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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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ohne die geistige Thätigkeit desjenigen, der, vielleicht vor Generationen,
das Modell dazu ersonnen hat; auch die hiermit verbrauchte psychische
Kraft bildet eine praktische Bedingung dieses Stuhles. Nun aber be-
steht der Inhalt dieses zweiten geistigen Prozesses in einer Form weiter,
in der er keinen psychischen Kraftaufwand mehr involviert: als Tra-
dition, objektiv gewordener Gedanke, den jeder aufnehmen und nach-
denken kann. In dieser Form wirkt er im Produktionsprozess des
jetzigen Tischlers, bildet den Inhalt der aktuellen geistigen Funktion,
die freilich von dessen subjektiver Kraft getragen und vollzogen werden
muss, und geht vermöge dieser letzteren in das Produkt, als dessen
Form, ein. Nun sind die zweierlei psychischen Bethätigungen, von
denen ich erst sprach, ganz sicher der Abnutzung und der Notwendig-
keit eines physiologischen Ersatzes unterworfen: sowohl die des Tisch-
lers wie die des Erfinders des Stuhles. Aber das dritte geistige Mo-
ment, das offenbar für das jetzige Zustandekommen des Stuhles ent-
scheidend wichtig ist, ist allerdings dem Verbrauchtwerden enthoben,
und nach der Idee dieses Stuhles mögen tausende von Exemplaren ge-
arbeitet werden, sie selbst leidet dadurch keine Abnutzung, fordert
keine Restaurierung und vermehrt also allerdings, obgleich sie den
formgebenden, sachlich-geistigen Gehalt jedes einzelnen Stuhles dieser
Art bildet, die Kosten desselben nicht. Unterscheidet man also mit
der erforderlichen Schärfe zwischen dem objektiv-geistigen Inhalt in
einem Produkt und der subjektiven geistigen Funktion, die nach der
Norm jenes Inhaltes das Produkt herstellt, so sieht man das relative
Recht jener Behauptung, dass der Geist nichts koste; freilich auch ihr
relatives Unrecht, weil diese unentgeltliche und unvernutzbare Idee
des Dinges sich nicht von selbst in Produkten verwirklicht, sondern
nur vermittels eines Intellekts, dessen jetziges, jener Idee gemässes
Funktionieren organische Kraft fordert und zu dem Kostenwert des
Produkts aus denselben Gründen beiträgt, wie die Muskelleistung es
thut -- wenngleich der durch einen so präformierten Inhalt gelenkte psy-
chische Aufwand natürlich ein viel geringerer ist, als wenn er zugleich
den Inhalt originell aufzubringen hat. Die Differenz zwischen beiden
ist die Gratis-Leistung des Geistes. Und dieses ideell-inhaltliche Mo-
ment ist es, das den geistigen Besitz nach zwei Seiten hin so völlig
von dem ökonomischen unterscheidet: er kann einem einerseits viel
gründlicher, andrerseits viel weniger genommen werden, als dieser.
Der einmal ausgesprochene Gedanke ist durch keine Macht der Welt
wieder einzufangen, sein Inhalt ist unwiderruflich öffentliches Eigen-
tum Aller, die die psychische Kraft, ihn nachzudenken, aufwenden. Des-
halb aber kann er einem auch, wenn dies einmal geschehen ist, durch

