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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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gegenüber den spezifischen Besitzen in dem so sehr modernen Ge-
fühle rächt: dass die Hoffnung der Befriedigung, die sich an ein
Erlangtes knüpft, im nächsten Augenblick schon darüber hinauswächst,
dass der Kern und Sinn des Lebens uns immer von neuem aus der
Hand gleitet -- so entspricht dem eine tiefe Sehnsucht, den Dingen
eine neue Bedeutsamkeit, einen tieferen Sinn, einen Eigenwert zu ver-
leihen. Die Leichtigkeit im Gewinn und Verlust der Besitze, die
Flüchtigkeit ihres Bestandes, Genossenwerdens und Wechselns, kurz:
die Folgen und Korrelationen des Geldes haben sie ausgehöhlt und
vergleichgültigt. Aber die lebhaften Erregungen in der Kunst, das Suchen
nach neuen Stilen, nach Stil überhaupt, der Symbolismus, ja, die
Theosophie, sind Symptome für das Verlangen nach einer neuen, tiefer
empfindbaren Bedeutung der Dinge -- sei es, dass jedes für sich wert-
vollere, seelenvollere Betonung erhalte, sei es, dass es diese durch die
Stiftung eines Zusammenhanges, durch die Erlösung aus ihrer Atomi-
sierung gewinne. Wenn der moderne Mensch frei ist -- frei, weil er
alles verkaufen, und frei, weil er alles kaufen kann -- so sucht er
nun in problematischen Velleitäten an den Objekten selber diejenige
Kraft, Festigkeit, seelische Einheit, die er selbst durch das vermöge
des Geldes veränderte Verhältnis zu ihnen verloren hat. Wenn wir
früher sahen, dass durch das Geld der Mensch sich aus dem Befangen-
sein in den Dingen erlöst, so ist andrerseits der Inhalt seines Ich,
Richtung und Bestimmtheit desselben doch mit konkreten Besitztümern
soweit solidarisch, dass das fortwährende Verkaufen und Wechseln
derselben, ja, die blosse Thatsache der Verkaufsmöglichkeit oft genug
einen Verkauf und eine Entwurzelung personaler Werte bedeutet.

Dass der Geldwert der Dinge nicht restlos das ersetzt, was wir
an ihnen selbst besitzen, dass sie Seiten haben, die nicht in Geld aus-
drückbar sind -- darüber will die Geldwirtschaft mehr und mehr
hinwegtäuschen. Wo es dennoch nicht zu verkennen ist, dass die in
Geld erfolgende Schätzung und Hingabe sie der abschleifenden Ba-
nalität des täglichen Verkehrs nicht entziehen kann, da sucht man
wenigstens manchmal eine Geldform dafür, die von der alltäglichen
weit absteht. Die älteste italische Münze war das Kupferstück ohne
bestimmte Form, das deshalb nicht gezählt, sondern gewogen wurde.
Und nun wurde bis in die Kaiserzeit hinein, bei einem unvergleichlich
verfeinerten Geldwesen, dieses formlose Kupferstück sowohl zu religiösen
Spenden, wie als juristisches Symbol mit Vorliebe verwendet. Dass
der neben dem Geldwert liegende Wert der Dinge sich dennoch An-
erkennung erzwingt, liegt besonders nahe, wenn nicht eine Substanz,
sondern eine persönlich ausgeübte Funktion verkauft wird, und wenn

gegenüber den spezifischen Besitzen in dem so sehr modernen Ge-
fühle rächt: daſs die Hoffnung der Befriedigung, die sich an ein
Erlangtes knüpft, im nächsten Augenblick schon darüber hinauswächst,
daſs der Kern und Sinn des Lebens uns immer von neuem aus der
Hand gleitet — so entspricht dem eine tiefe Sehnsucht, den Dingen
eine neue Bedeutsamkeit, einen tieferen Sinn, einen Eigenwert zu ver-
leihen. Die Leichtigkeit im Gewinn und Verlust der Besitze, die
Flüchtigkeit ihres Bestandes, Genossenwerdens und Wechselns, kurz:
die Folgen und Korrelationen des Geldes haben sie ausgehöhlt und
vergleichgültigt. Aber die lebhaften Erregungen in der Kunst, das Suchen
nach neuen Stilen, nach Stil überhaupt, der Symbolismus, ja, die
Theosophie, sind Symptome für das Verlangen nach einer neuen, tiefer
empfindbaren Bedeutung der Dinge — sei es, daſs jedes für sich wert-
vollere, seelenvollere Betonung erhalte, sei es, daſs es diese durch die
Stiftung eines Zusammenhanges, durch die Erlösung aus ihrer Atomi-
sierung gewinne. Wenn der moderne Mensch frei ist — frei, weil er
alles verkaufen, und frei, weil er alles kaufen kann — so sucht er
nun in problematischen Velleitäten an den Objekten selber diejenige
Kraft, Festigkeit, seelische Einheit, die er selbst durch das vermöge
des Geldes veränderte Verhältnis zu ihnen verloren hat. Wenn wir
früher sahen, daſs durch das Geld der Mensch sich aus dem Befangen-
sein in den Dingen erlöst, so ist andrerseits der Inhalt seines Ich,
Richtung und Bestimmtheit desselben doch mit konkreten Besitztümern
soweit solidarisch, daſs das fortwährende Verkaufen und Wechseln
derselben, ja, die bloſse Thatsache der Verkaufsmöglichkeit oft genug
einen Verkauf und eine Entwurzelung personaler Werte bedeutet.

