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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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Arbeiter ausserordentlich darunter, dass jede Absatzstockung den Be-
trieb eines Grossunternehmens viel mehr störte, als sie den vieler
kleiner gestört hatte, schon weil die Zunft die Verluste zu teilen
pflegte. Früher hatten die Meister in schlechten Zeiten auf Vorrat
gearbeitet, jetzt wurden die Arbeiter einfach entlassen; früher waren
die Löhne jahrweise durch die Obrigkeit fixiert worden, jetzt führte
jeder Preisabschlag zu ihrer Herabsetzung. Unter diesen Umständen,
so wird berichtet, zogen viele Arbeiter vor, unter dem alten System
weiterzuarbeiten, statt die höheren Löhne des neuen mit der grösseren
Unregelmässigkeit der Beschäftigung überhaupt zu bezahlen. So hat
allenthalben der Kapitalismus und die wirtschaftliche Individualisierung,
mindestens strichweise, die Arbeit als Ganzes -- darum auch meist
ihre Inhalte! -- zu etwas viel Unsichrerem gemacht, viel zufälligeren
Konstellationen unterworfen, als sie zur Zeit der Zünfte bestanden, wo
die grössere Stabilität der Arbeitsbedingungen doch auch den sonstigen
Lebensinhalten des Tages und Jahres einen viel festeren Rhythmus
verlieh. Und was die Gestaltung des Arbeitsinhaltes betrifft, so haben
neuere Untersuchungen nachgewiesen, dass derselbe früher, insbesondre
bei dem primitiven Zusammenarbeiten und der allenthalben vor-
kommenden Gesangbegleitung, einen überwiegend rhythmischen Cha-
rakter besessen, denselben aber nachher, mit der Vervollkommnung
der Werkzeuge und der Individualisierung der Arbeit, wieder ein-
gebüsst habe. Nun enthält zwar grade der moderne Fabrikbetrieb
wieder stark rhythmische Elemente; allein soweit sie den Arbeiter
an die Strenge gleichmässig wiederholter Bewegungen binden, haben
sie eine ganz andre subjektive Bedeutung, als jene alte Arbeitsrhythmik,
da sie sich nicht den inneren Forderungen physiologisch-psychologischer
Energetik, sondern denen einer rücksichtslos objektiven, maschinellen
Technik anpassen.

Die Entwicklung des Geldwesens folgt dem gleichen Schema. Es
zeigt gewisse rhythmische Erscheinungen als eine Art Mittelstufe: aus
der chaotischen Zufälligkeit, in der sein erstes Auftreten sich bewegt
haben muss, gelangt es zu jenen, die doch immerhin ein Prinzip und
eine sinnvolle Gestaltung aufzeigen, bis es auf weiterer Stufe eine
Kontinuität des Sich-Darbietens gewinnt, mit der es sich allen sach-
lichen und persönlichen Notwendigkeiten, frei von dem Zwange eines
rhythmischen und in höherem Sinn doch zufälligen Schemas, an-
schmiegt. Es genügt für unseren Zweck, den Übergang von der
zweiten zur dritten Stufe an einigen Beispielen zu zeigen. Noch im
16. Jahrhundert war es selbst an einem Platz so grossartigen Geld-
verkehrs wie Antwerpen fast unmöglich, ausserhalb der regelmässigen

Arbeiter auſserordentlich darunter, daſs jede Absatzstockung den Be-
trieb eines Groſsunternehmens viel mehr störte, als sie den vieler
kleiner gestört hatte, schon weil die Zunft die Verluste zu teilen
pflegte. Früher hatten die Meister in schlechten Zeiten auf Vorrat
gearbeitet, jetzt wurden die Arbeiter einfach entlassen; früher waren
die Löhne jahrweise durch die Obrigkeit fixiert worden, jetzt führte
jeder Preisabschlag zu ihrer Herabsetzung. Unter diesen Umständen,
so wird berichtet, zogen viele Arbeiter vor, unter dem alten System
weiterzuarbeiten, statt die höheren Löhne des neuen mit der gröſseren
Unregelmäſsigkeit der Beschäftigung überhaupt zu bezahlen. So hat
allenthalben der Kapitalismus und die wirtschaftliche Individualisierung,
mindestens strichweise, die Arbeit als Ganzes — darum auch meist
ihre Inhalte! — zu etwas viel Unsichrerem gemacht, viel zufälligeren
Konstellationen unterworfen, als sie zur Zeit der Zünfte bestanden, wo
die gröſsere Stabilität der Arbeitsbedingungen doch auch den sonstigen
Lebensinhalten des Tages und Jahres einen viel festeren Rhythmus
verlieh. Und was die Gestaltung des Arbeitsinhaltes betrifft, so haben
neuere Untersuchungen nachgewiesen, daſs derselbe früher, insbesondre
bei dem primitiven Zusammenarbeiten und der allenthalben vor-
kommenden Gesangbegleitung, einen überwiegend rhythmischen Cha-
rakter besessen, denselben aber nachher, mit der Vervollkommnung
der Werkzeuge und der Individualisierung der Arbeit, wieder ein-
gebüſst habe. Nun enthält zwar grade der moderne Fabrikbetrieb
wieder stark rhythmische Elemente; allein soweit sie den Arbeiter
an die Strenge gleichmäſsig wiederholter Bewegungen binden, haben
sie eine ganz andre subjektive Bedeutung, als jene alte Arbeitsrhythmik,
da sie sich nicht den inneren Forderungen physiologisch-psychologischer
Energetik, sondern denen einer rücksichtslos objektiven, maschinellen
Technik anpassen.

