aufzeigen, auf das Ganze zu übertragen -- der Fehler, aus dem heraus z. B. die Forderung ursächlicher Begründung, die für alle Teile der Welt und für deren Verhältnis untereinander gilt, auch dem Ganzen der Welt gegenüber erhoben wird. Den Enthusiasten für die mo- derne Technik würde es wahrscheinlich sehr wunderlich vorkommen, dass ihr inneres Verhalten demselben Formfehler unterliegen soll, wie das der spekulierenden Metaphysiker. Und doch ist es so: die rela- tive Höhe, welche die technischen Fortschritte der Gegenwart gegen- über den früheren Zuständen und unter vorausgesetzter Anerkennung gewisser Ziele erreicht haben, wächst ihnen zu einer absoluten Be- deutung dieser Ziele und also jener Fortschritte aus. Gewiss haben wir jetzt statt der Thranlampen Acetylen und elektrisches Licht; allein der Enthusiasmus über die Fortschritte der Beleuchtung vergisst manch- mal, dass das Wesentliche doch nicht sie, sondern dasjenige ist, was sie besser sichtbar macht; der förmliche Rausch, in den die Triumphe von Telegraphie und Telephonie die Menschen versetzt haben, lässt sie oft übersehen, dass es doch wohl auf den Wert dessen ankommt, was man mitzuteilen hat, und dass dem gegenüber die Schnelligkeit oder Langsamkeit des Beförderungsmittels sehr oft eine Angelegenheit ist, die ihren jetzigen Rang nur durch Usurpation erlangen konnte. Und so auf unzähligen Gebieten.
Dieses Übergewicht der Mittel über die Zwecke findet seine Zu- sammenfassung und Aufgipfelung in der Thatsache, dass die Peripherie des Lebens, die Dinge ausserhalb seiner Geistigkeit zu Herren über sein Zentrum geworden sind, über uns selbst. Es ist schon richtig, dass wir die Natur damit beherrschen, dass wir ihr dienen; aber in dem herkömm- lichen Sinne doch nur für die Aussenwerke des Lebens richtig. Sehen wir auf dessen Ganzheit und Tiefe, so kostet jenes Verfügenkönnen über die äussere Natur, das die Technik uns einträgt, den Preis, in ihr befangen zu sein und auf die Zentrierung des Lebens in der Geistig- keit zu verzichten. Die Illusionen dieses Gebietes zeichnen sich deut- lich an den Ausdrücken, die ihm dienen und mit denen eine auf ihre Objektivität und Mythenfreiheit stolze Anschauungsweise das direkte Gegenteil dieser Vorzüge verrät. Dass wir die Natur besiegen oder beherrschen, ist ein ganz kindlicher Begriff, da er irgend einen Wider- stand, ein teleologisches Moment in der Natur selbst voraussetzt, eine Feindseligkeit gegen uns, da sie doch nur gleichgültig ist, und alle ihre Dienstbarkeit ihre eigene Gesetzmässigkeit nicht abbiegt, während alle Vorstellungen von Herrschaft und Gehorsam, Sieg und Unterworfen- sein nur darin ihren Sinn haben, dass ein entgegenstehender Wille gebrochen ist. Dies ist freilich nur das Gegenstück zu der Ausdrucks-
aufzeigen, auf das Ganze zu übertragen — der Fehler, aus dem heraus z. B. die Forderung ursächlicher Begründung, die für alle Teile der Welt und für deren Verhältnis untereinander gilt, auch dem Ganzen der Welt gegenüber erhoben wird. Den Enthusiasten für die mo- derne Technik würde es wahrscheinlich sehr wunderlich vorkommen, daſs ihr inneres Verhalten demselben Formfehler unterliegen soll, wie das der spekulierenden Metaphysiker. Und doch ist es so: die rela- tive Höhe, welche die technischen Fortschritte der Gegenwart gegen- über den früheren Zuständen und unter vorausgesetzter Anerkennung gewisser Ziele erreicht haben, wächst ihnen zu einer absoluten Be- deutung dieser Ziele und also jener Fortschritte aus. Gewiſs haben wir jetzt statt der Thranlampen Acetylen und elektrisches Licht; allein der Enthusiasmus über die Fortschritte der Beleuchtung vergiſst manch- mal, daſs das Wesentliche doch nicht sie, sondern dasjenige ist, was sie besser sichtbar macht; der förmliche Rausch, in den die Triumphe von Telegraphie und Telephonie die Menschen versetzt haben, läſst sie oft übersehen, daſs es doch wohl auf den Wert dessen ankommt, was man mitzuteilen hat, und daſs dem gegenüber die Schnelligkeit oder Langsamkeit des Beförderungsmittels sehr oft eine Angelegenheit ist, die ihren jetzigen Rang nur durch Usurpation erlangen konnte. Und so auf unzähligen Gebieten.
