Arbeiter ausserordentlich darunter, dass jede Absatzstockung den Be- trieb eines Grossunternehmens viel mehr störte, als sie den vieler kleiner gestört hatte, schon weil die Zunft die Verluste zu teilen pflegte. Früher hatten die Meister in schlechten Zeiten auf Vorrat gearbeitet, jetzt wurden die Arbeiter einfach entlassen; früher waren die Löhne jahrweise durch die Obrigkeit fixiert worden, jetzt führte jeder Preisabschlag zu ihrer Herabsetzung. Unter diesen Umständen, so wird berichtet, zogen viele Arbeiter vor, unter dem alten System weiterzuarbeiten, statt die höheren Löhne des neuen mit der grösseren Unregelmässigkeit der Beschäftigung überhaupt zu bezahlen. So hat allenthalben der Kapitalismus und die wirtschaftliche Individualisierung, mindestens strichweise, die Arbeit als Ganzes -- darum auch meist ihre Inhalte! -- zu etwas viel Unsichrerem gemacht, viel zufälligeren Konstellationen unterworfen, als sie zur Zeit der Zünfte bestanden, wo die grössere Stabilität der Arbeitsbedingungen doch auch den sonstigen Lebensinhalten des Tages und Jahres einen viel festeren Rhythmus verlieh. Und was die Gestaltung des Arbeitsinhaltes betrifft, so haben neuere Untersuchungen nachgewiesen, dass derselbe früher, insbesondre bei dem primitiven Zusammenarbeiten und der allenthalben vor- kommenden Gesangbegleitung, einen überwiegend rhythmischen Cha- rakter besessen, denselben aber nachher, mit der Vervollkommnung der Werkzeuge und der Individualisierung der Arbeit, wieder ein- gebüsst habe. Nun enthält zwar grade der moderne Fabrikbetrieb wieder stark rhythmische Elemente; allein soweit sie den Arbeiter an die Strenge gleichmässig wiederholter Bewegungen binden, haben sie eine ganz andre subjektive Bedeutung, als jene alte Arbeitsrhythmik, da sie sich nicht den inneren Forderungen physiologisch-psychologischer Energetik, sondern denen einer rücksichtslos objektiven, maschinellen Technik anpassen.
Die Entwicklung des Geldwesens folgt dem gleichen Schema. Es zeigt gewisse rhythmische Erscheinungen als eine Art Mittelstufe: aus der chaotischen Zufälligkeit, in der sein erstes Auftreten sich bewegt haben muss, gelangt es zu jenen, die doch immerhin ein Prinzip und eine sinnvolle Gestaltung aufzeigen, bis es auf weiterer Stufe eine Kontinuität des Sich-Darbietens gewinnt, mit der es sich allen sach- lichen und persönlichen Notwendigkeiten, frei von dem Zwange eines rhythmischen und in höherem Sinn doch zufälligen Schemas, an- schmiegt. Es genügt für unseren Zweck, den Übergang von der zweiten zur dritten Stufe an einigen Beispielen zu zeigen. Noch im 16. Jahrhundert war es selbst an einem Platz so grossartigen Geld- verkehrs wie Antwerpen fast unmöglich, ausserhalb der regelmässigen
Arbeiter auſserordentlich darunter, daſs jede Absatzstockung den Be- trieb eines Groſsunternehmens viel mehr störte, als sie den vieler kleiner gestört hatte, schon weil die Zunft die Verluste zu teilen pflegte. Früher hatten die Meister in schlechten Zeiten auf Vorrat gearbeitet, jetzt wurden die Arbeiter einfach entlassen; früher waren die Löhne jahrweise durch die Obrigkeit fixiert worden, jetzt führte jeder Preisabschlag zu ihrer Herabsetzung. Unter diesen Umständen, so wird berichtet, zogen viele Arbeiter vor, unter dem alten System weiterzuarbeiten, statt die höheren Löhne des neuen mit der gröſseren Unregelmäſsigkeit der Beschäftigung überhaupt zu bezahlen. So hat allenthalben der Kapitalismus und die wirtschaftliche Individualisierung, mindestens strichweise, die Arbeit als Ganzes — darum auch meist ihre Inhalte! — zu etwas viel Unsichrerem gemacht, viel zufälligeren Konstellationen unterworfen, als sie zur Zeit der Zünfte bestanden, wo die gröſsere Stabilität der Arbeitsbedingungen doch auch den sonstigen Lebensinhalten des Tages und Jahres einen viel festeren Rhythmus verlieh. Und was die Gestaltung des Arbeitsinhaltes betrifft, so haben neuere Untersuchungen nachgewiesen, daſs derselbe früher, insbesondre bei dem primitiven Zusammenarbeiten und der allenthalben vor- kommenden Gesangbegleitung, einen überwiegend rhythmischen Cha- rakter besessen, denselben aber nachher, mit der Vervollkommnung der Werkzeuge und der Individualisierung der Arbeit, wieder ein- gebüſst habe. Nun enthält zwar grade der moderne Fabrikbetrieb wieder stark rhythmische Elemente; allein soweit sie den Arbeiter an die Strenge gleichmäſsig wiederholter Bewegungen binden, haben sie eine ganz andre subjektive Bedeutung, als jene alte Arbeitsrhythmik, da sie sich nicht den inneren Forderungen physiologisch-psychologischer Energetik, sondern denen einer rücksichtslos objektiven, maschinellen Technik anpassen.
