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Soden, Julius von: Alethia. Leipzig, 1796.

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Dem Weisen ist auch die Anhänglichkeit
an die Hülle des unsterblichen Wesens heilig,
denn sie ist eine höhere Stufe der Empfin-
dung, eine Zartheit und Verfeinerung des
Gefühls, also Tugend. Wenn aber der
Schmerz mit der Jdee ausgespielt hat, daß
der Entflohne noch um ihn ist, weil sein
sinnliches Bild noch existirt -- und wie enge
begränzt nicht Verwesung diesen Spiel-
Raum! -- ist es dann noch vernünftig, diese ge-
liebte Hülle allmählig von Fäulnis und Ge-
würm zerfleischen und zu dem ekelhaftesten
und grauenvollsten Anblik umschaffen zu las-
sen? Jst es dann nicht vernünftiger diese Hül-
le, gleich den Alten, durch die Flammen zu
verzehren und dadurch eine reinliche Masse
der Reste zu sammeln; die uns so theuer sind?
-- Welche süße Wonne mußte es der Schwär-
merei des Schmerzes bei den Griechen und

Dem Weiſen iſt auch die Anhaͤnglichkeit
an die Huͤlle des unſterblichen Weſens heilig,
denn ſie iſt eine hoͤhere Stufe der Empfin-
dung, eine Zartheit und Verfeinerung des
Gefuͤhls, alſo Tugend. Wenn aber der
Schmerz mit der Jdee ausgeſpielt hat, daß
der Entflohne noch um ihn iſt, weil ſein
ſinnliches Bild noch exiſtirt — und wie enge
begraͤnzt nicht Verweſung dieſen Spiel-
Raum! — iſt es dann noch vernuͤnftig, dieſe ge-
liebte Huͤlle allmaͤhlig von Faͤulnis und Ge-
wuͤrm zerfleiſchen und zu dem ekelhafteſten
und grauenvollſten Anblik umſchaffen zu las-
ſen? Jſt es dann nicht vernuͤnftiger dieſe Huͤl-
le, gleich den Alten, durch die Flammen zu
verzehren und dadurch eine reinliche Maſſe
der Reſte zu ſammeln; die uns ſo theuer ſind?
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merei des Schmerzes bei den Griechen und

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[234/0246] Dem Weiſen iſt auch die Anhaͤnglichkeit an die Huͤlle des unſterblichen Weſens heilig, denn ſie iſt eine hoͤhere Stufe der Empfin- dung, eine Zartheit und Verfeinerung des Gefuͤhls, alſo Tugend. Wenn aber der Schmerz mit der Jdee ausgeſpielt hat, daß der Entflohne noch um ihn iſt, weil ſein ſinnliches Bild noch exiſtirt — und wie enge begraͤnzt nicht Verweſung dieſen Spiel- Raum! — iſt es dann noch vernuͤnftig, dieſe ge- liebte Huͤlle allmaͤhlig von Faͤulnis und Ge- wuͤrm zerfleiſchen und zu dem ekelhafteſten und grauenvollſten Anblik umſchaffen zu las- ſen? Jſt es dann nicht vernuͤnftiger dieſe Huͤl- le, gleich den Alten, durch die Flammen zu verzehren und dadurch eine reinliche Maſſe der Reſte zu ſammeln; die uns ſo theuer ſind? — Welche ſuͤße Wonne mußte es der Schwaͤr- merei des Schmerzes bei den Griechen und

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Zitationshilfe: Soden, Julius von: Alethia. Leipzig, 1796, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/soden_alethia_1796/246>, abgerufen am 23.11.2024.