Dieses Übergewicht der Mittel über die Zwecke findet seine Zu- sammenfassung und Aufgipfelung in der Thatsache, daſs die Peripherie des Lebens, die Dinge auſserhalb seiner Geistigkeit zu Herren über sein Zentrum geworden sind, über uns selbst. Es ist schon richtig, daſs wir die Natur damit beherrschen, daſs wir ihr dienen; aber in dem herkömm- lichen Sinne doch nur für die Auſsenwerke des Lebens richtig. Sehen wir auf dessen Ganzheit und Tiefe, so kostet jenes Verfügenkönnen über die äuſsere Natur, das die Technik uns einträgt, den Preis, in ihr befangen zu sein und auf die Zentrierung des Lebens in der Geistig- keit zu verzichten. Die Illusionen dieses Gebietes zeichnen sich deut- lich an den Ausdrücken, die ihm dienen und mit denen eine auf ihre Objektivität und Mythenfreiheit stolze Anschauungsweise das direkte Gegenteil dieser Vorzüge verrät. Daſs wir die Natur besiegen oder beherrschen, ist ein ganz kindlicher Begriff, da er irgend einen Wider- stand, ein teleologisches Moment in der Natur selbst voraussetzt, eine Feindseligkeit gegen uns, da sie doch nur gleichgültig ist, und alle ihre Dienstbarkeit ihre eigene Gesetzmäſsigkeit nicht abbiegt, während alle Vorstellungen von Herrschaft und Gehorsam, Sieg und Unterworfen- sein nur darin ihren Sinn haben, daſs ein entgegenstehender Wille gebrochen ist. Dies ist freilich nur das Gegenstück zu der Ausdrucks-
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aufzeigen, auf das Ganze zu übertragen — der Fehler, aus dem heraus
z. B. die Forderung ursächlicher Begründung, die für alle Teile der
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der Welt gegenüber erhoben wird. Den Enthusiasten für die mo-
derne Technik würde es wahrscheinlich sehr wunderlich vorkommen,
daſs ihr inneres Verhalten demselben Formfehler unterliegen soll, wie
das der spekulierenden Metaphysiker. Und doch ist es so: die rela-
tive Höhe, welche die technischen Fortschritte der Gegenwart gegen-
über den früheren Zuständen und unter vorausgesetzter Anerkennung
gewisser Ziele erreicht haben, wächst ihnen zu einer absoluten Be-
deutung dieser Ziele und also jener Fortschritte aus. Gewiſs haben
wir jetzt statt der Thranlampen Acetylen und elektrisches Licht; allein
der Enthusiasmus über die Fortschritte der Beleuchtung vergiſst manch-
mal, daſs das Wesentliche doch nicht sie, sondern dasjenige ist, was
sie besser sichtbar macht; der förmliche Rausch, in den die Triumphe
von Telegraphie und Telephonie die Menschen versetzt haben, läſst sie
oft übersehen, daſs es doch wohl auf den Wert dessen ankommt, was
man mitzuteilen hat, und daſs dem gegenüber die Schnelligkeit oder
Langsamkeit des Beförderungsmittels sehr oft eine Angelegenheit ist,
die ihren jetzigen Rang nur durch Usurpation erlangen konnte. Und
so auf unzähligen Gebieten.
Dieses Übergewicht der Mittel über die Zwecke findet seine Zu-
sammenfassung und Aufgipfelung in der Thatsache, daſs die Peripherie
des Lebens, die Dinge auſserhalb seiner Geistigkeit zu Herren über sein
Zentrum geworden sind, über uns selbst. Es ist schon richtig, daſs wir
die Natur damit beherrschen, daſs wir ihr dienen; aber in dem herkömm-
lichen Sinne doch nur für die Auſsenwerke des Lebens richtig. Sehen
wir auf dessen Ganzheit und Tiefe, so kostet jenes Verfügenkönnen
über die äuſsere Natur, das die Technik uns einträgt, den Preis, in
ihr befangen zu sein und auf die Zentrierung des Lebens in der Geistig-
keit zu verzichten. Die Illusionen dieses Gebietes zeichnen sich deut-
lich an den Ausdrücken, die ihm dienen und mit denen eine auf ihre
Objektivität und Mythenfreiheit stolze Anschauungsweise das direkte
Gegenteil dieser Vorzüge verrät. Daſs wir die Natur besiegen oder
beherrschen, ist ein ganz kindlicher Begriff, da er irgend einen Wider-
stand, ein teleologisches Moment in der Natur selbst voraussetzt, eine
Feindseligkeit gegen uns, da sie doch nur gleichgültig ist, und alle
ihre Dienstbarkeit ihre eigene Gesetzmäſsigkeit nicht abbiegt, während
alle Vorstellungen von Herrschaft und Gehorsam, Sieg und Unterworfen-
sein nur darin ihren Sinn haben, daſs ein entgegenstehender Wille
gebrochen ist. Dies ist freilich nur das Gegenstück zu der Ausdrucks-
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/544>, abgerufen am 22.11.2024.
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