Die Entwicklung des Geldwesens folgt dem gleichen Schema. Es
zeigt gewisse rhythmische Erscheinungen als eine Art Mittelstufe: aus
der chaotischen Zufälligkeit, in der sein erstes Auftreten sich bewegt
haben muſs, gelangt es zu jenen, die doch immerhin ein Prinzip und
eine sinnvolle Gestaltung aufzeigen, bis es auf weiterer Stufe eine
Kontinuität des Sich-Darbietens gewinnt, mit der es sich allen sach-
lichen und persönlichen Notwendigkeiten, frei von dem Zwange eines
rhythmischen und in höherem Sinn doch zufälligen Schemas, an-
schmiegt. Es genügt für unseren Zweck, den Übergang von der
zweiten zur dritten Stufe an einigen Beispielen zu zeigen. Noch im
16. Jahrhundert war es selbst an einem Platz so groſsartigen Geld-
verkehrs wie Antwerpen fast unmöglich, auſserhalb der regelmäſsigen

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[530/0554] Arbeiter auſserordentlich darunter, daſs jede Absatzstockung den Be- trieb eines Groſsunternehmens viel mehr störte, als sie den vieler kleiner gestört hatte, schon weil die Zunft die Verluste zu teilen pflegte. Früher hatten die Meister in schlechten Zeiten auf Vorrat gearbeitet, jetzt wurden die Arbeiter einfach entlassen; früher waren die Löhne jahrweise durch die Obrigkeit fixiert worden, jetzt führte jeder Preisabschlag zu ihrer Herabsetzung. Unter diesen Umständen, so wird berichtet, zogen viele Arbeiter vor, unter dem alten System weiterzuarbeiten, statt die höheren Löhne des neuen mit der gröſseren Unregelmäſsigkeit der Beschäftigung überhaupt zu bezahlen. So hat allenthalben der Kapitalismus und die wirtschaftliche Individualisierung, mindestens strichweise, die Arbeit als Ganzes — darum auch meist ihre Inhalte! — zu etwas viel Unsichrerem gemacht, viel zufälligeren Konstellationen unterworfen, als sie zur Zeit der Zünfte bestanden, wo die gröſsere Stabilität der Arbeitsbedingungen doch auch den sonstigen Lebensinhalten des Tages und Jahres einen viel festeren Rhythmus verlieh. Und was die Gestaltung des Arbeitsinhaltes betrifft, so haben neuere Untersuchungen nachgewiesen, daſs derselbe früher, insbesondre bei dem primitiven Zusammenarbeiten und der allenthalben vor- kommenden Gesangbegleitung, einen überwiegend rhythmischen Cha- rakter besessen, denselben aber nachher, mit der Vervollkommnung der Werkzeuge und der Individualisierung der Arbeit, wieder ein- gebüſst habe. Nun enthält zwar grade der moderne Fabrikbetrieb wieder stark rhythmische Elemente; allein soweit sie den Arbeiter an die Strenge gleichmäſsig wiederholter Bewegungen binden, haben sie eine ganz andre subjektive Bedeutung, als jene alte Arbeitsrhythmik, da sie sich nicht den inneren Forderungen physiologisch-psychologischer Energetik, sondern denen einer rücksichtslos objektiven, maschinellen Technik anpassen. Die Entwicklung des Geldwesens folgt dem gleichen Schema. Es zeigt gewisse rhythmische Erscheinungen als eine Art Mittelstufe: aus der chaotischen Zufälligkeit, in der sein erstes Auftreten sich bewegt haben muſs, gelangt es zu jenen, die doch immerhin ein Prinzip und eine sinnvolle Gestaltung aufzeigen, bis es auf weiterer Stufe eine Kontinuität des Sich-Darbietens gewinnt, mit der es sich allen sach- lichen und persönlichen Notwendigkeiten, frei von dem Zwange eines rhythmischen und in höherem Sinn doch zufälligen Schemas, an- schmiegt. Es genügt für unseren Zweck, den Übergang von der zweiten zur dritten Stufe an einigen Beispielen zu zeigen. Noch im 16. Jahrhundert war es selbst an einem Platz so groſsartigen Geld- verkehrs wie Antwerpen fast unmöglich, auſserhalb der regelmäſsigen

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 530. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/554>, abgerufen am 23.11.2024.