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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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was wir fortgeben, unserem Sein, und das, was wir bekommen, unserem
Haben zurechnen, so ist das nur ein indirekter Ausdruck dafür, dass
wir ein intensiveres, dauernderes, den ganzen Umkreis des Lebens
berührendes Wertgefühl für ein unmittelbareres, dringlicheres,
momentaneres vertauschen.

Ist nun der Verkauf personaler Werte eine Herabminderung des
in diesem Sinn bestimmten Seins, das direkte Gegenteil des "Aufsich-
haltens", so kann man ein Persönlichkeitsideal nennen, an dem jene
Verhaltungsweisen am entschiedensten messbar werden: die Vornehm-
heit -- und zwar deshalb so entschieden, weil dieser Wert für das
Geldwesen überhaupt das radikalste Kriterium bedeutet; so dass, an
ihm gemessen, Prostitution, Geldheirat, Bestechung die outrierten Zu-
spitzungen in einer Reihe sind, die schon mit den legitimsten Formen
des Geldverkehrs beginnt. Bei der Darstellung dieses Sachverhaltes
handelt es sich hier im wesentlichen nur noch um solche personale
Werte, die sich in der Gestalt von sachlichen darbieten; zunächst
aber um die Bestimmung des Vornehmheitsbegriffes selbst.

Die übliche Aufteilung unserer objektiven Schätzungsnormen in
logische, ethische und ästhetische ist, auf unser wirkliches Urteilen hin
angesehen, ganz unvollständig. Wir schätzen etwa, um ein sehr augen-
scheinliches Beispiel zu nennen, die scharfe Ausbildung der Individualität,
die blosse Thatsache, dass eine Seele eine eigenartige, in sich ge-
schlossene Form und Kraft besitzt; die Unvergleichbarkeit und Un-
verwechselbarkeit, mit der eine Person gleichsam nur ihre eigne Idee
darstellt, empfinden wir als wertvoll, und zwar oft im Gegensatz zu
der ethischen und ästhetischen Minderwertigkeit des Inhaltes solcher
Erscheinung. Aber nicht um blosse Vervollständigung jenes Systems
handelt es sich, sondern darum, dass das systematische Abschliessen
als solches hier ebenso irrig ist, wie bei den fünf Sinnen oder den
zwölf Kantischen Verstandeskategorien. Die Entwicklung unserer Art
bildet fortwährend neue Möglichkeiten, die Welt sinnlich und intellek-
tuell aufzunehmen und ebenso fortwährend neue Kategorien, sie zu
werten. Und wie wir so stetig neue wirksame Ideale formen, so bringt
vertiefteres Bewusstsein immer weitere ans Licht, die bisher schon
wirksame, aber unbewusste waren. Ich glaube nun, dass unter den
Wertgefühlen, mit denen wir auf die Erscheinungen reagieren, sich
auch eines findet, das man nur als die Wertung der "Vornehmheit"
bezeichnen kann. Diese Kategorie zeigt ihre Selbständigkeit darin,
dass sie sich den sonst verschiedenartigsten und verschiedenwertigsten
Erscheinungen gegenüber einstellt. Gesinnungen wie Kunstwerke, Ab-
stammung wie litterarischen Stil, einen bestimmt ausgebildeten Ge-

was wir fortgeben, unserem Sein, und das, was wir bekommen, unserem
Haben zurechnen, so ist das nur ein indirekter Ausdruck dafür, daſs
wir ein intensiveres, dauernderes, den ganzen Umkreis des Lebens
berührendes Wertgefühl für ein unmittelbareres, dringlicheres,
momentaneres vertauschen.

Ist nun der Verkauf personaler Werte eine Herabminderung des
in diesem Sinn bestimmten Seins, das direkte Gegenteil des „Aufsich-
haltens“, so kann man ein Persönlichkeitsideal nennen, an dem jene
Verhaltungsweisen am entschiedensten meſsbar werden: die Vornehm-
heit — und zwar deshalb so entschieden, weil dieser Wert für das
Geldwesen überhaupt das radikalste Kriterium bedeutet; so daſs, an
ihm gemessen, Prostitution, Geldheirat, Bestechung die outrierten Zu-
spitzungen in einer Reihe sind, die schon mit den legitimsten Formen
des Geldverkehrs beginnt. Bei der Darstellung dieses Sachverhaltes
handelt es sich hier im wesentlichen nur noch um solche personale
Werte, die sich in der Gestalt von sachlichen darbieten; zunächst
aber um die Bestimmung des Vornehmheitsbegriffes selbst.

