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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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eigene Entladung zu verhindern. An diesem teleologischen Gewebe
haben wir also den Widerspruch der Übertönung des Zwecks durch
das Mittel zu absoluter Höhe gehoben: indem der wachsenden
Bedeutung des Mittels eine grade in demselben Mass wachsende
Perhorreszierung und Verneinung seines Zwecks entspricht. Und
dieses Gebilde durchdringt das Volksleben mehr und mehr, greift in
den weitesten Umkreis personaler, innerpolitischer und Produktions-
Verhältnisse ein, giebt gewissen Altersstufen und gewissen sozialen
Kreisen direkt und indirekt ihre Färbung! Weniger krass, aber ge-
fährlicher und schleichender tritt diese Richtung auf das Illusorisch-
Werden der Endzwecke vermittels der Fortschritte und der Bewertung
der Technik auf. Wenn die Leistungen derselben in Wirklich-
keit zu demjenigen, worauf es im Leben eigentlich und schliesslich an-
kommt, eben doch höchstens im Verhältnis von Mittel oder Werkzeug,
sehr oft aber in gar keinem stehen -- so hebe ich von den mancherlei
Veranlassungen, diese Rolle der Technik zu verkennen, nur die Gross-
artigkeit hervor, zu der sie sich in sich entwickelt hat. Es ist einer
der verbreitetsten und fast unvermeidlichen menschlichen Züge, dass
die Höhe, Grösse und Vollendung, welche ein Gebiet innerhalb
seiner Grenzen unter den ihm eignen Voraussetzungen erlangt hat,
mit der Bedeutsamkeit dieses Gebietes als ganzen verwechselt wird;
der Reichtum und die Vollkommenheit der einzelnen Teile, das Mass,
in dem das Gebiet sich seinem eignen, immanenten Ideale nähert, gilt
gar zu leicht als Wert und Würde desselben überhaupt und in seinem
Verhältnis zu den andern Lebensinhalten. Die Erkenntnis, dass etwas
in seinem Genre und gemessen an den Forderungen seines Typus sehr
hervorragend sei, während dieses Genre und Typus selbst weniges und
niedriges bedeute -- diese Erkenntnis setzt in jedem einzelnen Falle ein
sehr geschärftes Denken und differenziertes Wertempfinden voraus.
Wie häufig unterliegen wir der Versuchung, die Bedeutung der eignen
Leistung dadurch zu exaggerieren, dass wir der ganzen Provinz, der
sie angehört, übertriebene Bedeutung beilegen! -- indem wir ihre
relative Höhe auf jenes Ganze überfliessen lassen und sie dadurch zu
einer absoluten steigern. Wie oft verleitet der Besitz einer hervor-
ragenden Einzelheit irgend einer Wertart -- von den Gegenständen
der Sammelmanien anfangend bis zu den spezialistischen Kenntnissen
eines wissenschaftlichen Sondergebietes -- dazu, eben diese Wertart
als ganze im Zusammenhange des Wertkosmos so hoch zu schätzen,
wie jene Einzelheit es innerhalb ihrer verdient! Es ist, im Grunde
genommen, immer der alte metaphysische Fehler: die Bestimmungen,
welche die Elemente eines Ganzen untereinander, also relativer Weise,

