der Machtsphäre der Berechtigten hat; so dass die verschiedenen Kreise derselben Gruppe sich nach diesem Gesichtspunkte manchmal scharf scheiden. Die Territorialherren im mittelalterlichen Deutschland, die zur Aushebung von Gemeinfreien und Hörigen zum Kriegsdienst be- rechtigt waren, erhoben später vielfach eine Steuer an Stelle dessen. Die Grundherren aber blieben von dieser frei, weil sie den Ross- dienst selbst leisteten, also "mit ihrem Blute dienten". Woher denn die alte Rechtsregel entsprang: "der Bauer verdient sein Gut mit dem Sack, der Ritter mit dem Pferd". Wenn der moderne Staat wieder den persönlichen Kriegsdienst der Unterthanen eingeführt hat, statt dass der Fürst nur Steuern erhebt und dafür ein Söldnerheer mietet, so ist dieser Ersatz der Geldablösung durch unmittelbaren Dienst der adäquate Ausdruck für die wieder gewachsene politische Bedeutung des einzelnen Bürgers. Wenn man deshalb gesagt hat, dass das allgemeine Stimmrecht das Korrelat der allgemeinen Dienstpflicht sei, so ist dies schon aus dem Verhältnis der Geldleistung zur personalen Leistung begründbar.
Dass despotische Tendenzen so zur Reduktion aller Verpflichtungen auf Geldleistungen streben, lässt sich aus sehr prinzipiellen Zusammen- hängen herleiten. Der Begriff des Zwanges wird meistens in ganz un- genauer und schlaffer Weise angewendet. Man pflegt zu sagen, dass jemand "gezwungen" sei, den zu seinem Handeln die Androhung oder Befürchtung einer sehr schmerzlichen Konsequenz für den Unterlassens- fall, einer Strafe, eines Verlustes u. s. w. bestimme. Thatsächlich liegt in allen solchen Fällen ein wirklicher Zwang niemals vor; denn wenn jemand gewillt ist, jene Konsequenzen auf sich zu nehmen, so steht ihm das Unterlassen der Handlung, die damit erzwungen werden soll, völlig frei. Wirklicher Zwang ist ausschliesslich der, der unmittelbar durch physische Gewalt oder durch Suggestion ausgeübt wird. Z. B. meine Unterschrift zu geben, kann ich nur so wirklich gezwungen werden, dass jemand mit überlegener Kraft meine Hand ergreift und die Schriftzüge mit ihr ausführt, oder etwa so, dass er es mir in der Hypnose suggeriert; aber keine Todesdrohung kann mich dazu zwingen. Es ist deshalb ganz ungenau, wenn man vom Staate sagt, er erzwinge die Befolgung seiner Gesetze. Er kann thatsächlich nie- manden dazu zwingen, seiner Militärpflicht zu genügen oder das Leben und Eigentum andrer zu achten oder ein Zeugnis abzulegen, sobald der Betreffende nur bereit ist, es auf die Strafen für die Gesetzes- verletzung ankommen zu lassen; was der Staat in diesem Falle er- zwingen kann, ist nur, dass der Sünder diese Strafen erdulde. Nur in Hinsicht auf eine einzige Gesetzeskategorie ist der Zwang zur positiven
Simmel, Philosophie des Geldes. 27
der Machtsphäre der Berechtigten hat; so daſs die verschiedenen Kreise derselben Gruppe sich nach diesem Gesichtspunkte manchmal scharf scheiden. Die Territorialherren im mittelalterlichen Deutschland, die zur Aushebung von Gemeinfreien und Hörigen zum Kriegsdienst be- rechtigt waren, erhoben später vielfach eine Steuer an Stelle dessen. Die Grundherren aber blieben von dieser frei, weil sie den Roſs- dienst selbst leisteten, also „mit ihrem Blute dienten“. Woher denn die alte Rechtsregel entsprang: „der Bauer verdient sein Gut mit dem Sack, der Ritter mit dem Pferd“. Wenn der moderne Staat wieder den persönlichen Kriegsdienst der Unterthanen eingeführt hat, statt daſs der Fürst nur Steuern erhebt und dafür ein Söldnerheer mietet, so ist dieser Ersatz der Geldablösung durch unmittelbaren Dienst der adäquate Ausdruck für die wieder gewachsene politische Bedeutung des einzelnen Bürgers. Wenn man deshalb gesagt hat, daſs das allgemeine Stimmrecht das Korrelat der allgemeinen Dienstpflicht sei, so ist dies schon aus dem Verhältnis der Geldleistung zur personalen Leistung begründbar.
