Soden, Julius von: Alethia. Leipzig, 1796.Erst in dem Fortschritte des Daseyns Wer nie seine Geliebte in den Armen Erſt in dem Fortſchritte des Daſeyns Wer nie ſeine Geliebte in den Armen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0227" n="215"/> <p>Erſt in dem Fortſchritte des Daſeyns<lb/> lernen wir ihre mannichfaltige Schaͤze ken-<lb/> nen, ſo wie dieſes uns die mannichfaltige Sze-<lb/> nen der Freuden, der Kuͤmmerniſſe, der Ab-<lb/> weſenheit, der Sehnſucht, der Thraͤnen,<lb/> des Schmollens, der Eiferſucht des Miß-<lb/> verſtands, der Verſoͤhnung herbei waͤlzt,<lb/> nachdem ſich die Empfindungen der Liebe<lb/> mit immer <hi rendition="#g">neuem</hi> Genuſſe ſchattiren.</p><lb/> <p>Wer nie ſeine Geliebte in den Armen<lb/> eines andern glaubte, und ſie treu fand, nie<lb/> von ihr getrennt und mit ihr wieder verei-<lb/> nigt wurde, nie mit ihr ſchmollte und be-<lb/> reuend oder verzeihend wieder an ihrem<lb/> Halſe hing — wer nicht die unermeßliche<lb/> Ton-Leiter aller gluͤklichen und ſchmerzhaften<lb/> Empfindungen dieſer Leidenſchaft durchwaͤlz-<lb/> te — hat nicht alle Freuden des Lebens ge-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [215/0227]
Erſt in dem Fortſchritte des Daſeyns
lernen wir ihre mannichfaltige Schaͤze ken-
nen, ſo wie dieſes uns die mannichfaltige Sze-
nen der Freuden, der Kuͤmmerniſſe, der Ab-
weſenheit, der Sehnſucht, der Thraͤnen,
des Schmollens, der Eiferſucht des Miß-
verſtands, der Verſoͤhnung herbei waͤlzt,
nachdem ſich die Empfindungen der Liebe
mit immer neuem Genuſſe ſchattiren.
Wer nie ſeine Geliebte in den Armen
eines andern glaubte, und ſie treu fand, nie
von ihr getrennt und mit ihr wieder verei-
nigt wurde, nie mit ihr ſchmollte und be-
reuend oder verzeihend wieder an ihrem
Halſe hing — wer nicht die unermeßliche
Ton-Leiter aller gluͤklichen und ſchmerzhaften
Empfindungen dieſer Leidenſchaft durchwaͤlz-
te — hat nicht alle Freuden des Lebens ge-
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