eigene Entladung zu verhindern. An diesem teleologischen Gewebe
haben wir also den Widerspruch der Übertönung des Zwecks durch
das Mittel zu absoluter Höhe gehoben: indem der wachsenden
Bedeutung des Mittels eine grade in demselben Maſs wachsende
Perhorreszierung und Verneinung seines Zwecks entspricht. Und
dieses Gebilde durchdringt das Volksleben mehr und mehr, greift in
den weitesten Umkreis personaler, innerpolitischer und Produktions-
Verhältnisse ein, giebt gewissen Altersstufen und gewissen sozialen
Kreisen direkt und indirekt ihre Färbung! Weniger kraſs, aber ge-
fährlicher und schleichender tritt diese Richtung auf das Illusorisch-
Werden der Endzwecke vermittels der Fortschritte und der Bewertung
der Technik auf. Wenn die Leistungen derselben in Wirklich-
keit zu demjenigen, worauf es im Leben eigentlich und schlieſslich an-
kommt, eben doch höchstens im Verhältnis von Mittel oder Werkzeug,
sehr oft aber in gar keinem stehen — so hebe ich von den mancherlei
Veranlassungen, diese Rolle der Technik zu verkennen, nur die Groſs-
artigkeit hervor, zu der sie sich in sich entwickelt hat. Es ist einer
der verbreitetsten und fast unvermeidlichen menschlichen Züge, daſs
die Höhe, Gröſse und Vollendung, welche ein Gebiet innerhalb
seiner Grenzen unter den ihm eignen Voraussetzungen erlangt hat,
mit der Bedeutsamkeit dieses Gebietes als ganzen verwechselt wird;
der Reichtum und die Vollkommenheit der einzelnen Teile, das Maſs,
in dem das Gebiet sich seinem eignen, immanenten Ideale nähert, gilt
gar zu leicht als Wert und Würde desselben überhaupt und in seinem
Verhältnis zu den andern Lebensinhalten. Die Erkenntnis, daſs etwas
in seinem Genre und gemessen an den Forderungen seines Typus sehr
hervorragend sei, während dieses Genre und Typus selbst weniges und
niedriges bedeute — diese Erkenntnis setzt in jedem einzelnen Falle ein
sehr geschärftes Denken und differenziertes Wertempfinden voraus.
Wie häufig unterliegen wir der Versuchung, die Bedeutung der eignen
Leistung dadurch zu exaggerieren, daſs wir der ganzen Provinz, der
sie angehört, übertriebene Bedeutung beilegen! — indem wir ihre
relative Höhe auf jenes Ganze überflieſsen lassen und sie dadurch zu
einer absoluten steigern. Wie oft verleitet der Besitz einer hervor-
ragenden Einzelheit irgend einer Wertart — von den Gegenständen
der Sammelmanien anfangend bis zu den spezialistischen Kenntnissen
eines wissenschaftlichen Sondergebietes — dazu, eben diese Wertart
als ganze im Zusammenhange des Wertkosmos so hoch zu schätzen,
wie jene Einzelheit es innerhalb ihrer verdient! Es ist, im Grunde
genommen, immer der alte metaphysische Fehler: die Bestimmungen,
welche die Elemente eines Ganzen untereinander, also relativer Weise,

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[519/0543] eigene Entladung zu verhindern. An diesem teleologischen Gewebe haben wir also den Widerspruch der Übertönung des Zwecks durch das Mittel zu absoluter Höhe gehoben: indem der wachsenden Bedeutung des Mittels eine grade in demselben Maſs wachsende Perhorreszierung und Verneinung seines Zwecks entspricht. Und dieses Gebilde durchdringt das Volksleben mehr und mehr, greift in den weitesten Umkreis personaler, innerpolitischer und Produktions- Verhältnisse ein, giebt gewissen Altersstufen und gewissen sozialen Kreisen direkt und indirekt ihre Färbung! Weniger kraſs, aber ge- fährlicher und schleichender tritt diese Richtung auf das Illusorisch- Werden der Endzwecke vermittels der Fortschritte und der Bewertung der Technik auf. Wenn die Leistungen derselben in Wirklich- keit zu demjenigen, worauf es im Leben eigentlich und schlieſslich an- kommt, eben doch höchstens im Verhältnis von Mittel oder Werkzeug, sehr oft aber in gar keinem stehen — so hebe ich von den mancherlei Veranlassungen, diese Rolle der Technik zu verkennen, nur die Groſs- artigkeit hervor, zu der sie sich in sich entwickelt hat. Es ist einer der verbreitetsten und fast unvermeidlichen menschlichen Züge, daſs die Höhe, Gröſse und Vollendung, welche ein Gebiet innerhalb seiner Grenzen unter den ihm eignen Voraussetzungen erlangt hat, mit der Bedeutsamkeit dieses Gebietes als ganzen verwechselt wird; der Reichtum und die Vollkommenheit der einzelnen Teile, das Maſs, in dem das Gebiet sich seinem eignen, immanenten Ideale nähert, gilt gar zu leicht als Wert und Würde desselben überhaupt und in seinem Verhältnis zu den andern Lebensinhalten. Die Erkenntnis, daſs etwas in seinem Genre und gemessen an den Forderungen seines Typus sehr hervorragend sei, während dieses Genre und Typus selbst weniges und niedriges bedeute — diese Erkenntnis setzt in jedem einzelnen Falle ein sehr geschärftes Denken und differenziertes Wertempfinden voraus. Wie häufig unterliegen wir der Versuchung, die Bedeutung der eignen Leistung dadurch zu exaggerieren, daſs wir der ganzen Provinz, der sie angehört, übertriebene Bedeutung beilegen! — indem wir ihre relative Höhe auf jenes Ganze überflieſsen lassen und sie dadurch zu einer absoluten steigern. Wie oft verleitet der Besitz einer hervor- ragenden Einzelheit irgend einer Wertart — von den Gegenständen der Sammelmanien anfangend bis zu den spezialistischen Kenntnissen eines wissenschaftlichen Sondergebietes — dazu, eben diese Wertart als ganze im Zusammenhange des Wertkosmos so hoch zu schätzen, wie jene Einzelheit es innerhalb ihrer verdient! Es ist, im Grunde genommen, immer der alte metaphysische Fehler: die Bestimmungen, welche die Elemente eines Ganzen untereinander, also relativer Weise,

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/543>, abgerufen am 22.11.2024.