beziehe mich hier auf die obige Feststellung: dass in jedem individu- ellen Falle kein Kontrahent einen Preis zahlt, der ihm unter den gegebnen Umständen für das Erworbene zu hoch ist. Wenn in dem Chamissoschen Gedichte der Räuber mit vorgehaltener Pistole den Angefallenen zwingt, ihm Uhr und Ringe für drei Batzen zu verkaufen, so ist diesem unter solchen Umständen -- da er nämlich nur so sein Leben retten kann -- das Eingetauschte wirklich den Preis wert; niemand würde für einen Hungerlohn arbeiten, wenn er nicht in der Lage, in der er sich thatsächlich befindet, diesen Lohn eben dem Nichtarbeiten vorzöge. Der Schein des Paradoxen an der Behauptung von der Äquivalenz von Wert und Preis in jedem individuellen Falle entsteht nur daher, dass in diesen gewisse Vorstellungen von ander- weitigen Äquivalenzen von Wert und Preis hineingebracht werden. Die relative Stabilität der Verhältnisse, von denen die Mehrzahl der Tauschhandlungen bestimmt werden, andererseits die Analogien, die auch das noch schwankende Wertverhältnis nach der Norm bereits bestehender fixieren, bewirken die Vorstellungen: für ein bestimmtes Objekt gehöre sich eben dies und jenes bestimmte andere Objekt als Tauschäquivalent, diese beiden bezw. diese Kreise von Objekten hätten gleiche Wertgrösse, und wenn innormale Umstände uns dies Objekt mit darüber oder darunter gelegenen Gegenwerten austauschen liessen, so fielen eben Wert und Preis auseinander -- obgleich sie thatsächlich in jedem einzelnen Falle unter Berücksichtigung seiner Umstände zusammenfallen. Man vergesse doch nicht, dass die objektive und gerechte Äquivalenz von Wert und Preis, die wir zur Norm der that- sächlichen und singulären machen, auch nur unter ganz bestimmten historischen und technischen Bedingungen gilt und mit der Änderung derselben sofort auseinanderfällt. Zwischen der Norm selbst und den Fällen, die sie als abweichende oder als adäquate charakterisiert, besteht hier also gar kein genereller, sondern sozusagen nur ein numerischer Unterschied -- ungefähr wie man von einem aussergewöhnlich hoch- oder aussergewöhnlich tiefstehenden Individuum sagt, es sei eigentlich gar kein Mensch mehr; während doch dieser Begriff des Menschen nur ein Durchschnitt ist, der seinen normativen Charakter in dem Augenblick verlieren würde, in dem die Majorität der Menschen zu der einen oder der anderen jener Verfassungen herauf oder herunter stiege, welche dann als die allein "menschliche" gälte. Dies einzusehen fordert freilich eine energische Befreiung von eingewurzelten und praktisch durchaus berechtigten Wertvorstellungen. Diese nämlich liegen bei irgend entwickelteren Verhältnissen in zwei Schichten übereinander: die eine gebildet aus den Traditionen des Gesellschaftskreises, der
beziehe mich hier auf die obige Feststellung: daſs in jedem individu- ellen Falle kein Kontrahent einen Preis zahlt, der ihm unter den gegebnen Umständen für das Erworbene zu hoch ist. Wenn in dem Chamissoschen Gedichte der Räuber mit vorgehaltener Pistole den Angefallenen zwingt, ihm Uhr und Ringe für drei Batzen zu verkaufen, so ist diesem unter solchen Umständen — da er nämlich nur so sein Leben retten kann — das Eingetauschte wirklich den Preis wert; niemand würde für einen Hungerlohn arbeiten, wenn er nicht in der Lage, in der er sich thatsächlich befindet, diesen Lohn eben dem Nichtarbeiten vorzöge. Der Schein des Paradoxen an der Behauptung von der Äquivalenz von Wert und Preis in jedem individuellen Falle entsteht nur daher, daſs in diesen gewisse Vorstellungen von ander- weitigen Äquivalenzen von Wert und Preis hineingebracht werden. Die relative Stabilität der Verhältnisse, von denen die Mehrzahl der Tauschhandlungen bestimmt werden, andererseits die Analogien, die auch das noch schwankende Wertverhältnis nach der Norm bereits bestehender fixieren, bewirken die Vorstellungen: für ein bestimmtes Objekt gehöre sich eben dies und jenes bestimmte andere Objekt als Tauschäquivalent, diese beiden bezw. diese Kreise von Objekten hätten gleiche Wertgröſse, und wenn innormale Umstände uns dies Objekt mit darüber oder darunter gelegenen Gegenwerten austauschen lieſsen, so fielen eben Wert und Preis auseinander — obgleich sie thatsächlich in