Daſs der Geldwert der Dinge nicht restlos das ersetzt, was wir
an ihnen selbst besitzen, daſs sie Seiten haben, die nicht in Geld aus-
drückbar sind — darüber will die Geldwirtschaft mehr und mehr
hinwegtäuschen. Wo es dennoch nicht zu verkennen ist, daſs die in
Geld erfolgende Schätzung und Hingabe sie der abschleifenden Ba-
nalität des täglichen Verkehrs nicht entziehen kann, da sucht man
wenigstens manchmal eine Geldform dafür, die von der alltäglichen
weit absteht. Die älteste italische Münze war das Kupferstück ohne
bestimmte Form, das deshalb nicht gezählt, sondern gewogen wurde.
Und nun wurde bis in die Kaiserzeit hinein, bei einem unvergleichlich
verfeinerten Geldwesen, dieses formlose Kupferstück sowohl zu religiösen
Spenden, wie als juristisches Symbol mit Vorliebe verwendet. Daſs
der neben dem Geldwert liegende Wert der Dinge sich dennoch An-
erkennung erzwingt, liegt besonders nahe, wenn nicht eine Substanz,
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[425/0449] gegenüber den spezifischen Besitzen in dem so sehr modernen Ge- fühle rächt: daſs die Hoffnung der Befriedigung, die sich an ein Erlangtes knüpft, im nächsten Augenblick schon darüber hinauswächst, daſs der Kern und Sinn des Lebens uns immer von neuem aus der Hand gleitet — so entspricht dem eine tiefe Sehnsucht, den Dingen eine neue Bedeutsamkeit, einen tieferen Sinn, einen Eigenwert zu ver- leihen. Die Leichtigkeit im Gewinn und Verlust der Besitze, die Flüchtigkeit ihres Bestandes, Genossenwerdens und Wechselns, kurz: die Folgen und Korrelationen des Geldes haben sie ausgehöhlt und vergleichgültigt. Aber die lebhaften Erregungen in der Kunst, das Suchen nach neuen Stilen, nach Stil überhaupt, der Symbolismus, ja, die Theosophie, sind Symptome für das Verlangen nach einer neuen, tiefer empfindbaren Bedeutung der Dinge — sei es, daſs jedes für sich wert- vollere, seelenvollere Betonung erhalte, sei es, daſs es diese durch die Stiftung eines Zusammenhanges, durch die Erlösung aus ihrer Atomi- sierung gewinne. Wenn der moderne Mensch frei ist — frei, weil er alles verkaufen, und frei, weil er alles kaufen kann — so sucht er nun in problematischen Velleitäten an den Objekten selber diejenige Kraft, Festigkeit, seelische Einheit, die er selbst durch das vermöge des Geldes veränderte Verhältnis zu ihnen verloren hat. Wenn wir früher sahen, daſs durch das Geld der Mensch sich aus dem Befangen- sein in den Dingen erlöst, so ist andrerseits der Inhalt seines Ich, Richtung und Bestimmtheit desselben doch mit konkreten Besitztümern soweit solidarisch, daſs das fortwährende Verkaufen und Wechseln derselben, ja, die bloſse Thatsache der Verkaufsmöglichkeit oft genug einen Verkauf und eine Entwurzelung personaler Werte bedeutet. Daſs der Geldwert der Dinge nicht restlos das ersetzt, was wir an ihnen selbst besitzen, daſs sie Seiten haben, die nicht in Geld aus- drückbar sind — darüber will die Geldwirtschaft mehr und mehr hinwegtäuschen. Wo es dennoch nicht zu verkennen ist, daſs die in Geld erfolgende Schätzung und Hingabe sie der abschleifenden Ba- nalität des täglichen Verkehrs nicht entziehen kann, da sucht man wenigstens manchmal eine Geldform dafür, die von der alltäglichen weit absteht. Die älteste italische Münze war das Kupferstück ohne bestimmte Form, das deshalb nicht gezählt, sondern gewogen wurde. Und nun wurde bis in die Kaiserzeit hinein, bei einem unvergleichlich verfeinerten Geldwesen, dieses formlose Kupferstück sowohl zu religiösen Spenden, wie als juristisches Symbol mit Vorliebe verwendet. Daſs der neben dem Geldwert liegende Wert der Dinge sich dennoch An- erkennung erzwingt, liegt besonders nahe, wenn nicht eine Substanz, sondern eine persönlich ausgeübte Funktion verkauft wird, und wenn

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/449>, abgerufen am 20.05.2024.