war. Die Naturallieferung besteht, kantisch zu reden, aus der Pflicht als ihrer Form und dem speziellen Inhalt und Gegenstand als ihrer Materie. Diese Materie kann nun für sich gewisse Nebenwirkungen haben; sie kann z. B. als Arbeit der fronpflichtigen Bauern die Per- sönlichkeit und Bewegungsfreiheit derselben arg beschränken, sie kann aber auch als naturaler Beitrag zu den kriegerischen Unternehmungen einer Vormacht diese zu einer gewissen Rücksicht auf die Beitragenden zwingen. Während die Pflicht als solche in beiden Fällen die gleiche ist, wird die Materie, deren Form sie bildet, sie in dem einen Fall für den Verpflichteten schwer, in dem anderen relativ günstig gestalten. Wenn nun Geldzahlung an die Stelle dieser naturalen Leistungen tritt, wird das materielle Moment eigentlich ausgeschaltet, es verliert jede folgenreiche Qualität, so dass sozusagen nur die reine ökonomische Pflicht in der abstraktesten Verwirklichung, die sie überhaupt finden kann, zurückbleibt. Diese Reduktion ihrer wird deshalb in dem ersten der obigen Fälle das Fortfallen einer Erschwerung, in dem zweiten das einer Erleichterung bedeuten, und der Leistende wird also in diesem ebenso herabgedrückt werden, wie er in jenem erhoben wurde. Wir finden deshalb die Umwandlung der personalen Dienstpflicht in eine Geldzahlung öfters als eine bewusste Politik, durch die die Macht- stellung der Verpflichteten heruntergesetzt werden soll, z. B. bei Heinrich II. von England, der es einführte, dass die Ritter, anstatt ihm in die kontinentalen Kriege zu folgen, ihre Dienste mit Geld ab- lösen konnten. Viele mögen darauf eingetreten sein, weil es im Augen- blick als eine Erleichterung und Befreiung des einzelnen erschien. Thatsächlich indes bewirkte es eine Entwaffnung der Feudalpartei, die der König am meisten zu fürchten hatte und zwar grade wegen derjenigen kriegerischen Qualitäten, auf die er selbst bis dahin an- gewiesen war. Da bei der Mannschaftsgestellung seitens der Bezirke und Städte kein derartiges individuelles Element mitwirkte, so hatte für sie sich uns oben das Umgekehrte ergeben: der Gewinn von Frei- heit durch die Geldablösung jener Verpflichtung. Was uns all diese Erscheinungen hier so wichtig macht, ist, dass man aus ihnen den Zusammenhang ganz fundamentaler Lebensgefühle mit ganz äusser- lichen Thatsachen ablesen kann. Darum ist auch hier die Erkenntnis wesentlich, dass die Bestimmungen, die das Geld jene Zusammenhänge vermitteln lassen, an ihm zwar am reinsten und prägnantesten, aber doch nicht an ihm allein hervortreten. Die historischen Konstellationen, die innerlich von diesem Sinne getragen werden, lassen sich in eine aufsteigende Reihe ordnen, in der jedes Glied, je nach den sonstigen Verhältnissen der Elemente, ebenso deren Freiheit wie deren Unter-
war. Die Naturallieferung besteht, kantisch zu reden, aus der Pflicht als ihrer Form und dem speziellen Inhalt und Gegenstand als ihrer Materie. Diese Materie kann nun für sich gewisse Nebenwirkungen haben; sie kann z. B. als Arbeit der fronpflichtigen Bauern die Per- sönlichkeit und Bewegungsfreiheit derselben arg beschränken, sie kann aber auch als naturaler Beitrag zu den kriegerischen Unternehmungen einer Vormacht diese zu einer gewissen Rücksicht auf die Beitragenden zwingen. Während die Pflicht als solche in beiden Fällen die gleiche ist, wird die Materie, deren Form sie bildet, sie in dem einen Fall für den Verpflichteten schwer, in dem anderen relativ günstig gestalten. Wenn nun Geldzahlung an die Stelle dieser naturalen Leistungen tritt, wird das materielle Moment eigentlich ausgeschaltet, es verliert jede folgenreiche Qualität, so daſs sozusagen nur die reine ökonomische Pflicht in der abstraktesten Verwirklichung, die sie überhaupt finden kann, zurückbleibt. Diese Reduktion ihrer wird deshalb in dem ersten der obigen Fälle das Fortfallen einer Erschwerung, in dem zweiten das einer Erleichterung bedeuten, und der Leistende wird also in diesem ebenso herabgedrückt werden, wie er in jenem erhoben wurde. Wir finden deshalb die Umwandlung der personalen Dienstpflicht in eine Geldzahlung öfters als eine bewuſste Politik, durch die die Macht- stellung der Verpflichteten heruntergesetzt werden soll, z. B. bei Heinrich II. von England, der es einführte, daſs die