ohne die geistige Thätigkeit desjenigen, der, vielleicht vor Generationen,
das Modell dazu ersonnen hat; auch die hiermit verbrauchte psychische
Kraft bildet eine praktische Bedingung dieses Stuhles. Nun aber be-
steht der Inhalt dieses zweiten geistigen Prozesses in einer Form weiter,
in der er keinen psychischen Kraftaufwand mehr involviert: als Tra-
dition, objektiv gewordener Gedanke, den jeder aufnehmen und nach-
denken kann. In dieser Form wirkt er im Produktionsprozeſs des
jetzigen Tischlers, bildet den Inhalt der aktuellen geistigen Funktion,
die freilich von dessen subjektiver Kraft getragen und vollzogen werden
muſs, und geht vermöge dieser letzteren in das Produkt, als dessen
Form, ein. Nun sind die zweierlei psychischen Bethätigungen, von
denen ich erst sprach, ganz sicher der Abnutzung und der Notwendig-
keit eines physiologischen Ersatzes unterworfen: sowohl die des Tisch-
lers wie die des Erfinders des Stuhles. Aber das dritte geistige Mo-
ment, das offenbar für das jetzige Zustandekommen des Stuhles ent-
scheidend wichtig ist, ist allerdings dem Verbrauchtwerden enthoben,
und nach der Idee dieses Stuhles mögen tausende von Exemplaren ge-
arbeitet werden, sie selbst leidet dadurch keine Abnutzung, fordert
keine Restaurierung und vermehrt also allerdings, obgleich sie den
formgebenden, sachlich-geistigen Gehalt jedes einzelnen Stuhles dieser
Art bildet, die Kosten desselben nicht. Unterscheidet man also mit
der erforderlichen Schärfe zwischen dem objektiv-geistigen Inhalt in
einem Produkt und der subjektiven geistigen Funktion, die nach der
Norm jenes Inhaltes das Produkt herstellt, so sieht man das relative
Recht jener Behauptung, daſs der Geist nichts koste; freilich auch ihr
relatives Unrecht, weil diese unentgeltliche und unvernutzbare Idee
des Dinges sich nicht von selbst in Produkten verwirklicht, sondern
nur vermittels eines Intellekts, dessen jetziges, jener Idee gemäſses
Funktionieren organische Kraft fordert und zu dem Kostenwert des
Produkts aus denselben Gründen beiträgt, wie die Muskelleistung es
thut — wenngleich der durch einen so präformierten Inhalt gelenkte psy-
chische Aufwand natürlich ein viel geringerer ist, als wenn er zugleich
den Inhalt originell aufzubringen hat. Die Differenz zwischen beiden
ist die Gratis-Leistung des Geistes. Und dieses ideell-inhaltliche Mo-
ment ist es, das den geistigen Besitz nach zwei Seiten hin so völlig
von dem ökonomischen unterscheidet: er kann einem einerseits viel
gründlicher, andrerseits viel weniger genommen werden, als dieser.
Der einmal ausgesprochene Gedanke ist durch keine Macht der Welt
wieder einzufangen, sein Inhalt ist unwiderruflich öffentliches Eigen-
tum Aller, die die psychische Kraft, ihn nachzudenken, aufwenden. Des-
halb aber kann er einem auch, wenn dies einmal geschehen ist, durch

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[434/0458] ohne die geistige Thätigkeit desjenigen, der, vielleicht vor Generationen, das Modell dazu ersonnen hat; auch die hiermit verbrauchte psychische Kraft bildet eine praktische Bedingung dieses Stuhles. Nun aber be- steht der Inhalt dieses zweiten geistigen Prozesses in einer Form weiter, in der er keinen psychischen Kraftaufwand mehr involviert: als Tra- dition, objektiv gewordener Gedanke, den jeder aufnehmen und nach- denken kann. In dieser Form wirkt er im Produktionsprozeſs des jetzigen Tischlers, bildet den Inhalt der aktuellen geistigen Funktion, die freilich von dessen subjektiver Kraft getragen und vollzogen werden muſs, und geht vermöge dieser letzteren in das Produkt, als dessen Form, ein. Nun sind die zweierlei psychischen Bethätigungen, von denen ich erst sprach, ganz sicher der Abnutzung und der Notwendig- keit eines physiologischen Ersatzes unterworfen: sowohl die des Tisch- lers wie die des Erfinders des Stuhles. Aber das dritte geistige Mo- ment, das offenbar für das jetzige Zustandekommen des Stuhles ent- scheidend wichtig ist, ist allerdings dem Verbrauchtwerden enthoben, und nach der Idee dieses Stuhles mögen tausende von Exemplaren ge- arbeitet werden, sie selbst leidet dadurch keine Abnutzung, fordert keine Restaurierung und vermehrt also allerdings, obgleich sie den formgebenden, sachlich-geistigen Gehalt jedes einzelnen Stuhles dieser Art bildet, die Kosten desselben nicht. Unterscheidet man also mit der erforderlichen Schärfe zwischen dem objektiv-geistigen Inhalt in einem Produkt und der subjektiven geistigen Funktion, die nach der Norm jenes Inhaltes das Produkt herstellt, so sieht man das relative Recht jener Behauptung, daſs der Geist nichts koste; freilich auch ihr relatives Unrecht, weil diese unentgeltliche und unvernutzbare Idee des Dinges sich nicht von selbst in Produkten verwirklicht, sondern nur vermittels eines Intellekts, dessen jetziges, jener Idee gemäſses Funktionieren organische Kraft fordert und zu dem Kostenwert des Produkts aus denselben Gründen beiträgt, wie die Muskelleistung es thut — wenngleich der durch einen so präformierten Inhalt gelenkte psy- chische Aufwand natürlich ein viel geringerer ist, als wenn er zugleich den Inhalt originell aufzubringen hat. Die Differenz zwischen beiden ist die Gratis-Leistung des Geistes. Und dieses ideell-inhaltliche Mo- ment ist es, das den geistigen Besitz nach zwei Seiten hin so völlig von dem ökonomischen unterscheidet: er kann einem einerseits viel gründlicher, andrerseits viel weniger genommen werden, als dieser. Der einmal ausgesprochene Gedanke ist durch keine Macht der Welt wieder einzufangen, sein Inhalt ist unwiderruflich öffentliches Eigen- tum Aller, die die psychische Kraft, ihn nachzudenken, aufwenden. Des- halb aber kann er einem auch, wenn dies einmal geschehen ist, durch

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/458>, abgerufen am 22.11.2024.