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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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jektiven Einzelheit; es teilt diese mit den anderen grossen historischen
Potenzen, die weiten Seen gleichen, aus denen man von jeder Seite
her und alles das schöpfen kann, was das mitgebrachte Gefäss nach
Form und Umfang gestattet. Die Objektivität des gegenseitigen Ver-
haltens der Menschen -- die freilich nur eine Formung eines ur-
sprünglich von subjektiven Energien gelieferten Materiales ist, aber
eine von schliesslich selbständigem Bestande und Normgebung -- ge-
winnt an den rein geldwirtschaftlichen Interessen ihre restloseste Aus-
prägung. Was gegen Geld fortgegeben wird, gelangt an denjenigen,
der das meiste dafür giebt, gleichgültig, was und wer er sonst sei; wo
andere Äquivalente ins Spiel kommen, wo man um Ehre, um Dienst-
leistung, um Dankbarkeit sich eines Besitzes entäussert, sieht man sich
die Beschaffenheit der Person an, der man giebt. Und umgekehrt, wo
ich selbst um Geld kaufe, ist es mir gleichgültig, von wem ich das
kaufe, was mir erwünscht und den Preis wert ist; wo man aber um
den Preis der Dienstleistung, der persönlichen Verpflichtung in inner-
licher und äusserlicher Beziehung erwirbt, da prüft man genau, mit
wem man zu thun hat, weil wir nichts anderes von uns als grade nur
Geld jedem Beliebigen geben mögen. Die Bemerkung auf den Kassen-
scheinen, dass der Wert derselben dem Einlieferer "ohne Legitimations-
prüfung" ausgezahlt wird, ist bezeichnend für die absolute Objektivität,
mit der in Geldsachen verfahren wird. Auf ihrem Gebiete findet sich
selbst bei einem sehr viel leidenschaftlicheren Volke als den Indern
doch ein Gegenstück zu jener Exemtion des Ackerbauers von den
kriegerischen Bewegungen: bei einigen Indianern darf der Händler
unbehelligt durch Stämme ziehen und Handel treiben, die mit dem
seinigen auf dem Kriegsfuss stehen! Das Geld stellt Handlungen und
Verhältnisse des Menschen so ausserhalb des Menschen als Subjektes,
wie das Seelenleben, soweit es rein intellektuell ist, aus der persön-
lichen Subjektivität in die Sphäre der Sachlichkeit, die es nun ab-
spiegelt, eintritt.

Diese Begründung der Korrelation zwischen Intellektualität und
geldmässiger Wirtschaft auf die charakterologische Unbestimmtheit und
Objektivität, die beiden gemeinsam wären, begegnet nun aber einer sehr
entschiedenen Gegeninstanz. Neben der unpersönlichen Sachlichkeit
nämlich, die der Intelligenz ihren Inhalten nach eigen ist, steht eine
äusserst enge Beziehung, die sie grade zur Individualität und zum
ganzen Prinzip des Individualismus besitzt; das Geld seinerseits, so
sehr es die impulsiv-subjektivistischen Verfahrungsweisen in überper-
sönliche und sachlich normierte überführt, ist dennoch die Pflanzstätte
des wirtschaftlichen Individualismus und Egoismus. Hier liegen also

jektiven Einzelheit; es teilt diese mit den anderen groſsen historischen
Potenzen, die weiten Seen gleichen, aus denen man von jeder Seite
her und alles das schöpfen kann, was das mitgebrachte Gefäſs nach
Form und Umfang gestattet. Die Objektivität des gegenseitigen Ver-
haltens der Menschen — die freilich nur eine Formung eines ur-
sprünglich von subjektiven Energien gelieferten Materiales ist, aber
eine von schlieſslich selbständigem Bestande und Normgebung — ge-
winnt an den rein geldwirtschaftlichen Interessen ihre restloseste Aus-
prägung. Was gegen Geld fortgegeben wird, gelangt an denjenigen,
der das meiste dafür giebt, gleichgültig, was und wer er sonst sei; wo
andere Äquivalente ins Spiel kommen, wo man um Ehre, um Dienst-
leistung, um Dankbarkeit sich eines Besitzes entäuſsert, sieht man sich
die Beschaffenheit der Person an, der man giebt. Und umgekehrt, wo
ich selbst um Geld kaufe, ist es mir gleichgültig, von wem ich das
kaufe, was mir erwünscht und den Preis wert ist; wo man aber um
den Preis der Dienstleistung, der persönlichen Verpflichtung in inner-
licher und äuſserlicher Beziehung erwirbt, da prüft man genau, mit
wem man zu thun hat, weil wir nichts anderes von uns als grade nur
Geld jedem Beliebigen geben mögen. Die Bemerkung auf den Kassen-
scheinen, daſs der Wert derselben dem Einlieferer „ohne Legitimations-
prüfung“ ausgezahlt wird, ist bezeichnend für die absolute Objektivität,
mit der in Geldsachen verfahren wird. Auf ihrem Gebiete findet sich
selbst bei einem sehr viel leidenschaftlicheren Volke als den Indern
doch ein Gegenstück zu jener Exemtion des Ackerbauers von den
kriegerischen Bewegungen: bei einigen Indianern darf der Händler
unbehelligt durch Stämme ziehen und Handel treiben, die mit dem
seinigen auf dem Kriegsfuſs stehen! Das Geld stellt Handlungen und
Verhältnisse des Menschen so auſserhalb des Menschen als Subjektes,
wie das Seelenleben, soweit es rein intellektuell ist, aus der persön-
lichen Subjektivität in die Sphäre der Sachlichkeit, die es nun ab-
spiegelt, eintritt.

