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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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sammenfallen kann. Hängen die Frauen wirklich noch enger und tiefer
als der Mann mit dem dunkeln Urgrund der Natur zusammen, so
wurzelt ihr Wesentlichstes und Persönlichstes eben auch noch kräftiger
in jenen natürlichsten, allgemeinsten, die Einheit der Art garantieren-
den Funktionen. Und es folgt weiter, dass jene Einheitlichkeit des
weiblichen Geschlechts, die das, was allen gemeinsam ist, weniger
scharf von dem, was jede für sich ist, unterscheidet -- dass diese sich
in der grösseren Einheitlichkeit des Wesens jeder einzelnen Frau für
sich spiegeln muss. Die Erfahrung scheint zu bestätigen, dass die
einzelnen Kräfte, Qualitäten, Impulse der Frau psychologisch unmittel-
barer und enger zusammenhängen, als beim Manne, dessen Wesens-
seiten selbständiger ausgebildet sind, so dass Entwicklung und Schicksal
jeder einzelnen von dem jeder anderen relativ unabhängig sind. Das
Wesen der Frau aber lebt -- so kann man wenigstens die allgemeine
Meinung über sie zusammenfassen -- viel mehr unter dem Zeichen
des Alles oder Nichts, ihre Neigungen und Bethätigungen stehen in
engeren Assoziationen, und es gelingt leichter bei ihnen als bei Männern,
die Gesamtheit des Wesens mit allen seinen Gefühlen, Wollungen,
Gedanken von einem Punkte aus aufzuregen. Wenn sich dies so
verhält, so liegt eine gewisse Berechtigung in der Voraussetzung, dass
die Frau mit dieser einen zentralen Funktion, mit der Hingabe dieses
einen Teiles ihres Ich, wirklich ihre ganze Person vollständiger und
unreservierter dahingegeben habe, als der differenziertere Mann es bei
der gleichen Gelegenheit thut. Schon auf harmloseren Stufen des Ver-
hältnisses zwischen Mann und Frau macht sich dieser Unterschied
seiner Bedeutung für beide geltend; sogar Naturvölker normieren die
Bussen, welche der Bräutigam, bezw. die Braut bei einseitiger Auf-
hebung des Verlöbnisses zu zahlen haben, für beide verschieden, und
zwar so, dass z. B. bei den Bakaks diese fünf Gulden, jener aber zehn
zu zahlen hat, bei den Bewohnern von Bengkulen der kontraktbrüchige
Bräutigam vierzig, die Braut nur zehn Gulden. Die Bedeutung und
die Folgen, welche die Gesellschaft an die sinnliche Beziehung zwischen
Mann und Weib knüpft, stehen dementsprechend auch unter der Vor-
aussetzung, dass die Frau ihr ganzes Ich, mit der Gesamtheit seiner
Werte, jener dagegen nur einen Teil seiner Persönlichkeit in den
Tausch gegeben habe. Sie spricht deshalb einem Mädchen, das sich
einmal vergangen hat, die "Ehre" schlechthin ab, sie verurteilt den
Ehebruch der Frau viel härter als den des Mannes, von dem man an-
zunehmen scheint, dass sich eine gelegentliche, rein sinnliche Extravaganz
noch mit der Treue gegen seine Frau in allem Innerlichen und Wesent-
lichen wenigstens vertragen könne, sie deklassiert die Prostituierte

