über die Grenze seines bloss natürlichen Sich-Auslebens hinaus lassen wir doch schliesslich nur uns selbst oder solchen Dingen zukommen, deren Entwicklungen sich an unsere Impulse anschliessen und rück- wirkend unsere Gefühle anregen. Die materiellen Kulturgüter: Möbel und Kulturpflanzen, Kunstwerke und Maschinen, Geräte und Bücher, in denen natürliche Stoffe zu ihnen zwar möglichen, durch ihre eignen Kräfte aber nie verwirklichten Formen entwickelt werden, sind unser eigenes, durch Ideen entfaltetes Wollen und Fühlen, das die Entwick- lungsmöglichkeiten der Dinge, soweit sie auf seinem Wege liegen, in sich einbezieht; und das verhält sich nicht anders als mit der Kultur, die das Verhältnis des Menschen zu anderen und zu sich selbst formt: Sprache, Sitte, Religion, Recht. Insofern diese Werte als kulturell an- gesehen werden, unterscheiden wir sie von den Ausbildungsstufen der in ihnen lebendigen Energien, die sie sozusagen von sich aus erreichen können und die für den Kultivierungsprozess ebenso nur Material sind, wie Holz und Metall, Pflanzen und Elektri- zität. Indem wir die Dinge kultivieren, d. h. ihr Wertmass über das durch ihren natürlichen Mechanismus uns geleistete hinaus stei- gern, kultivieren wir uns selbst: es ist der gleiche, von uns aus- gehende und in uns zurückkehrende Werterhöhungsprozess, der die Natur ausser uns oder die Natur in uns ergreift. Die bildende Kunst zeigt diesen Kulturbegriff am reinsten, weil in der grössten Spannung der Gegensätze. Denn hier scheint zunächst die Formung des Gegen- standes sich jener Einfügung in den Prozess unserer Subjektivität völlig zu entziehen. Das Kunstwerk deutet uns doch grade den Sinn der Erscheinung selbst, liege ihm dieser nun in der Gestaltung der Räumlichkeit oder in den Beziehungen der Farben oder in der Seelen- haftigkeit, die so in wie hinter dem Sichtbaren lebt. Immer aber gilt es, den Dingen ihre Bedeutung und ihr Geheimnis abzuhören, um es in reinerer oder deutlicherer Gestalt, als zu der ihre natürliche Entwicklung es gebracht hat, darzustellen -- nicht aber im Sinne che- mischer oder physikalischer Technologie, die die Gesetzlichkeiten der Dinge erkundet, um sie in unsere ausserhalb ihrer gelegenen Zweck- reihen einzustellen; vielmehr der artistische Prozess ist abgeschlossen, sobald er den Gegenstand zu dessen eigenster Bedeutung entwickelt hat. Thatsächlich ist hiermit dem bloss artistischen Ideal auch genügt, denn für dieses ist die Vollendung des Kunstwerkes als solchen ein objektiver Wert, völlig unabhängig von seinem Erfolge für unser sub- jektives Fühlen: das Stichwort des l'art pour l'art bezeichnet treffend die Selbstgenügsamkeit der rein künstlerischen Tendenz. Anders aber vom Standpunkte des Kulturideals. Das Wesentliche dieses ist eben, dass
über die Grenze seines bloſs natürlichen Sich-Auslebens hinaus lassen wir doch schlieſslich nur uns selbst oder solchen Dingen zukommen, deren Entwicklungen sich an unsere Impulse anschlieſsen und rück- wirkend unsere Gefühle anregen. Die materiellen Kulturgüter: Möbel und Kulturpflanzen, Kunstwerke und Maschinen, Geräte und Bücher, in denen natürliche Stoffe zu ihnen zwar möglichen, durch ihre eignen Kräfte aber nie verwirklichten Formen entwickelt werden, sind unser eigenes, durch Ideen entfaltetes Wollen und Fühlen, das die Entwick- lungsmöglichkeiten der Dinge, soweit sie auf seinem Wege liegen, in sich einbezieht; und das verhält sich nicht anders als mit der Kultur, die das Verhältnis des Menschen zu anderen und zu sich selbst formt: Sprache, Sitte, Religion, Recht. Insofern diese Werte als kulturell an- gesehen werden, unterscheiden wir sie von den Ausbildungsstufen der in ihnen lebendigen Energien, die sie sozusagen von sich aus erreichen können und die für den Kultivierungsprozeſs ebenso nur Material sind, wie Holz und Metall, Pflanzen und Elektri- zität. Indem wir die Dinge kultivieren, d. h. ihr Wertmaſs über das durch ihren natürlichen Mechanismus uns geleistete hinaus stei- gern, kultivieren wir uns selbst: es ist der gleiche, von uns aus- gehende und in uns zurückkehrende Werterhöhungsprozeſs, der die Natur auſser uns oder die Natur in uns ergreift. Die bildende Kunst zeigt diesen Kulturbegriff am reinsten, weil in der gröſsten Spannung