jedem einzelnen Falle unter Berücksichtigung seiner Umstände zusammenfallen. Man vergesse doch nicht, daſs die objektive und gerechte Äquivalenz von Wert und Preis, die wir zur Norm der that- sächlichen und singulären machen, auch nur unter ganz bestimmten historischen und technischen Bedingungen gilt und mit der Änderung derselben sofort auseinanderfällt. Zwischen der Norm selbst und den Fällen, die sie als abweichende oder als adäquate charakterisiert, besteht hier also gar kein genereller, sondern sozusagen nur ein numerischer Unterschied — ungefähr wie man von einem auſsergewöhnlich hoch- oder auſsergewöhnlich tiefstehenden Individuum sagt, es sei eigentlich gar kein Mensch mehr; während doch dieser Begriff des Menschen nur ein Durchschnitt ist, der seinen normativen Charakter in dem Augenblick verlieren würde, in dem die Majorität der Menschen zu der einen oder der anderen jener Verfassungen herauf oder herunter stiege, welche dann als die allein „menschliche“ gälte. Dies einzusehen fordert freilich eine energische Befreiung von eingewurzelten und praktisch durchaus berechtigten Wertvorstellungen. Diese nämlich liegen bei irgend entwickelteren Verhältnissen in zwei Schichten übereinander: die eine gebildet aus den Traditionen des Gesellschaftskreises, der
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beziehe mich hier auf die obige Feststellung: daſs in jedem individu-
ellen Falle kein Kontrahent einen Preis zahlt, der ihm unter den
gegebnen Umständen für das Erworbene zu hoch ist. Wenn in dem
Chamissoschen Gedichte der Räuber mit vorgehaltener Pistole den
Angefallenen zwingt, ihm Uhr und Ringe für drei Batzen zu verkaufen,
so ist diesem unter solchen Umständen — da er nämlich nur so sein
Leben retten kann — das Eingetauschte wirklich den Preis wert;
niemand würde für einen Hungerlohn arbeiten, wenn er nicht in
der Lage, in der er sich thatsächlich befindet, diesen Lohn eben dem
Nichtarbeiten vorzöge. Der Schein des Paradoxen an der Behauptung
von der Äquivalenz von Wert und Preis in jedem individuellen Falle
entsteht nur daher, daſs in diesen gewisse Vorstellungen von ander-
weitigen Äquivalenzen von Wert und Preis hineingebracht werden.
Die relative Stabilität der Verhältnisse, von denen die Mehrzahl der
Tauschhandlungen bestimmt werden, andererseits die Analogien, die
auch das noch schwankende Wertverhältnis nach der Norm bereits
bestehender fixieren, bewirken die Vorstellungen: für ein bestimmtes
Objekt gehöre sich eben dies und jenes bestimmte andere Objekt als
Tauschäquivalent, diese beiden bezw. diese Kreise von Objekten hätten
gleiche Wertgröſse, und wenn innormale Umstände uns dies Objekt
mit darüber oder darunter gelegenen Gegenwerten austauschen lieſsen,
so fielen eben Wert und Preis auseinander — obgleich sie thatsächlich
in jedem einzelnen Falle unter Berücksichtigung seiner Umstände
zusammenfallen. Man vergesse doch nicht, daſs die objektive und
gerechte Äquivalenz von Wert und Preis, die wir zur Norm der that-
sächlichen und singulären machen, auch nur unter ganz bestimmten
historischen und technischen Bedingungen gilt und mit der Änderung
derselben sofort auseinanderfällt. Zwischen der Norm selbst und den
Fällen, die sie als abweichende oder als adäquate charakterisiert, besteht
hier also gar kein genereller, sondern sozusagen nur ein numerischer
Unterschied — ungefähr wie man von einem auſsergewöhnlich hoch-
oder auſsergewöhnlich tiefstehenden Individuum sagt, es sei eigentlich
gar kein Mensch mehr; während doch dieser Begriff des Menschen
nur ein Durchschnitt ist, der seinen normativen Charakter in dem
Augenblick verlieren würde, in dem die Majorität der Menschen zu der
einen oder der anderen jener Verfassungen herauf oder herunter stiege,
welche dann als die allein „menschliche“ gälte. Dies einzusehen fordert
freilich eine energische Befreiung von eingewurzelten und praktisch
durchaus berechtigten Wertvorstellungen. Diese nämlich liegen bei
irgend entwickelteren Verhältnissen in zwei Schichten übereinander:
die eine gebildet aus den Traditionen des Gesellschaftskreises, der
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/74>, abgerufen am 25.11.2024.
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