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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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ohne diese Umsetzung in einen allgemeinen Wert kaum zu gegen-
seitigem Austausch gelangen könnten. Indem sie nun weiter auch die
individuelle Anknüpfung nach aussen erleichtert, den Eintritt in fremde
Kreise, die nur nach der geldwerten Leistung oder dem Geldbeitrag
ihrer Mitglieder fragen, -- formt sie die Familie zum äussersten Gegen-
satz der Struktur, die der mehr kollektive Besitz, insbesondere als Grund-
eigentum, ihr verlieh. Dieser schuf eine Solidarität der Interessen, die
sich soziologisch als eine Kontinuität im Zusammenhang der Familien-
mitglieder darstellte, während die Geldwirtschaft diesen eine gegenseitige
Distanzierung ermöglicht, ja sogar aufdrängt. Über das Familien-
leben hinaus ruhen gewisse weitere Formen des modernen Daseins
grade auf der Distanzierung durch den Geldverkehr. Denn er legt
eine Barriere zwischen die Personen, indem immer nur der Eine von
zwei Kontrahenten das bekommt, was er eigentlich will, was seine
spezifischen Empfindungen auslöst, während der andre, der zunächst
nur Geld bekommen hat, eben jenes erst bei einem Dritten suchen
muss. Dass jeder von beiden mit einer ganz andern Art von Inter-
esse an die Transaktion herangeht, fügt dem Antagonismus, den schon
die Entgegengesetztheit der Interessen von vornherein bewirkt, eine
neue Fremdheit hinzu. In demselben Sinne wirkt die früher be-
handelte Thatsache, dass das Geld eine durchgängige Objektivierung
des Verkehrs mit sich bringt, ein Ausschalten aller personalen Färbung
und Richtung -- im Verein mit der andern, dass die Zahl der auf
Geld gestellten Verhältnisse stetig zunimmt und die Bedeutung des
Menschen für den Menschen mehr und mehr, wenn auch oft in sehr
versteckter Form, auf geldmässige Interessen zurückgeht. Auf diese
Weise entsteht wie gesagt eine innre Schranke zwischen den Menschen,
die aber allein die moderne Lebensform möglich macht. Denn das
Aneinander-Gedrängtsein und das bunte Durcheinander des gross-
städtischen Verkehrs wären ohne jene psychologische Distanzierung
einfach unerträglich. Dass man sich mit einer so ungeheuren Zahl von
Menschen so nahe auf den Leib rückt, wie die jetzige Stadtkultur mit
ihrem kommerziellen, fachlichen, geselligen Verkehr es bewirkt, würde
den modernen sensibeln und nervösen Menschen völlig verzweifeln
lassen, wenn nicht jene Objektivierung des Verkehrscharakters eine
innere Grenze und Reserve mit sich brächte. Die entweder offenbare
oder in tausend Gestalten verkleidete Geldhaftigkeit der Beziehungen
schiebt eine unsichtbare, funktionelle Distanz zwischen die Menschen,
die ein innerer Schutz und Ausgleichung gegen die allzugedrängte Nähe
und Reibung unseres Kulturlebens ist.

Die gleiche Funktion des Geldes für den Lebensstil steigt nun

ohne diese Umsetzung in einen allgemeinen Wert kaum zu gegen-
seitigem Austausch gelangen könnten. Indem sie nun weiter auch die
individuelle Anknüpfung nach auſsen erleichtert, den Eintritt in fremde
Kreise, die nur nach der geldwerten Leistung oder dem Geldbeitrag
ihrer Mitglieder fragen, — formt sie die Familie zum äuſsersten Gegen-
satz der Struktur, die der mehr kollektive Besitz, insbesondere als Grund-
eigentum, ihr verlieh. Dieser schuf eine Solidarität der Interessen, die
sich soziologisch als eine Kontinuität im Zusammenhang der Familien-
mitglieder darstellte, während die Geldwirtschaft diesen eine gegenseitige
Distanzierung ermöglicht, ja sogar aufdrängt. Über das Familien-
leben hinaus ruhen gewisse weitere Formen des modernen Daseins
grade auf der Distanzierung durch den Geldverkehr. Denn er legt
eine Barriere zwischen die Personen, indem immer nur der Eine von
zwei Kontrahenten das bekommt, was er eigentlich will, was seine
spezifischen Empfindungen auslöst, während der andre, der zunächst
nur Geld bekommen hat, eben jenes erst bei einem Dritten suchen
muſs. Daſs jeder von beiden mit einer ganz andern Art von Inter-
esse an die Transaktion herangeht, fügt dem Antagonismus, den schon
die Entgegengesetztheit der Interessen von vornherein bewirkt, eine
neue Fremdheit hinzu. In demselben Sinne wirkt die früher be-
handelte Thatsache, daſs das Geld eine durchgängige Objektivierung
des Verkehrs mit sich bringt, ein Ausschalten aller personalen Färbung
und Richtung — im Verein mit der andern, daſs die Zahl der auf
Geld gestellten Verhältnisse stetig zunimmt und die Bedeutung des
Menschen für den Menschen mehr und mehr, wenn auch oft in sehr
versteckter Form, auf geldmäſsige Interessen zurückgeht. Auf diese
Weise entsteht wie gesagt eine innre Schranke zwischen den Menschen,
die aber allein die moderne Lebensform möglich macht. Denn das
Aneinander-Gedrängtsein und das bunte Durcheinander des groſs-
städtischen Verkehrs wären ohne jene psychologische Distanzierung
einfach unerträglich. Daſs man sich mit einer so ungeheuren Zahl von
Menschen so nahe auf den Leib rückt, wie die jetzige Stadtkultur mit
ihrem kommerziellen, fachlichen, geselligen Verkehr es bewirkt, würde
den modernen sensibeln und nervösen Menschen völlig verzweifeln
lassen, wenn nicht jene Objektivierung des Verkehrscharakters eine
innere Grenze und Reserve mit sich brächte. Die entweder offenbare
oder in tausend Gestalten verkleidete Geldhaftigkeit der Beziehungen
schiebt eine unsichtbare, funktionelle Distanz zwischen die Menschen,
die ein innerer Schutz und Ausgleichung gegen die allzugedrängte Nähe
und Reibung unseres Kulturlebens ist.

