ganz unrettbar, während der schlimmste Wüstling sich noch immer gleichsam an den übrigen Seiten seiner Persönlichkeit aus dem Sumpfe herausziehen und jegliche soziale Stellung erobern kann. In den rein sinnlichen Akt also, um den es sich bei der Prostitution handelt, setzt der Mann nur ein Minimum seines Ich, die Frau aber ein Maximum ein -- freilich nicht in dem einzelnen Fall, wohl aber in allen Fällen zusammengenommen; ein Verhältnis, aus dem sowohl das Zuhältertum wie die als häufig angegebenen Fälle der lesbischen Liebe unter den Prostituierten verständlich werden: weil die Pro- stituierte aus ihren Beziehungen zu Männern, in welche diese niemals als wirkliche und ganze Menschen eintreten, eine fürchterliche Leere und Unbefriedigtheit davontragen muss, sucht sie eine Ergänzung durch jene Verhältnisse, an denen doch wenigstens noch einige sonstige Seiten des Menschen beteiligt sind. Weder der Gedanke also, dass der Ge- schlechtsakt etwas Generelles und Unpersönliches wäre, noch die That- sache, dass der Mann an demselben, äusserlich betrachtet, ebenso be- teiligt ist wie die Frau, kann das behauptete Verhältnis umstossen: dass der Einsatz der Frau ein unendlich persönlicherer, wesentlicherer, das Ich umfassenderer ist, als der des Mannes, und dass das Geld- äquivalent dafür also das denkbar Ungeeignetste und Unangemessenste ist, dessen Geben und Annehmen die tiefste Herabdrückung der Per- sönlichkeit der Frau bedeutet. -- Das Entwürdigende der Prostitution für die Frau liegt an und für sich noch nicht in ihrem polyandrischen Charakter, noch nicht darin, dass sie sich vielen Männern hingiebt; eigentliche Polyandrie verschafft sogar der Frau oft ein entschiedenes Übergewicht, z. B. bei der relativ hochstehenden Gruppe der Nairs in Indien. Allein das hier Wesentliche ist nicht, dass die Prostitution Polyandrie, sondern dass sie Polygynie bedeutet. Diese eben setzt allenthalben den Eigenwert der Frau unvergleichlich herab: sie ver- liert den Seltenheitswert. Äusserlich angesehen, vereinigt die Prosti- tution ja polyandrische mit polygynischen Verhältnissen. Allein der Vorsprung, den allenthalben derjenige, der das Geld giebt, vor dem- jenigen hat, der die Ware giebt, bewirkt es, dass nur die letzteren, die dem Manne ein ungeheures Übergewicht verleihen, der Prosti- tution den Charakter bestimmen. Auch in Verhältnissen, die mit Prostitution nicht das geringste zu thun haben, pflegen Frauen es als peinlich und entwürdigend zu empfinden, Geld von ihren Lieb- habern anzunehmen, während dieses Gefühl sich oft auf gegenständ- liche Geschenke nicht erstreckt; wogegen es ihnen selbst Vergnügen und Genugthuung ist, jenen ihrerseits Geld zu geben; man sagte von Marlborough, der Grund seiner Erfolge bei Frauen sei gewesen, dass
ganz unrettbar, während der schlimmste Wüstling sich noch immer gleichsam an den übrigen Seiten seiner Persönlichkeit aus dem Sumpfe herausziehen und jegliche soziale Stellung erobern kann. In den rein sinnlichen Akt also, um den es sich bei der Prostitution handelt, setzt der Mann nur ein Minimum seines Ich, die Frau aber ein Maximum ein — freilich nicht in dem einzelnen Fall, wohl aber in allen Fällen zusammengenommen; ein Verhältnis, aus dem sowohl das Zuhältertum wie die als häufig angegebenen Fälle der lesbischen Liebe unter den Prostituierten verständlich werden: weil die Pro- stituierte aus ihren Beziehungen zu Männern, in welche diese niemals als wirkliche und ganze Menschen eintreten, eine fürchterliche Leere und Unbefriedigtheit davontragen muſs, sucht sie eine Ergänzung durch jene Verhältnisse, an denen doch wenigstens noch einige sonstige Seiten des Menschen beteiligt sind. Weder der Gedanke also, daſs der Ge- schlechtsakt etwas Generelles und Unpersönliches wäre, noch die That- sache, daſs der Mann an demselben, äuſserlich betrachtet, ebenso be- teiligt ist wie die Frau, kann das behauptete Verhältnis umstoſsen: daſs der Einsatz der Frau ein unendlich persönlicherer, wesentlicherer, das Ich umfassenderer ist, als der des Mannes, und daſs das Geld- äquivalent dafür also das denkbar Ungeeignetste und Unangemessenste ist, dessen Geben und Annehmen die tiefste Herabdrückung der Per- sönlichkeit der Frau