sammenfallen kann. Hängen die Frauen wirklich noch enger und tiefer
als der Mann mit dem dunkeln Urgrund der Natur zusammen, so
wurzelt ihr Wesentlichstes und Persönlichstes eben auch noch kräftiger
in jenen natürlichsten, allgemeinsten, die Einheit der Art garantieren-
den Funktionen. Und es folgt weiter, daſs jene Einheitlichkeit des
weiblichen Geschlechts, die das, was allen gemeinsam ist, weniger
scharf von dem, was jede für sich ist, unterscheidet — daſs diese sich
in der gröſseren Einheitlichkeit des Wesens jeder einzelnen Frau für
sich spiegeln muſs. Die Erfahrung scheint zu bestätigen, daſs die
einzelnen Kräfte, Qualitäten, Impulse der Frau psychologisch unmittel-
barer und enger zusammenhängen, als beim Manne, dessen Wesens-
seiten selbständiger ausgebildet sind, so daſs Entwicklung und Schicksal
jeder einzelnen von dem jeder anderen relativ unabhängig sind. Das
Wesen der Frau aber lebt — so kann man wenigstens die allgemeine
Meinung über sie zusammenfassen — viel mehr unter dem Zeichen
des Alles oder Nichts, ihre Neigungen und Bethätigungen stehen in
engeren Assoziationen, und es gelingt leichter bei ihnen als bei Männern,
die Gesamtheit des Wesens mit allen seinen Gefühlen, Wollungen,
Gedanken von einem Punkte aus aufzuregen. Wenn sich dies so
verhält, so liegt eine gewisse Berechtigung in der Voraussetzung, daſs
die Frau mit dieser einen zentralen Funktion, mit der Hingabe dieses
einen Teiles ihres Ich, wirklich ihre ganze Person vollständiger und
unreservierter dahingegeben habe, als der differenziertere Mann es bei
der gleichen Gelegenheit thut. Schon auf harmloseren Stufen des Ver-
hältnisses zwischen Mann und Frau macht sich dieser Unterschied
seiner Bedeutung für beide geltend; sogar Naturvölker normieren die
Buſsen, welche der Bräutigam, bezw. die Braut bei einseitiger Auf-
hebung des Verlöbnisses zu zahlen haben, für beide verschieden, und
zwar so, daſs z. B. bei den Bakaks diese fünf Gulden, jener aber zehn
zu zahlen hat, bei den Bewohnern von Bengkulen der kontraktbrüchige
Bräutigam vierzig, die Braut nur zehn Gulden. Die Bedeutung und
die Folgen, welche die Gesellschaft an die sinnliche Beziehung zwischen
Mann und Weib knüpft, stehen dementsprechend auch unter der Vor-
aussetzung, daſs die Frau ihr ganzes Ich, mit der Gesamtheit seiner
Werte, jener dagegen nur einen Teil seiner Persönlichkeit in den
Tausch gegeben habe. Sie spricht deshalb einem Mädchen, das sich
einmal vergangen hat, die „Ehre“ schlechthin ab, sie verurteilt den
Ehebruch der Frau viel härter als den des Mannes, von dem man an-
zunehmen scheint, daſs sich eine gelegentliche, rein sinnliche Extravaganz
noch mit der Treue gegen seine Frau in allem Innerlichen und Wesent-
lichen wenigstens vertragen könne, sie deklassiert die Prostituierte

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[393/0417] sammenfallen kann. Hängen die Frauen wirklich noch enger und tiefer als der Mann mit dem dunkeln Urgrund der Natur zusammen, so wurzelt ihr Wesentlichstes und Persönlichstes eben auch noch kräftiger in jenen natürlichsten, allgemeinsten, die Einheit der Art garantieren- den Funktionen. Und es folgt weiter, daſs jene Einheitlichkeit des weiblichen Geschlechts, die das, was allen gemeinsam ist, weniger scharf von dem, was jede für sich ist, unterscheidet — daſs diese sich in der gröſseren Einheitlichkeit des Wesens jeder einzelnen Frau für sich spiegeln muſs. Die Erfahrung scheint zu bestätigen, daſs die einzelnen Kräfte, Qualitäten, Impulse der Frau psychologisch unmittel- barer und enger zusammenhängen, als beim Manne, dessen Wesens- seiten selbständiger ausgebildet sind, so daſs Entwicklung und Schicksal jeder einzelnen von dem jeder anderen relativ unabhängig sind. Das Wesen der Frau aber lebt — so kann man wenigstens die allgemeine Meinung über sie zusammenfassen — viel mehr unter dem Zeichen des Alles oder Nichts, ihre Neigungen und Bethätigungen stehen in engeren Assoziationen, und es gelingt leichter bei ihnen als bei Männern, die Gesamtheit des Wesens mit allen seinen Gefühlen, Wollungen, Gedanken von einem Punkte aus aufzuregen. Wenn sich dies so verhält, so liegt eine gewisse Berechtigung in der Voraussetzung, daſs die Frau mit dieser einen zentralen Funktion, mit der Hingabe dieses einen Teiles ihres Ich, wirklich ihre ganze Person vollständiger und unreservierter dahingegeben habe, als der differenziertere Mann es bei der gleichen Gelegenheit thut. Schon auf harmloseren Stufen des Ver- hältnisses zwischen Mann und Frau macht sich dieser Unterschied seiner Bedeutung für beide geltend; sogar Naturvölker normieren die Buſsen, welche der Bräutigam, bezw. die Braut bei einseitiger Auf- hebung des Verlöbnisses zu zahlen haben, für beide verschieden, und zwar so, daſs z. B. bei den Bakaks diese fünf Gulden, jener aber zehn zu zahlen hat, bei den Bewohnern von Bengkulen der kontraktbrüchige Bräutigam vierzig, die Braut nur zehn Gulden. Die Bedeutung und die Folgen, welche die Gesellschaft an die sinnliche Beziehung zwischen Mann und Weib knüpft, stehen dementsprechend auch unter der Vor- aussetzung, daſs die Frau ihr ganzes Ich, mit der Gesamtheit seiner Werte, jener dagegen nur einen Teil seiner Persönlichkeit in den Tausch gegeben habe. Sie spricht deshalb einem Mädchen, das sich einmal vergangen hat, die „Ehre“ schlechthin ab, sie verurteilt den Ehebruch der Frau viel härter als den des Mannes, von dem man an- zunehmen scheint, daſs sich eine gelegentliche, rein sinnliche Extravaganz noch mit der Treue gegen seine Frau in allem Innerlichen und Wesent- lichen wenigstens vertragen könne, sie deklassiert die Prostituierte

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/417>, abgerufen am 22.11.2024.