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[Spalding, Johann Joachim]: Betrachtung über die Bestimmung des Menschen. 3. Aufl. Berlin, 1749.

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mir redenden empfindet, der diese Empfindungen unter sich
vergleicht, der eine der andern vorziehet. Jch bin mir gar zu
klar bewußt, daß es nicht unser viele sind, davon einer diesen,
der andere jenen Eindruck hat, die sie sich etwa einander
mittheileten, und daß also dieß ich keine Zusammensetzung
von mehrern Theilen seyn kann. Jch weiß freylich nicht, wie
es damit weiter eigentlich bewandt ist; allein dagegen weiß
ich auch eben so wenig, ob und was die äussern, theilbaren,
körperlichen Dinge sind, davon ich die Vorstellungen habe.
Wenigstens bin ich selbst mir mehr bekannt, als jenes alles,
und ich kann daher mit einer vernünftigen Zuverläßigkeit aus
dem vorigen schliessen, daß dasjenige, was eigentlich ich bin,
nicht nothwendig der Vertilgung mit unterworfen seyn müsse,
die meinen Leib dahin reisset.

Wie sehr wird nun nicht durch diese grosse Erwartung
mein Wehrt und meine Bestimmung erhöhet? Jch erkenne
nunmehr, daß ich zu einer ganz andern Klasse von Dingen
gehöre, als diejenigen sind, die vor meinen Augen entstehen,
sich verwandeln und vergehen; und daß dieses sichtbare Leben
nicht den ganzen Zweck meines Daseyns erschöpfe. Jch bin
also für ein anderes Leben gemacht. Die gegenwärtige Zeit
ist nur der Anfang meiner Dauer; es ist meine erste Kind-
heit, worin ich zu der Ewigkeit erzogen werde; Tage der Zu-
bereitung, die mich zu einem neuen und edlern Zustande ge-
schickt machen sollen.

Aus diesem Begriff von meinem wahren und ganzen
Leben will ich lernen, das itzige recht zu schätzen. Jch will
nie das Verhältniß vergessen, worin diese wenigen Tage
gegen die Ewigkeit stehen, die ich durch zu leben habe. Die
guten und bösen Begegnisse der gegenwärtigen Welt verlie-
ren, indem ich sie von dieser Seite betrachte, in meinen Au-
gen alles ihr Gewicht. Ansehen, Ruhm, Macht, Siege und
Kronen sind ein kurzes Spiel der menschlichen Eitelkeit, und

sind



mir redenden empfindet, der dieſe Empfindungen unter ſich
vergleicht, der eine der andern vorziehet. Jch bin mir gar zu
klar bewußt, daß es nicht unſer viele ſind, davon einer dieſen,
der andere jenen Eindruck hat, die ſie ſich etwa einander
mittheileten, und daß alſo dieß ich keine Zuſammenſetzung
von mehrern Theilen ſeyn kann. Jch weiß freylich nicht, wie
es damit weiter eigentlich bewandt iſt; allein dagegen weiß
ich auch eben ſo wenig, ob und was die aͤuſſern, theilbaren,
koͤrperlichen Dinge ſind, davon ich die Vorſtellungen habe.
Wenigſtens bin ich ſelbſt mir mehr bekannt, als jenes alles,
und ich kann daher mit einer vernuͤnftigen Zuverlaͤßigkeit aus
dem vorigen ſchlieſſen, daß dasjenige, was eigentlich ich bin,
nicht nothwendig der Vertilgung mit unterworfen ſeyn muͤſſe,
die meinen Leib dahin reiſſet.