Die gleiche Funktion des Geldes für den Lebensstil steigt nun

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[514/0538] ohne diese Umsetzung in einen allgemeinen Wert kaum zu gegen- seitigem Austausch gelangen könnten. Indem sie nun weiter auch die individuelle Anknüpfung nach auſsen erleichtert, den Eintritt in fremde Kreise, die nur nach der geldwerten Leistung oder dem Geldbeitrag ihrer Mitglieder fragen, — formt sie die Familie zum äuſsersten Gegen- satz der Struktur, die der mehr kollektive Besitz, insbesondere als Grund- eigentum, ihr verlieh. Dieser schuf eine Solidarität der Interessen, die sich soziologisch als eine Kontinuität im Zusammenhang der Familien- mitglieder darstellte, während die Geldwirtschaft diesen eine gegenseitige Distanzierung ermöglicht, ja sogar aufdrängt. Über das Familien- leben hinaus ruhen gewisse weitere Formen des modernen Daseins grade auf der Distanzierung durch den Geldverkehr. Denn er legt eine Barriere zwischen die Personen, indem immer nur der Eine von zwei Kontrahenten das bekommt, was er eigentlich will, was seine spezifischen Empfindungen auslöst, während der andre, der zunächst nur Geld bekommen hat, eben jenes erst bei einem Dritten suchen muſs. Daſs jeder von beiden mit einer ganz andern Art von Inter- esse an die Transaktion herangeht, fügt dem Antagonismus, den schon die Entgegengesetztheit der Interessen von vornherein bewirkt, eine neue Fremdheit hinzu. In demselben Sinne wirkt die früher be- handelte Thatsache, daſs das Geld eine durchgängige Objektivierung des Verkehrs mit sich bringt, ein Ausschalten aller personalen Färbung und Richtung — im Verein mit der andern, daſs die Zahl der auf Geld gestellten Verhältnisse stetig zunimmt und die Bedeutung des Menschen für den Menschen mehr und mehr, wenn auch oft in sehr versteckter Form, auf geldmäſsige Interessen zurückgeht. Auf diese Weise entsteht wie gesagt eine innre Schranke zwischen den Menschen, die aber allein die moderne Lebensform möglich macht. Denn das Aneinander-Gedrängtsein und das bunte Durcheinander des groſs- städtischen Verkehrs wären ohne jene psychologische Distanzierung einfach unerträglich. Daſs man sich mit einer so ungeheuren Zahl von Menschen so nahe auf den Leib rückt, wie die jetzige Stadtkultur mit ihrem kommerziellen, fachlichen, geselligen Verkehr es bewirkt, würde den modernen sensibeln und nervösen Menschen völlig verzweifeln lassen, wenn nicht jene Objektivierung des Verkehrscharakters eine innere Grenze und Reserve mit sich brächte. Die entweder offenbare oder in tausend Gestalten verkleidete Geldhaftigkeit der Beziehungen schiebt eine unsichtbare, funktionelle Distanz zwischen die Menschen, die ein innerer Schutz und Ausgleichung gegen die allzugedrängte Nähe und Reibung unseres Kulturlebens ist. Die gleiche Funktion des Geldes für den Lebensstil steigt nun

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 514. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/538>, abgerufen am 22.11.2024.