Diese Begründung der Korrelation zwischen Intellektualität und
geldmäſsiger Wirtschaft auf die charakterologische Unbestimmtheit und
Objektivität, die beiden gemeinsam wären, begegnet nun aber einer sehr
entschiedenen Gegeninstanz. Neben der unpersönlichen Sachlichkeit
nämlich, die der Intelligenz ihren Inhalten nach eigen ist, steht eine
äuſserst enge Beziehung, die sie grade zur Individualität und zum
ganzen Prinzip des Individualismus besitzt; das Geld seinerseits, so
sehr es die impulsiv-subjektivistischen Verfahrungsweisen in überper-
sönliche und sachlich normierte überführt, ist dennoch die Pflanzstätte
des wirtschaftlichen Individualismus und Egoismus. Hier liegen also

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[463/0487] jektiven Einzelheit; es teilt diese mit den anderen groſsen historischen Potenzen, die weiten Seen gleichen, aus denen man von jeder Seite her und alles das schöpfen kann, was das mitgebrachte Gefäſs nach Form und Umfang gestattet. Die Objektivität des gegenseitigen Ver- haltens der Menschen — die freilich nur eine Formung eines ur- sprünglich von subjektiven Energien gelieferten Materiales ist, aber eine von schlieſslich selbständigem Bestande und Normgebung — ge- winnt an den rein geldwirtschaftlichen Interessen ihre restloseste Aus- prägung. Was gegen Geld fortgegeben wird, gelangt an denjenigen, der das meiste dafür giebt, gleichgültig, was und wer er sonst sei; wo andere Äquivalente ins Spiel kommen, wo man um Ehre, um Dienst- leistung, um Dankbarkeit sich eines Besitzes entäuſsert, sieht man sich die Beschaffenheit der Person an, der man giebt. Und umgekehrt, wo ich selbst um Geld kaufe, ist es mir gleichgültig, von wem ich das kaufe, was mir erwünscht und den Preis wert ist; wo man aber um den Preis der Dienstleistung, der persönlichen Verpflichtung in inner- licher und äuſserlicher Beziehung erwirbt, da prüft man genau, mit wem man zu thun hat, weil wir nichts anderes von uns als grade nur Geld jedem Beliebigen geben mögen. Die Bemerkung auf den Kassen- scheinen, daſs der Wert derselben dem Einlieferer „ohne Legitimations- prüfung“ ausgezahlt wird, ist bezeichnend für die absolute Objektivität, mit der in Geldsachen verfahren wird. Auf ihrem Gebiete findet sich selbst bei einem sehr viel leidenschaftlicheren Volke als den Indern doch ein Gegenstück zu jener Exemtion des Ackerbauers von den kriegerischen Bewegungen: bei einigen Indianern darf der Händler unbehelligt durch Stämme ziehen und Handel treiben, die mit dem seinigen auf dem Kriegsfuſs stehen! Das Geld stellt Handlungen und Verhältnisse des Menschen so auſserhalb des Menschen als Subjektes, wie das Seelenleben, soweit es rein intellektuell ist, aus der persön- lichen Subjektivität in die Sphäre der Sachlichkeit, die es nun ab- spiegelt, eintritt. Diese Begründung der Korrelation zwischen Intellektualität und geldmäſsiger Wirtschaft auf die charakterologische Unbestimmtheit und Objektivität, die beiden gemeinsam wären, begegnet nun aber einer sehr entschiedenen Gegeninstanz. Neben der unpersönlichen Sachlichkeit nämlich, die der Intelligenz ihren Inhalten nach eigen ist, steht eine äuſserst enge Beziehung, die sie grade zur Individualität und zum ganzen Prinzip des Individualismus besitzt; das Geld seinerseits, so sehr es die impulsiv-subjektivistischen Verfahrungsweisen in überper- sönliche und sachlich normierte überführt, ist dennoch die Pflanzstätte des wirtschaftlichen Individualismus und Egoismus. Hier liegen also

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/487>, abgerufen am 22.11.2024.