weise, dass die Wirksamkeit der Naturgesetze den Dingen einen un- entrinnbaren Zwang auferlege. Denn zunächst wirken Naturgesetze überhaupt nicht, da sie nur die Formeln für die allein möglichen Wirk- samkeiten: der einzelnen Stoffe und Energien, sind. Die Naivität einer missverstandenen Naturwissenschaftlichkeit: als ob die Naturgesetze als reale Mächte die Wirklichkeit lenkten, wie ein Herrscher sein Reich, steht insofern auf einem Blatt mit der unmittelbaren Lenkung der irdischen Dinge durch den Finger Gottes. Und nicht weniger irre- führend ist der vorgebliche Zwang, das Müssen, dem das Natur- geschehen unterliegen soll. Unter diesen Kategorien empfindet nur die menschliche Seele das Gebundensein an Gesetze, weil solchem in ihr Regungen entgegenstehen, die uns in andere Richtungen führen möchten. Das natürliche Geschehen als solches aber steht ganz jen- seits der Alternative von Freiheit und Zwang, und mit dem "Müssen" wird in das einfache Sein der Dinge ein Dualismus hineingefühlt, der nur für bewusste Seelen einen Sinn hat. Wären dies alles auch nur Fragen des Ausdrucks, so leitet dieser doch alle oberflächlicher Denken- den auf anthropomorphistische Irrwege und zeigt, dass die mythologische Denkweise auch noch innerhalb der naturwissenschaftlichen Weltanschau- ung ein Unterkommen findet. Jener Begriff einer Herrschaft des Menschen über die Natur erleichtert die selbstschmeichlerische Ver- blendung über unser Verhältnis zu ihr, die doch selbst auf dem Boden dieses Gleichnisses nicht unvermeidlich wäre. Der äusserlichen Ob- jektivität und Sichtbarkeit nach ist allerdings die wachsende Herrschaft auf der Seite des Menschen; aber damit ist noch gar nicht entschieden, dass der subjektive Reflex, die nach innen schlagende Bedeutung dieser historischen Thatsache nicht im entgegengesetzten Sinn verlaufen könne. Man lasse sich nicht durch das ungeheure Mass von Intelligenz beirren, vermöge dessen die theoretischen Grundlagen jener Technik hervor- gebracht sind und das allerdings den Traum Platos: die Wissenschaft zur Herrscherin des Lebens zu machen, -- zu verwirklichen scheint. Aber die Fäden, an denen die Technik die Kräfte und Stoffe der Natur in unser Leben hineinzieht, sind ebenso viele Fesseln, die uns binden und uns unendlich Vieles unentbehrlich machen, was doch für die Hauptsache des Lebens gar sehr entbehrt werden könnte, ja müsste. Wenn man schon auf dem Gebiet der Produktion behauptet, dass die Maschine, die den Menschen doch die Sklavenarbeit an der Natur ab- nehmen sollte, sie zu Sklaven eben an der Maschine selbst herab- gedrückt hat, -- so gilt es für feinere und umfassendere innerliche Beziehungen erst recht: der Satz, dass wir die Natur beherrschen, in- dem wir ihr dienen, hat den fürchterlichen Revers, dass wir ihr dienen,
weise, daſs die Wirksamkeit der Naturgesetze den Dingen einen un- entrinnbaren Zwang auferlege. Denn zunächst wirken Naturgesetze überhaupt nicht, da sie nur die Formeln für die allein möglichen Wirk- samkeiten: der einzelnen Stoffe und Energien, sind. Die Naivität einer miſsverstandenen Naturwissenschaftlichkeit: als ob die Naturgesetze als reale Mächte die Wirklichkeit lenkten, wie ein Herrscher sein Reich, steht insofern auf einem Blatt mit der unmittelbaren Lenkung der irdischen Dinge durch den Finger Gottes. Und nicht weniger irre- führend ist der vorgebliche Zwang, das Müssen, dem das Natur- geschehen unterliegen soll. Unter diesen Kategorien empfindet nur die menschliche Seele das Gebundensein an Gesetze, weil solchem in ihr Regungen entgegenstehen, die uns in andere Richtungen führen möchten. Das natürliche Geschehen als solches aber steht ganz jen- seits der Alternative von Freiheit und Zwang, und mit dem „Müssen“ wird in das einfache Sein der Dinge ein Dualismus hineingefühlt, der nur für bewuſste Seelen einen Sinn hat. Wären dies alles auch nur Fragen des Ausdrucks, so leitet dieser doch alle oberflächlicher Denken- den auf anthropomorphistische Irrwege und zeigt, daſs die mythologische Denkweise auch noch innerhalb der naturwissenschaftlichen Weltanschau- ung ein Unterkommen findet. Jener Begriff einer Herrschaft des Menschen über die Natur erleichtert die selbstschmeichlerische Ver- blendung über unser Verhältnis zu ihr, die doch selbst auf dem Boden dieses Gleichnisses nicht