Die übliche Aufteilung unserer objektiven Schätzungsnormen in
logische, ethische und ästhetische ist, auf unser wirkliches Urteilen hin
angesehen, ganz unvollständig. Wir schätzen etwa, um ein sehr augen-
scheinliches Beispiel zu nennen, die scharfe Ausbildung der Individualität,
die bloſse Thatsache, daſs eine Seele eine eigenartige, in sich ge-
schlossene Form und Kraft besitzt; die Unvergleichbarkeit und Un-
verwechselbarkeit, mit der eine Person gleichsam nur ihre eigne Idee
darstellt, empfinden wir als wertvoll, und zwar oft im Gegensatz zu
der ethischen und ästhetischen Minderwertigkeit des Inhaltes solcher
Erscheinung. Aber nicht um bloſse Vervollständigung jenes Systems
handelt es sich, sondern darum, daſs das systematische Abschlieſsen
als solches hier ebenso irrig ist, wie bei den fünf Sinnen oder den
zwölf Kantischen Verstandeskategorien. Die Entwicklung unserer Art
bildet fortwährend neue Möglichkeiten, die Welt sinnlich und intellek-
tuell aufzunehmen und ebenso fortwährend neue Kategorien, sie zu
werten. Und wie wir so stetig neue wirksame Ideale formen, so bringt
vertiefteres Bewuſstsein immer weitere ans Licht, die bisher schon
wirksame, aber unbewuſste waren. Ich glaube nun, daſs unter den
Wertgefühlen, mit denen wir auf die Erscheinungen reagieren, sich
auch eines findet, das man nur als die Wertung der „Vornehmheit“
bezeichnen kann. Diese Kategorie zeigt ihre Selbständigkeit darin,
daſs sie sich den sonst verschiedenartigsten und verschiedenwertigsten
Erscheinungen gegenüber einstellt. Gesinnungen wie Kunstwerke, Ab-
stammung wie litterarischen Stil, einen bestimmt ausgebildeten Ge-

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[407/0431] was wir fortgeben, unserem Sein, und das, was wir bekommen, unserem Haben zurechnen, so ist das nur ein indirekter Ausdruck dafür, daſs wir ein intensiveres, dauernderes, den ganzen Umkreis des Lebens berührendes Wertgefühl für ein unmittelbareres, dringlicheres, momentaneres vertauschen. Ist nun der Verkauf personaler Werte eine Herabminderung des in diesem Sinn bestimmten Seins, das direkte Gegenteil des „Aufsich- haltens“, so kann man ein Persönlichkeitsideal nennen, an dem jene Verhaltungsweisen am entschiedensten meſsbar werden: die Vornehm- heit — und zwar deshalb so entschieden, weil dieser Wert für das Geldwesen überhaupt das radikalste Kriterium bedeutet; so daſs, an ihm gemessen, Prostitution, Geldheirat, Bestechung die outrierten Zu- spitzungen in einer Reihe sind, die schon mit den legitimsten Formen des Geldverkehrs beginnt. Bei der Darstellung dieses Sachverhaltes handelt es sich hier im wesentlichen nur noch um solche personale Werte, die sich in der Gestalt von sachlichen darbieten; zunächst aber um die Bestimmung des Vornehmheitsbegriffes selbst. Die übliche Aufteilung unserer objektiven Schätzungsnormen in logische, ethische und ästhetische ist, auf unser wirkliches Urteilen hin angesehen, ganz unvollständig. Wir schätzen etwa, um ein sehr augen- scheinliches Beispiel zu nennen, die scharfe Ausbildung der Individualität, die bloſse Thatsache, daſs eine Seele eine eigenartige, in sich ge- schlossene Form und Kraft besitzt; die Unvergleichbarkeit und Un- verwechselbarkeit, mit der eine Person gleichsam nur ihre eigne Idee darstellt, empfinden wir als wertvoll, und zwar oft im Gegensatz zu der ethischen und ästhetischen Minderwertigkeit des Inhaltes solcher Erscheinung. Aber nicht um bloſse Vervollständigung jenes Systems handelt es sich, sondern darum, daſs das systematische Abschlieſsen als solches hier ebenso irrig ist, wie bei den fünf Sinnen oder den zwölf Kantischen Verstandeskategorien. Die Entwicklung unserer Art bildet fortwährend neue Möglichkeiten, die Welt sinnlich und intellek- tuell aufzunehmen und ebenso fortwährend neue Kategorien, sie zu werten. Und wie wir so stetig neue wirksame Ideale formen, so bringt vertiefteres Bewuſstsein immer weitere ans Licht, die bisher schon wirksame, aber unbewuſste waren. Ich glaube nun, daſs unter den Wertgefühlen, mit denen wir auf die Erscheinungen reagieren, sich auch eines findet, das man nur als die Wertung der „Vornehmheit“ bezeichnen kann. Diese Kategorie zeigt ihre Selbständigkeit darin, daſs sie sich den sonst verschiedenartigsten und verschiedenwertigsten Erscheinungen gegenüber einstellt. Gesinnungen wie Kunstwerke, Ab- stammung wie litterarischen Stil, einen bestimmt ausgebildeten Ge-

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/431>, abgerufen am 20.05.2024.