Die Entwicklung des Geldwesens folgt dem gleichen Schema. Es zeigt gewisse rhythmische Erscheinungen als eine Art Mittelstufe: aus der chaotischen Zufälligkeit, in der sein erstes Auftreten sich bewegt haben muſs, gelangt es zu jenen, die doch immerhin ein Prinzip und eine sinnvolle Gestaltung aufzeigen, bis es auf weiterer Stufe eine Kontinuität des Sich-Darbietens gewinnt, mit der es sich allen sach- lichen und persönlichen Notwendigkeiten, frei von dem Zwange eines rhythmischen und in höherem Sinn doch zufälligen Schemas, an- schmiegt. Es genügt für unseren Zweck, den Übergang von der zweiten zur dritten Stufe an einigen Beispielen zu zeigen. Noch im 16. Jahrhundert war es selbst an einem Platz so groſsartigen Geld- verkehrs wie Antwerpen fast unmöglich, auſserhalb der regelmäſsigen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0554"n="530"/>
Arbeiter auſserordentlich darunter, daſs jede Absatzstockung den Be-<lb/>
trieb eines Groſsunternehmens viel mehr störte, als sie den vieler<lb/>
kleiner gestört hatte, schon weil die Zunft die Verluste zu teilen<lb/>
pflegte. Früher hatten die Meister in schlechten Zeiten auf Vorrat<lb/>
gearbeitet, jetzt wurden die Arbeiter einfach entlassen; früher waren<lb/>
die Löhne jahrweise durch die Obrigkeit fixiert worden, jetzt führte<lb/>
jeder Preisabschlag zu ihrer Herabsetzung. Unter diesen Umständen,<lb/>
so wird berichtet, zogen viele Arbeiter vor, unter dem alten System<lb/>
weiterzuarbeiten, statt die höheren Löhne des neuen mit der gröſseren<lb/>
Unregelmäſsigkeit der Beschäftigung überhaupt zu bezahlen. So hat<lb/>
allenthalben der Kapitalismus und die wirtschaftliche Individualisierung,<lb/>
mindestens strichweise, die Arbeit als Ganzes — darum auch meist<lb/>
ihre Inhalte! — zu etwas viel Unsichrerem gemacht, viel zufälligeren<lb/>
Konstellationen unterworfen, als sie zur Zeit der Zünfte bestanden, wo<lb/>
die gröſsere Stabilität der Arbeitsbedingungen doch auch den sonstigen<lb/>
Lebensinhalten des Tages und Jahres einen viel festeren Rhythmus<lb/>
verlieh. Und was die Gestaltung des Arbeitsinhaltes betrifft, so haben<lb/>
neuere Untersuchungen nachgewiesen, daſs derselbe früher, insbesondre<lb/>
bei dem primitiven Zusammenarbeiten und der allenthalben vor-<lb/>
kommenden Gesangbegleitung, einen überwiegend rhythmischen Cha-<lb/>
rakter besessen, denselben aber nachher, mit der Vervollkommnung<lb/>
der Werkzeuge und der Individualisierung der Arbeit, wieder ein-<lb/>
gebüſst habe. Nun enthält zwar grade der moderne Fabrikbetrieb<lb/>
wieder stark rhythmische Elemente; allein soweit sie den Arbeiter<lb/>
an die Strenge gleichmäſsig wiederholter Bewegungen binden, haben<lb/>
sie eine ganz andre subjektive Bedeutung, als jene alte Arbeitsrhythmik,<lb/>
da sie sich nicht den inneren Forderungen physiologisch-psychologischer<lb/>
Energetik, sondern denen einer rücksichtslos objektiven, maschinellen<lb/>
Technik anpassen.</p><lb/><p>Die Entwicklung des Geldwesens folgt dem gleichen Schema. Es<lb/>
zeigt gewisse rhythmische Erscheinungen als eine Art Mittelstufe: aus<lb/>
der chaotischen Zufälligkeit, in der sein erstes Auftreten sich bewegt<lb/>
haben muſs, gelangt es zu jenen, die doch immerhin ein Prinzip und<lb/>
eine sinnvolle Gestaltung aufzeigen, bis es auf weiterer Stufe eine<lb/>
Kontinuität des Sich-Darbietens gewinnt, mit der es sich allen sach-<lb/>