unvermeidlich wäre. Der äuſserlichen Ob- jektivität und Sichtbarkeit nach ist allerdings die wachsende Herrschaft auf der Seite des Menschen; aber damit ist noch gar nicht entschieden, daſs der subjektive Reflex, die nach innen schlagende Bedeutung dieser historischen Thatsache nicht im entgegengesetzten Sinn verlaufen könne. Man lasse sich nicht durch das ungeheure Maſs von Intelligenz beirren, vermöge dessen die theoretischen Grundlagen jener Technik hervor- gebracht sind und das allerdings den Traum Platos: die Wissenschaft zur Herrscherin des Lebens zu machen, — zu verwirklichen scheint. Aber die Fäden, an denen die Technik die Kräfte und Stoffe der Natur in unser Leben hineinzieht, sind ebenso viele Fesseln, die uns binden und uns unendlich Vieles unentbehrlich machen, was doch für die Hauptsache des Lebens gar sehr entbehrt werden könnte, ja müſste. Wenn man schon auf dem Gebiet der Produktion behauptet, daſs die Maschine, die den Menschen doch die Sklavenarbeit an der Natur ab- nehmen sollte, sie zu Sklaven eben an der Maschine selbst herab- gedrückt hat, — so gilt es für feinere und umfassendere innerliche Beziehungen erst recht: der Satz, daſs wir die Natur beherrschen, in- dem wir ihr dienen, hat den fürchterlichen Revers, daſs wir ihr dienen,
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weise, daſs die Wirksamkeit der Naturgesetze den Dingen einen un-
entrinnbaren Zwang auferlege. Denn zunächst wirken Naturgesetze
überhaupt nicht, da sie nur die Formeln für die allein möglichen Wirk-
samkeiten: der einzelnen Stoffe und Energien, sind. Die Naivität einer
miſsverstandenen Naturwissenschaftlichkeit: als ob die Naturgesetze als
reale Mächte die Wirklichkeit lenkten, wie ein Herrscher sein Reich,
steht insofern auf einem Blatt mit der unmittelbaren Lenkung der
irdischen Dinge durch den Finger Gottes. Und nicht weniger irre-
führend ist der vorgebliche Zwang, das Müssen, dem das Natur-
geschehen unterliegen soll. Unter diesen Kategorien empfindet nur die
menschliche Seele das Gebundensein an Gesetze, weil solchem in ihr
Regungen entgegenstehen, die uns in andere Richtungen führen
möchten. Das natürliche Geschehen als solches aber steht ganz jen-
seits der Alternative von Freiheit und Zwang, und mit dem „Müssen“
wird in das einfache Sein der Dinge ein Dualismus hineingefühlt, der
nur für bewuſste Seelen einen Sinn hat. Wären dies alles auch nur
Fragen des Ausdrucks, so leitet dieser doch alle oberflächlicher Denken-
den auf anthropomorphistische Irrwege und zeigt, daſs die mythologische
Denkweise auch noch innerhalb der naturwissenschaftlichen Weltanschau-
ung ein Unterkommen findet. Jener Begriff einer Herrschaft des
Menschen über die Natur erleichtert die selbstschmeichlerische Ver-
blendung über unser Verhältnis zu ihr, die doch selbst auf dem Boden
dieses Gleichnisses nicht unvermeidlich wäre. Der äuſserlichen Ob-
jektivität und Sichtbarkeit nach ist allerdings die wachsende Herrschaft
auf der Seite des Menschen; aber damit ist noch gar nicht entschieden,
daſs der subjektive Reflex, die nach innen schlagende Bedeutung dieser
historischen Thatsache nicht im entgegengesetzten Sinn verlaufen könne.
Man lasse sich nicht durch das ungeheure Maſs von Intelligenz beirren,
vermöge dessen die theoretischen Grundlagen jener Technik hervor-
gebracht sind und das allerdings den Traum Platos: die Wissenschaft
zur Herrscherin des Lebens zu machen, — zu verwirklichen scheint.
Aber die Fäden, an denen die Technik die Kräfte und Stoffe der
Natur in unser Leben hineinzieht, sind ebenso viele Fesseln, die uns
binden und uns unendlich Vieles unentbehrlich machen, was doch für
die Hauptsache des Lebens gar sehr entbehrt werden könnte, ja müſste.
Wenn man schon auf dem Gebiet der Produktion behauptet, daſs die
Maschine, die den Menschen doch die Sklavenarbeit an der Natur ab-
nehmen sollte, sie zu Sklaven eben an der Maschine selbst herab-
gedrückt hat, — so gilt es für feinere und umfassendere innerliche
Beziehungen erst recht: der Satz, daſs wir die Natur beherrschen, in-
dem wir ihr dienen, hat den fürchterlichen Revers, daſs wir ihr dienen,
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 521. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/545>, abgerufen am 22.11.2024.
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