einzelne Seiten sehr vieler Persönlichkeiten in sich einsaugt, ihm so eine objektiv überragende Entwicklungsmöglichkeit gewährt, so versagt sie ihm doch auch Vollkommenheiten, die sich grade nur durch die Synthese der Energien in einem Subjekt verwirklichen. Der Staat und zwar insbesondere der moderne ist hier das umfassendste Beispiel. Wenn nämlich der Rationalismus es als logisch widerspruchs- voll gebrandmarkt hat, dass der Monarch, der doch nur ein einzelner Mensch sei, über eine ungeheure Anzahl andrer Menschen herrsche, so ist dabei übersehen, dass die letzteren, insofern sie eben diesen Staat unter dem Monarchen bilden, gar nicht in demselben Sinn "Menschen" sind, wie dieser es ist. Sie geben vielmehr nur einen gewissen Bruch- teil ihres Seins und ihrer Kräfte in den Staat hinein, mit anderen reichen sie in andere Kreise, die Gesamtheit ihrer Persönlichkeit wird überhaupt von keinem erfasst. Diese aber setzt der Monarch in das Verhältnis ein, und also mehr als jeder einzelne seiner Unterthanen für sich. Solange freilich das Regiment in dem Sinne unumschränkt ist, dass der Herrscher unmittelbar über die Personen in dem ganzen Umfang ihres Seins verfügen kann, mag jene Unverhältnismässigkeit bestehen. Der moderne Rechtsstaat dagegen grenzt den Bezirk genau ab, mit dem die Personen in die Staatssphäre hineinfallen, er diffe- renziert jene, um aus gewissen ausgesonderten Elementen ihrer sich selbst zu bilden. Je entschiedner diese Differenzierung ist, als ein desto objektiveres, von der Form individueller Seelenhaftigkeit gelöstes Ge- bilde steht der Staat dem Individuum gegenüber. Dass er so eine Synthese aus den differenzierten Elementen der Subjekte ist, macht ihn ersichtlich ebenso zu einem unter-persönlichen, wie zu einem über- persönlichen Wesen. Wie mit dem Staat aber verhält es sich mit allen Gebilden des objektiven Geistes, die durch Zusammenfügung differenzierter individueller Leistungen entstehen. Denn so sehr diese an sachlich geistigem Gehalt und Entwickelbarkeit desselben jeden individuellen Intellekt übertreffen, so empfinden wir sie doch in dem- selben Mass, in dem die Differenziertheit und Anzahl der arbeits- teiligen Elemente zunimmt, als blossen Mechanismus, dem die Seele fehlt. Aufs deutlichste tritt hier der Unterschied hervor, den man als den von Geist und Seele bezeichnen kann. Geist ist der objektive Inhalt dessen, was innerhalb der Seele in lebendiger Funktion bewusst wird; Seele ist gleichsam die Form, in der der Geist, d. h. der logisch- sachliche Inhalt des Denkens, für uns lebt. Der Geist in diesem Sinne ist deshalb nicht an die Gestaltung zur Einheit gebunden, ohne die es keine Seele giebt. Es ist, als ob die geistigen Inhalte irgendwie verstreut da wären und erst die Seele führte sie in sich einheitlich
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einzelne Seiten sehr vieler Persönlichkeiten in sich einsaugt, ihm so eine objektiv überragende Entwicklungsmöglichkeit gewährt, so versagt sie ihm doch auch Vollkommenheiten, die sich grade nur durch die Synthese der Energien in einem Subjekt verwirklichen. Der Staat und zwar insbesondere der moderne ist hier das umfassendste Beispiel. Wenn nämlich der Rationalismus es als logisch widerspruchs- voll gebrandmarkt hat, daſs der Monarch, der doch nur ein einzelner Mensch sei, über eine ungeheure Anzahl andrer Menschen herrsche, so ist dabei übersehen, daſs die letzteren, insofern sie eben diesen Staat unter dem Monarchen bilden, gar nicht in demselben Sinn „Menschen“ sind, wie dieser es ist. Sie geben vielmehr nur einen gewissen Bruch- teil ihres Seins und ihrer Kräfte in den Staat hinein, mit anderen reichen sie in andere Kreise, die Gesamtheit ihrer Persönlichkeit wird überhaupt von keinem erfaſst. Diese aber setzt der Monarch in das Verhältnis ein, und also mehr als jeder einzelne seiner Unterthanen für sich. Solange freilich das Regiment in dem Sinne unumschränkt ist, daſs der Herrscher unmittelbar über die Personen in dem ganzen Umfang ihres Seins verfügen kann, mag jene Unverhältnismäſsigkeit bestehen. Der moderne Rechtsstaat dagegen grenzt den Bezirk genau ab, mit dem die Personen in die Staatssphäre hineinfallen, er diffe- renziert jene, um aus gewissen ausgesonderten Elementen ihrer sich selbst zu bilden. Je entschiedner