der Gegensätze. Denn hier scheint zunächst die Formung des Gegen- standes sich jener Einfügung in den Prozeſs unserer Subjektivität völlig zu entziehen. Das Kunstwerk deutet uns doch grade den Sinn der Erscheinung selbst, liege ihm dieser nun in der Gestaltung der Räumlichkeit oder in den Beziehungen der Farben oder in der Seelen- haftigkeit, die so in wie hinter dem Sichtbaren lebt. Immer aber gilt es, den Dingen ihre Bedeutung und ihr Geheimnis abzuhören, um es in reinerer oder deutlicherer Gestalt, als zu der ihre natürliche Entwicklung es gebracht hat, darzustellen — nicht aber im Sinne che- mischer oder physikalischer Technologie, die die Gesetzlichkeiten der Dinge erkundet, um sie in unsere auſserhalb ihrer gelegenen Zweck- reihen einzustellen; vielmehr der artistische Prozeſs ist abgeschlossen, sobald er den Gegenstand zu dessen eigenster Bedeutung entwickelt hat. Thatsächlich ist hiermit dem bloſs artistischen Ideal auch genügt, denn für dieses ist die Vollendung des Kunstwerkes als solchen ein objektiver Wert, völlig unabhängig von seinem Erfolge für unser sub- jektives Fühlen: das Stichwort des l’art pour l’art bezeichnet treffend die Selbstgenügsamkeit der rein künstlerischen Tendenz. Anders aber vom Standpunkte des Kulturideals. Das Wesentliche dieses ist eben, daſs
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über die Grenze seines bloſs natürlichen Sich-Auslebens hinaus lassen
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wirkend unsere Gefühle anregen. Die materiellen Kulturgüter: Möbel
und Kulturpflanzen, Kunstwerke und Maschinen, Geräte und Bücher,
in denen natürliche Stoffe zu ihnen zwar möglichen, durch ihre eignen
Kräfte aber nie verwirklichten Formen entwickelt werden, sind unser
eigenes, durch Ideen entfaltetes Wollen und Fühlen, das die Entwick-
lungsmöglichkeiten der Dinge, soweit sie auf seinem Wege liegen, in
sich einbezieht; und das verhält sich nicht anders als mit der Kultur,
die das Verhältnis des Menschen zu anderen und zu sich selbst formt:
Sprache, Sitte, Religion, Recht. Insofern diese Werte als kulturell an-
gesehen werden, unterscheiden wir sie von den Ausbildungsstufen
der in ihnen lebendigen Energien, die sie sozusagen von sich
aus erreichen können und die für den Kultivierungsprozeſs ebenso
nur Material sind, wie Holz und Metall, Pflanzen und Elektri-
zität. Indem wir die Dinge kultivieren, d. h. ihr Wertmaſs über
das durch ihren natürlichen Mechanismus uns geleistete hinaus stei-
gern, kultivieren wir uns selbst: es ist der gleiche, von uns aus-
gehende und in uns zurückkehrende Werterhöhungsprozeſs, der die
Natur auſser uns oder die Natur in uns ergreift. Die bildende Kunst
zeigt diesen Kulturbegriff am reinsten, weil in der gröſsten Spannung
der Gegensätze. Denn hier scheint zunächst die Formung des Gegen-
standes sich jener Einfügung in den Prozeſs unserer Subjektivität
völlig zu entziehen. Das Kunstwerk deutet uns doch grade den Sinn
der Erscheinung selbst, liege ihm dieser nun in der Gestaltung der
Räumlichkeit oder in den Beziehungen der Farben oder in der Seelen-
haftigkeit, die so in wie hinter dem Sichtbaren lebt. Immer aber gilt
es, den Dingen ihre Bedeutung und ihr Geheimnis abzuhören, um
es in reinerer oder deutlicherer Gestalt, als zu der ihre natürliche
Entwicklung es gebracht hat, darzustellen — nicht aber im Sinne che-
mischer oder physikalischer Technologie, die die Gesetzlichkeiten der
Dinge erkundet, um sie in unsere auſserhalb ihrer gelegenen Zweck-
reihen einzustellen; vielmehr der artistische Prozeſs ist abgeschlossen,
sobald er den Gegenstand zu dessen eigenster Bedeutung entwickelt
hat. Thatsächlich ist hiermit dem bloſs artistischen Ideal auch genügt,
denn für dieses ist die Vollendung des Kunstwerkes als solchen ein
objektiver Wert, völlig unabhängig von seinem Erfolge für unser sub-
jektives Fühlen: das Stichwort des l’art pour l’art bezeichnet treffend
die Selbstgenügsamkeit der rein künstlerischen Tendenz. Anders aber
vom Standpunkte des Kulturideals. Das Wesentliche dieses ist eben, daſs
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 476. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/500>, abgerufen am 22.11.2024.
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