Ritter, anstatt ihm in die kontinentalen Kriege zu folgen, ihre Dienste mit Geld ab- lösen konnten. Viele mögen darauf eingetreten sein, weil es im Augen- blick als eine Erleichterung und Befreiung des einzelnen erschien. Thatsächlich indes bewirkte es eine Entwaffnung der Feudalpartei, die der König am meisten zu fürchten hatte und zwar grade wegen derjenigen kriegerischen Qualitäten, auf die er selbst bis dahin an- gewiesen war. Da bei der Mannschaftsgestellung seitens der Bezirke und Städte kein derartiges individuelles Element mitwirkte, so hatte für sie sich uns oben das Umgekehrte ergeben: der Gewinn von Frei- heit durch die Geldablösung jener Verpflichtung. Was uns all diese Erscheinungen hier so wichtig macht, ist, daſs man aus ihnen den Zusammenhang ganz fundamentaler Lebensgefühle mit ganz äuſser- lichen Thatsachen ablesen kann. Darum ist auch hier die Erkenntnis wesentlich, daſs die Bestimmungen, die das Geld jene Zusammenhänge vermitteln lassen, an ihm zwar am reinsten und prägnantesten, aber doch nicht an ihm allein hervortreten. Die historischen Konstellationen, die innerlich von diesem Sinne getragen werden, lassen sich in eine aufsteigende Reihe ordnen, in der jedes Glied, je nach den sonstigen Verhältnissen der Elemente, ebenso deren Freiheit wie deren Unter-
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war. Die Naturallieferung besteht, kantisch zu reden, aus der Pflicht
als ihrer Form und dem speziellen Inhalt und Gegenstand als ihrer
Materie. Diese Materie kann nun für sich gewisse Nebenwirkungen
haben; sie kann z. B. als Arbeit der fronpflichtigen Bauern die Per-
sönlichkeit und Bewegungsfreiheit derselben arg beschränken, sie kann
aber auch als naturaler Beitrag zu den kriegerischen Unternehmungen
einer Vormacht diese zu einer gewissen Rücksicht auf die Beitragenden
zwingen. Während die Pflicht als solche in beiden Fällen die gleiche
ist, wird die Materie, deren Form sie bildet, sie in dem einen Fall
für den Verpflichteten schwer, in dem anderen relativ günstig gestalten.
Wenn nun Geldzahlung an die Stelle dieser naturalen Leistungen tritt,
wird das materielle Moment eigentlich ausgeschaltet, es verliert jede
folgenreiche Qualität, so daſs sozusagen nur die reine ökonomische
Pflicht in der abstraktesten Verwirklichung, die sie überhaupt finden
kann, zurückbleibt. Diese Reduktion ihrer wird deshalb in dem ersten
der obigen Fälle das Fortfallen einer Erschwerung, in dem zweiten
das einer Erleichterung bedeuten, und der Leistende wird also in
diesem ebenso herabgedrückt werden, wie er in jenem erhoben wurde.
Wir finden deshalb die Umwandlung der personalen Dienstpflicht in eine
Geldzahlung öfters als eine bewuſste Politik, durch die die Macht-
stellung der Verpflichteten heruntergesetzt werden soll, z. B. bei
Heinrich II. von England, der es einführte, daſs die Ritter, anstatt
ihm in die kontinentalen Kriege zu folgen, ihre Dienste mit Geld ab-
lösen konnten. Viele mögen darauf eingetreten sein, weil es im Augen-
blick als eine Erleichterung und Befreiung des einzelnen erschien.
Thatsächlich indes bewirkte es eine Entwaffnung der Feudalpartei,
die der König am meisten zu fürchten hatte und zwar grade wegen
derjenigen kriegerischen Qualitäten, auf die er selbst bis dahin an-
gewiesen war. Da bei der Mannschaftsgestellung seitens der Bezirke
und Städte kein derartiges individuelles Element mitwirkte, so hatte für
sie sich uns oben das Umgekehrte ergeben: der Gewinn von Frei-
heit durch die Geldablösung jener Verpflichtung. Was uns all diese
Erscheinungen hier so wichtig macht, ist, daſs man aus ihnen den
Zusammenhang ganz fundamentaler Lebensgefühle mit ganz äuſser-
lichen Thatsachen ablesen kann. Darum ist auch hier die Erkenntnis
wesentlich, daſs die Bestimmungen, die das Geld jene Zusammenhänge
vermitteln lassen, an ihm zwar am reinsten und prägnantesten, aber
doch nicht an ihm allein hervortreten. Die historischen Konstellationen,
die innerlich von diesem Sinne getragen werden, lassen sich in eine
aufsteigende Reihe ordnen, in der jedes Glied, je nach den sonstigen
Verhältnissen der Elemente, ebenso deren Freiheit wie deren Unter-
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/439>, abgerufen am 22.11.2024.
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