Wie ſehr wird nun nicht durch dieſe groſſe Erwartung
mein Wehrt und meine Beſtimmung erhoͤhet? Jch erkenne
nunmehr, daß ich zu einer ganz andern Klaſſe von Dingen
gehoͤre, als diejenigen ſind, die vor meinen Augen entſtehen,
ſich verwandeln und vergehen; und daß dieſes ſichtbare Leben
nicht den ganzen Zweck meines Daſeyns erſchoͤpfe. Jch bin
alſo fuͤr ein anderes Leben gemacht. Die gegenwaͤrtige Zeit
iſt nur der Anfang meiner Dauer; es iſt meine erſte Kind-
heit, worin ich zu der Ewigkeit erzogen werde; Tage der Zu-
bereitung, die mich zu einem neuen und edlern Zuſtande ge-
ſchickt machen ſollen.

Aus dieſem Begriff von meinem wahren und ganzen
Leben will ich lernen, das itzige recht zu ſchaͤtzen. Jch will
nie das Verhaͤltniß vergeſſen, worin dieſe wenigen Tage
gegen die Ewigkeit ſtehen, die ich durch zu leben habe. Die
guten und boͤſen Begegniſſe der gegenwaͤrtigen Welt verlie-
ren, indem ich ſie von dieſer Seite betrachte, in meinen Au-
gen alles ihr Gewicht. Anſehen, Ruhm, Macht, Siege und
Kronen ſind ein kurzes Spiel der menſchlichen Eitelkeit, und

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[23/0033] mir redenden empfindet, der dieſe Empfindungen unter ſich vergleicht, der eine der andern vorziehet. Jch bin mir gar zu klar bewußt, daß es nicht unſer viele ſind, davon einer dieſen, der andere jenen Eindruck hat, die ſie ſich etwa einander mittheileten, und daß alſo dieß ich keine Zuſammenſetzung von mehrern Theilen ſeyn kann. Jch weiß freylich nicht, wie es damit weiter eigentlich bewandt iſt; allein dagegen weiß ich auch eben ſo wenig, ob und was die aͤuſſern, theilbaren, koͤrperlichen Dinge ſind, davon ich die Vorſtellungen habe. Wenigſtens bin ich ſelbſt mir mehr bekannt, als jenes alles, und ich kann daher mit einer vernuͤnftigen Zuverlaͤßigkeit aus dem vorigen ſchlieſſen, daß dasjenige, was eigentlich ich bin, nicht nothwendig der Vertilgung mit unterworfen ſeyn muͤſſe, die meinen Leib dahin reiſſet. Wie ſehr wird nun nicht durch dieſe groſſe Erwartung mein Wehrt und meine Beſtimmung erhoͤhet? Jch erkenne nunmehr, daß ich zu einer ganz andern Klaſſe von Dingen gehoͤre, als diejenigen ſind, die vor meinen Augen entſtehen, ſich verwandeln und vergehen; und daß dieſes ſichtbare Leben nicht den ganzen Zweck meines Daſeyns erſchoͤpfe. Jch bin alſo fuͤr ein anderes Leben gemacht. Die gegenwaͤrtige Zeit iſt nur der Anfang meiner Dauer; es iſt meine erſte Kind- heit, worin ich zu der Ewigkeit erzogen werde; Tage der Zu- bereitung, die mich zu einem neuen und edlern Zuſtande ge- ſchickt machen ſollen. Aus dieſem Begriff von meinem wahren und ganzen Leben will ich lernen, das itzige recht zu ſchaͤtzen. Jch will nie das Verhaͤltniß vergeſſen, worin dieſe wenigen Tage gegen die Ewigkeit ſtehen, die ich durch zu leben habe. Die guten und boͤſen Begegniſſe der gegenwaͤrtigen Welt verlie- ren, indem ich ſie von dieſer Seite betrachte, in meinen Au- gen alles ihr Gewicht. Anſehen, Ruhm, Macht, Siege und Kronen ſind ein kurzes Spiel der menſchlichen Eitelkeit, und ſind

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Zitationshilfe: [Spalding, Johann Joachim]: Betrachtung über die Bestimmung des Menschen. 3. Aufl. Berlin, 1749, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spalding_bestimmung_1749/33>, abgerufen am 21.11.2024.