Daſs despotische Tendenzen so zur Reduktion aller Verpflichtungen auf Geldleistungen streben, läſst sich aus sehr prinzipiellen Zusammen- hängen herleiten. Der Begriff des Zwanges wird meistens in ganz un- genauer und schlaffer Weise angewendet. Man pflegt zu sagen, daſs jemand „gezwungen“ sei, den zu seinem Handeln die Androhung oder Befürchtung einer sehr schmerzlichen Konsequenz für den Unterlassens- fall, einer Strafe, eines Verlustes u. s. w. bestimme. Thatsächlich liegt in allen solchen Fällen ein wirklicher Zwang niemals vor; denn wenn jemand gewillt ist, jene Konsequenzen auf sich zu nehmen, so steht ihm das Unterlassen der Handlung, die damit erzwungen werden soll, völlig frei. Wirklicher Zwang ist ausschlieſslich der, der unmittelbar durch physische Gewalt oder durch Suggestion ausgeübt wird. Z. B. meine Unterschrift zu geben, kann ich nur so wirklich gezwungen werden, daſs jemand mit überlegener Kraft meine Hand ergreift und die Schriftzüge mit ihr ausführt, oder etwa so, daſs er es mir in der Hypnose suggeriert; aber keine Todesdrohung kann mich dazu zwingen. Es ist deshalb ganz ungenau, wenn man vom Staate sagt, er erzwinge die Befolgung seiner Gesetze. Er kann thatsächlich nie- manden dazu zwingen, seiner Militärpflicht zu genügen oder das Leben und Eigentum andrer zu achten oder ein Zeugnis abzulegen, sobald der Betreffende nur bereit ist, es auf die Strafen für die Gesetzes- verletzung ankommen zu lassen; was der Staat in diesem Falle er- zwingen kann, ist nur, daſs der Sünder diese Strafen erdulde. Nur in Hinsicht auf eine einzige Gesetzeskategorie ist der Zwang zur positiven
Simmel, Philosophie des Geldes. 27
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scheiden. Die Territorialherren im mittelalterlichen Deutschland, die
zur Aushebung von Gemeinfreien und Hörigen zum Kriegsdienst be-
rechtigt waren, erhoben später vielfach eine Steuer an Stelle dessen.
Die Grundherren aber blieben von dieser frei, weil sie den Roſs-
dienst selbst leisteten, also „mit ihrem Blute dienten“. Woher denn
die alte Rechtsregel entsprang: „der Bauer verdient sein Gut mit dem
Sack, der Ritter mit dem Pferd“. Wenn der moderne Staat wieder
den persönlichen Kriegsdienst der Unterthanen eingeführt hat, statt
daſs der Fürst nur Steuern erhebt und dafür ein Söldnerheer mietet,
so ist dieser Ersatz der Geldablösung durch unmittelbaren Dienst der
adäquate Ausdruck für die wieder gewachsene politische Bedeutung des
einzelnen Bürgers. Wenn man deshalb gesagt hat, daſs das allgemeine
Stimmrecht das Korrelat der allgemeinen Dienstpflicht sei, so ist dies
schon aus dem Verhältnis der Geldleistung zur personalen Leistung
begründbar.
Daſs despotische Tendenzen so zur Reduktion aller Verpflichtungen
auf Geldleistungen streben, läſst sich aus sehr prinzipiellen Zusammen-
hängen herleiten. Der Begriff des Zwanges wird meistens in ganz un-
genauer und schlaffer Weise angewendet. Man pflegt zu sagen, daſs
jemand „gezwungen“ sei, den zu seinem Handeln die Androhung oder
Befürchtung einer sehr schmerzlichen Konsequenz für den Unterlassens-
fall, einer Strafe, eines Verlustes u. s. w. bestimme. Thatsächlich liegt
in allen solchen Fällen ein wirklicher Zwang niemals vor; denn wenn
jemand gewillt ist, jene Konsequenzen auf sich zu nehmen, so steht
ihm das Unterlassen der Handlung, die damit erzwungen werden soll,
völlig frei. Wirklicher Zwang ist ausschlieſslich der, der unmittelbar
durch physische Gewalt oder durch Suggestion ausgeübt wird. Z. B.
meine Unterschrift zu geben, kann ich nur so wirklich gezwungen
werden, daſs jemand mit überlegener Kraft meine Hand ergreift und
die Schriftzüge mit ihr ausführt, oder etwa so, daſs er es mir in der
Hypnose suggeriert; aber keine Todesdrohung kann mich dazu
zwingen. Es ist deshalb ganz ungenau, wenn man vom Staate sagt,
er erzwinge die Befolgung seiner Gesetze. Er kann thatsächlich nie-
manden dazu zwingen, seiner Militärpflicht zu genügen oder das Leben
und Eigentum andrer zu achten oder ein Zeugnis abzulegen, sobald
der Betreffende nur bereit ist, es auf die Strafen für die Gesetzes-
verletzung ankommen zu lassen; was der Staat in diesem Falle er-
zwingen kann, ist nur, daſs der Sünder diese Strafen erdulde. Nur in
Hinsicht auf eine einzige Gesetzeskategorie ist der Zwang zur positiven
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/441>, abgerufen am 22.11.2024.
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