lichen und persönlichen Notwendigkeiten, frei von dem Zwange eines<lb/>
rhythmischen und in höherem Sinn doch zufälligen Schemas, an-<lb/>
schmiegt. Es genügt für unseren Zweck, den Übergang von der<lb/>
zweiten zur dritten Stufe an einigen Beispielen zu zeigen. Noch im<lb/>
16. Jahrhundert war es selbst an einem Platz so groſsartigen Geld-<lb/>
verkehrs wie Antwerpen fast unmöglich, auſserhalb der regelmäſsigen<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[530/0554]
Arbeiter auſserordentlich darunter, daſs jede Absatzstockung den Be-
trieb eines Groſsunternehmens viel mehr störte, als sie den vieler
kleiner gestört hatte, schon weil die Zunft die Verluste zu teilen
pflegte. Früher hatten die Meister in schlechten Zeiten auf Vorrat
gearbeitet, jetzt wurden die Arbeiter einfach entlassen; früher waren
die Löhne jahrweise durch die Obrigkeit fixiert worden, jetzt führte
jeder Preisabschlag zu ihrer Herabsetzung. Unter diesen Umständen,
so wird berichtet, zogen viele Arbeiter vor, unter dem alten System
weiterzuarbeiten, statt die höheren Löhne des neuen mit der gröſseren
Unregelmäſsigkeit der Beschäftigung überhaupt zu bezahlen. So hat
allenthalben der Kapitalismus und die wirtschaftliche Individualisierung,
mindestens strichweise, die Arbeit als Ganzes — darum auch meist
ihre Inhalte! — zu etwas viel Unsichrerem gemacht, viel zufälligeren
Konstellationen unterworfen, als sie zur Zeit der Zünfte bestanden, wo
die gröſsere Stabilität der Arbeitsbedingungen doch auch den sonstigen
Lebensinhalten des Tages und Jahres einen viel festeren Rhythmus
verlieh. Und was die Gestaltung des Arbeitsinhaltes betrifft, so haben
neuere Untersuchungen nachgewiesen, daſs derselbe früher, insbesondre
bei dem primitiven Zusammenarbeiten und der allenthalben vor-
kommenden Gesangbegleitung, einen überwiegend rhythmischen Cha-
rakter besessen, denselben aber nachher, mit der Vervollkommnung
der Werkzeuge und der Individualisierung der Arbeit, wieder ein-
gebüſst habe. Nun enthält zwar grade der moderne Fabrikbetrieb
wieder stark rhythmische Elemente; allein soweit sie den Arbeiter
an die Strenge gleichmäſsig wiederholter Bewegungen binden, haben
sie eine ganz andre subjektive Bedeutung, als jene alte Arbeitsrhythmik,
da sie sich nicht den inneren Forderungen physiologisch-psychologischer
Energetik, sondern denen einer rücksichtslos objektiven, maschinellen
Technik anpassen.
Die Entwicklung des Geldwesens folgt dem gleichen Schema. Es
zeigt gewisse rhythmische Erscheinungen als eine Art Mittelstufe: aus
der chaotischen Zufälligkeit, in der sein erstes Auftreten sich bewegt
haben muſs, gelangt es zu jenen, die doch immerhin ein Prinzip und
eine sinnvolle Gestaltung aufzeigen, bis es auf weiterer Stufe eine
Kontinuität des Sich-Darbietens gewinnt, mit der es sich allen sach-
lichen und persönlichen Notwendigkeiten, frei von dem Zwange eines
rhythmischen und in höherem Sinn doch zufälligen Schemas, an-
schmiegt. Es genügt für unseren Zweck, den Übergang von der
zweiten zur dritten Stufe an einigen Beispielen zu zeigen. Noch im
16. Jahrhundert war es selbst an einem Platz so groſsartigen Geld-
verkehrs wie Antwerpen fast unmöglich, auſserhalb der regelmäſsigen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 530. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/554>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.