, daſs bei der Frau das Gattungsmäſsige und das Persönliche eher zu-

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/416>, abgerufen am 20.05.2024.