bedeutet. — Das Entwürdigende der Prostitution für die Frau liegt an und für sich noch nicht in ihrem polyandrischen Charakter, noch nicht darin, daſs sie sich vielen Männern hingiebt; eigentliche Polyandrie verschafft sogar der Frau oft ein entschiedenes Übergewicht, z. B. bei der relativ hochstehenden Gruppe der Nairs in Indien. Allein das hier Wesentliche ist nicht, daſs die Prostitution Polyandrie, sondern daſs sie Polygynie bedeutet. Diese eben setzt allenthalben den Eigenwert der Frau unvergleichlich herab: sie ver- liert den Seltenheitswert. Äuſserlich angesehen, vereinigt die Prosti- tution ja polyandrische mit polygynischen Verhältnissen. Allein der Vorsprung, den allenthalben derjenige, der das Geld giebt, vor dem- jenigen hat, der die Ware giebt, bewirkt es, daſs nur die letzteren, die dem Manne ein ungeheures Übergewicht verleihen, der Prosti- tution den Charakter bestimmen. Auch in Verhältnissen, die mit Prostitution nicht das geringste zu thun haben, pflegen Frauen es als peinlich und entwürdigend zu empfinden, Geld von ihren Lieb- habern anzunehmen, während dieses Gefühl sich oft auf gegenständ- liche Geschenke nicht erstreckt; wogegen es ihnen selbst Vergnügen und Genugthuung ist, jenen ihrerseits Geld zu geben; man sagte von Marlborough, der Grund seiner Erfolge bei Frauen sei gewesen, daſs
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ganz unrettbar, während der schlimmste Wüstling sich noch immer
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den rein sinnlichen Akt also, um den es sich bei der Prostitution
handelt, setzt der Mann nur ein Minimum seines Ich, die Frau aber
ein Maximum ein — freilich nicht in dem einzelnen Fall, wohl aber
in allen Fällen zusammengenommen; ein Verhältnis, aus dem sowohl
das Zuhältertum wie die als häufig angegebenen Fälle der lesbischen
Liebe unter den Prostituierten verständlich werden: weil die Pro-
stituierte aus ihren Beziehungen zu Männern, in welche diese niemals
als wirkliche und ganze Menschen eintreten, eine fürchterliche Leere
und Unbefriedigtheit davontragen muſs, sucht sie eine Ergänzung durch
jene Verhältnisse, an denen doch wenigstens noch einige sonstige Seiten
des Menschen beteiligt sind. Weder der Gedanke also, daſs der Ge-
schlechtsakt etwas Generelles und Unpersönliches wäre, noch die That-
sache, daſs der Mann an demselben, äuſserlich betrachtet, ebenso be-
teiligt ist wie die Frau, kann das behauptete Verhältnis umstoſsen:
daſs der Einsatz der Frau ein unendlich persönlicherer, wesentlicherer,
das Ich umfassenderer ist, als der des Mannes, und daſs das Geld-
äquivalent dafür also das denkbar Ungeeignetste und Unangemessenste
ist, dessen Geben und Annehmen die tiefste Herabdrückung der Per-
sönlichkeit der Frau bedeutet. — Das Entwürdigende der Prostitution
für die Frau liegt an und für sich noch nicht in ihrem polyandrischen
Charakter, noch nicht darin, daſs sie sich vielen Männern hingiebt;
eigentliche Polyandrie verschafft sogar der Frau oft ein entschiedenes
Übergewicht, z. B. bei der relativ hochstehenden Gruppe der Nairs in
Indien. Allein das hier Wesentliche ist nicht, daſs die Prostitution
Polyandrie, sondern daſs sie Polygynie bedeutet. Diese eben setzt
allenthalben den Eigenwert der Frau unvergleichlich herab: sie ver-
liert den Seltenheitswert. Äuſserlich angesehen, vereinigt die Prosti-
tution ja polyandrische mit polygynischen Verhältnissen. Allein der
Vorsprung, den allenthalben derjenige, der das Geld giebt, vor dem-
jenigen hat, der die Ware giebt, bewirkt es, daſs nur die letzteren,
die dem Manne ein ungeheures Übergewicht verleihen, der Prosti-
tution den Charakter bestimmen. Auch in Verhältnissen, die mit
Prostitution nicht das geringste zu thun haben, pflegen Frauen es als
peinlich und entwürdigend zu empfinden, Geld von ihren Lieb-
habern anzunehmen, während dieses Gefühl sich oft auf gegenständ-
liche Geschenke nicht erstreckt; wogegen es ihnen selbst Vergnügen
und Genugthuung ist, jenen ihrerseits Geld zu geben; man sagte von
Marlborough, der Grund seiner Erfolge bei Frauen sei gewesen, daſs
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/418>, abgerufen am 22.11.2024.
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