diese Differenzierung ist, als ein desto objektiveres, von der Form individueller Seelenhaftigkeit gelöstes Ge- bilde steht der Staat dem Individuum gegenüber. Daſs er so eine Synthese aus den differenzierten Elementen der Subjekte ist, macht ihn ersichtlich ebenso zu einem unter-persönlichen, wie zu einem über- persönlichen Wesen. Wie mit dem Staat aber verhält es sich mit allen Gebilden des objektiven Geistes, die durch Zusammenfügung differenzierter individueller Leistungen entstehen. Denn so sehr diese an sachlich geistigem Gehalt und Entwickelbarkeit desselben jeden individuellen Intellekt übertreffen, so empfinden wir sie doch in dem- selben Maſs, in dem die Differenziertheit und Anzahl der arbeits- teiligen Elemente zunimmt, als bloſsen Mechanismus, dem die Seele fehlt. Aufs deutlichste tritt hier der Unterschied hervor, den man als den von Geist und Seele bezeichnen kann. Geist ist der objektive Inhalt dessen, was innerhalb der Seele in lebendiger Funktion bewuſst wird; Seele ist gleichsam die Form, in der der Geist, d. h. der logisch- sachliche Inhalt des Denkens, für uns lebt. Der Geist in diesem Sinne ist deshalb nicht an die Gestaltung zur Einheit gebunden, ohne die es keine Seele giebt. Es ist, als ob die geistigen Inhalte irgendwie verstreut da wären und erst die Seele führte sie in sich einheitlich
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einzelne Seiten sehr vieler Persönlichkeiten in sich einsaugt, ihm so
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Synthese der Energien in einem Subjekt verwirklichen. Der
Staat und zwar insbesondere der moderne ist hier das umfassendste
Beispiel. Wenn nämlich der Rationalismus es als logisch widerspruchs-
voll gebrandmarkt hat, daſs der Monarch, der doch nur ein einzelner
Mensch sei, über eine ungeheure Anzahl andrer Menschen herrsche, so
ist dabei übersehen, daſs die letzteren, insofern sie eben diesen Staat
unter dem Monarchen bilden, gar nicht in demselben Sinn „Menschen“
sind, wie dieser es ist. Sie geben vielmehr nur einen gewissen Bruch-
teil ihres Seins und ihrer Kräfte in den Staat hinein, mit anderen
reichen sie in andere Kreise, die Gesamtheit ihrer Persönlichkeit wird
überhaupt von keinem erfaſst. Diese aber setzt der Monarch in das
Verhältnis ein, und also mehr als jeder einzelne seiner Unterthanen
für sich. Solange freilich das Regiment in dem Sinne unumschränkt
ist, daſs der Herrscher unmittelbar über die Personen in dem ganzen
Umfang ihres Seins verfügen kann, mag jene Unverhältnismäſsigkeit
bestehen. Der moderne Rechtsstaat dagegen grenzt den Bezirk genau
ab, mit dem die Personen in die Staatssphäre hineinfallen, er diffe-
renziert jene, um aus gewissen ausgesonderten Elementen ihrer sich
selbst zu bilden. Je entschiedner diese Differenzierung ist, als ein desto
objektiveres, von der Form individueller Seelenhaftigkeit gelöstes Ge-
bilde steht der Staat dem Individuum gegenüber. Daſs er so eine
Synthese aus den differenzierten Elementen der Subjekte ist, macht
ihn ersichtlich ebenso zu einem unter-persönlichen, wie zu einem über-
persönlichen Wesen. Wie mit dem Staat aber verhält es sich mit
allen Gebilden des objektiven Geistes, die durch Zusammenfügung
differenzierter individueller Leistungen entstehen. Denn so sehr diese
an sachlich geistigem Gehalt und Entwickelbarkeit desselben jeden
individuellen Intellekt übertreffen, so empfinden wir sie doch in dem-
selben Maſs, in dem die Differenziertheit und Anzahl der arbeits-
teiligen Elemente zunimmt, als bloſsen Mechanismus, dem die Seele
fehlt. Aufs deutlichste tritt hier der Unterschied hervor, den man als
den von Geist und Seele bezeichnen kann. Geist ist der objektive
Inhalt dessen, was innerhalb der Seele in lebendiger Funktion bewuſst
wird; Seele ist gleichsam die Form, in der der Geist, d. h. der logisch-
sachliche Inhalt des Denkens, für uns lebt. Der Geist in diesem Sinne
ist deshalb nicht an die Gestaltung zur Einheit gebunden, ohne die
es keine Seele giebt. Es ist, als ob die geistigen Inhalte irgendwie
verstreut da wären und erst die Seele führte sie in sich einheitlich
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 499. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/523>, abgerufen am 22.11.2024.
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