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[Spalding, Johann Joachim]: Betrachtung über die Bestimmung des Menschen. 3. Aufl. Berlin, 1749.

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man würde endlich einmal die Christen mit der unangenehmen
Wiederholung derselben verschonen. Es ist hier der Ort
nicht, die Beweise umständlich beyzubringen, womit, abson-
derlich in den neuern Zeiten, die christliche Offenbarung wider
diesen Einwurf gerechtfertiget worden; ich will nur einiger
derjenigen überhaupt gedenken, welche mir als die kläresten
und kürzesten vorkommen, und welche, ohne dem natürlichen
Glauben an Gott das geringste von seinem Wehrte zu beneh-
men, einen jeden vernünftigen und ehrlichen Mann zu der
aufrichtigsten und tiefsten Hochachtung gegen die Lehre Chri-
sti bewegen müssen. Man mag alsdann zusehen, mit was
für einer Benennung man den Geist der Leichtsinnigkeit und
der Verachtung, der sich in diesem Fall so vielfältig äussert,
zu belegen habe.

Wer die Billigkeit und Unpartheylichkeit hat, die Religion
der H. Schrist in ihrem wesentlichen und in ihrem Haupt-
zweck aufmerksam zu erwägen, der wird so fort finden, daß
diese das schönste Zeugniß und der stärkste Beyfall ist, der
den hieher gehörigen Wahrheiten der Natur und Vernunft
gegeben werden kann. Die allgemeine Liebe gegen Gott,
gegen die Menschen, und gegen das Gute, die Besserung und
Glückseligkeit der unsterblichen Sele. Das ist augenschein-
lich das emsigste Geschäfte der Stister unsers Glaubens.
Mit welcher Klarheit, mit welchem Ernst, mit welcher ein-
nehmenden Kraft zeigen sie uns nicht unsern Zweck und un-
sere Schuldigkeit! Lebendig von der natürlichen Religion
durchdrungen seyn, und doch eine Glaubenslehre nicht hoch-
achten, die eben das sagt, was die natürliche Religion, und
die es so deutlich, so vollständig, so rührend sagt, ich gestehe
es, das ist mir unbegreiflich.

Aber das Evangelium kann ohne Zweifel aus einem noch
stärkern Grunde auf die Hochachtung derjenigen Anspruch
machen, denen die natürliche Religion wehrt ist. Man hat

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man wuͤrde endlich einmal die Chriſten mit der unangenehmen
Wiederholung derſelben verſchonen. Es iſt hier der Ort
nicht, die Beweiſe umſtaͤndlich beyzubringen, womit, abſon-
derlich in den neuern Zeiten, die chriſtliche Offenbarung wider
dieſen Einwurf gerechtfertiget worden; ich will nur einiger
derjenigen uͤberhaupt gedenken, welche mir als die klaͤreſten
und kuͤrzeſten vorkommen, und welche, ohne dem natuͤrlichen
Glauben an Gott das geringſte von ſeinem Wehrte zu beneh-
men, einen jeden vernuͤnftigen und ehrlichen Mann zu der
aufrichtigſten und tiefſten Hochachtung gegen die Lehre Chri-
ſti bewegen muͤſſen. Man mag alsdann zuſehen, mit was
fuͤr einer Benennung man den Geiſt der Leichtſinnigkeit und
der Verachtung, der ſich in dieſem Fall ſo vielfaͤltig aͤuſſert,
zu belegen habe.

Wer die Billigkeit und Unpartheylichkeit hat, die Religion
der H. Schriſt in ihrem weſentlichen und in ihrem Haupt-
zweck aufmerkſam zu erwaͤgen, der wird ſo fort finden, daß
dieſe das ſchoͤnſte Zeugniß und der ſtaͤrkſte Beyfall iſt, der
den hieher gehoͤrigen Wahrheiten der Natur und Vernunft
gegeben werden kann. Die allgemeine Liebe gegen Gott,
gegen die Menſchen, und gegen das Gute, die Beſſerung und
Gluͤckſeligkeit der unſterblichen Sele. Das iſt augenſchein-
lich das emſigſte Geſchaͤfte der Stiſter unſers Glaubens.
Mit welcher Klarheit, mit welchem Ernſt, mit welcher ein-
nehmenden Kraft zeigen ſie uns nicht unſern Zweck und un-
ſere Schuldigkeit! Lebendig von der natuͤrlichen Religion
durchdrungen ſeyn, und doch eine Glaubenslehre nicht hoch-
achten, die eben das ſagt, was die natuͤrliche Religion, und
die es ſo deutlich, ſo vollſtaͤndig, ſo ruͤhrend ſagt, ich geſtehe
es, das iſt mir unbegreiflich.

Aber das Evangelium kann ohne Zweifel aus einem noch
ſtaͤrkern Grunde auf die Hochachtung derjenigen Anſpruch
machen, denen die natuͤrliche Religion wehrt iſt. Man hat

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[27/0037] man wuͤrde endlich einmal die Chriſten mit der unangenehmen Wiederholung derſelben verſchonen. Es iſt hier der Ort nicht, die Beweiſe umſtaͤndlich beyzubringen, womit, abſon- derlich in den neuern Zeiten, die chriſtliche Offenbarung wider dieſen Einwurf gerechtfertiget worden; ich will nur einiger derjenigen uͤberhaupt gedenken, welche mir als die klaͤreſten und kuͤrzeſten vorkommen, und welche, ohne dem natuͤrlichen Glauben an Gott das geringſte von ſeinem Wehrte zu beneh- men, einen jeden vernuͤnftigen und ehrlichen Mann zu der aufrichtigſten und tiefſten Hochachtung gegen die Lehre Chri- ſti bewegen muͤſſen. Man mag alsdann zuſehen, mit was fuͤr einer Benennung man den Geiſt der Leichtſinnigkeit und der Verachtung, der ſich in dieſem Fall ſo vielfaͤltig aͤuſſert, zu belegen habe. Wer die Billigkeit und Unpartheylichkeit hat, die Religion der H. Schriſt in ihrem weſentlichen und in ihrem Haupt- zweck aufmerkſam zu erwaͤgen, der wird ſo fort finden, daß dieſe das ſchoͤnſte Zeugniß und der ſtaͤrkſte Beyfall iſt, der den hieher gehoͤrigen Wahrheiten der Natur und Vernunft gegeben werden kann. Die allgemeine Liebe gegen Gott, gegen die Menſchen, und gegen das Gute, die Beſſerung und Gluͤckſeligkeit der unſterblichen Sele. Das iſt augenſchein- lich das emſigſte Geſchaͤfte der Stiſter unſers Glaubens. Mit welcher Klarheit, mit welchem Ernſt, mit welcher ein- nehmenden Kraft zeigen ſie uns nicht unſern Zweck und un- ſere Schuldigkeit! Lebendig von der natuͤrlichen Religion durchdrungen ſeyn, und doch eine Glaubenslehre nicht hoch- achten, die eben das ſagt, was die natuͤrliche Religion, und die es ſo deutlich, ſo vollſtaͤndig, ſo ruͤhrend ſagt, ich geſtehe es, das iſt mir unbegreiflich. Aber das Evangelium kann ohne Zweifel aus einem noch ſtaͤrkern Grunde auf die Hochachtung derjenigen Anſpruch machen, denen die natuͤrliche Religion wehrt iſt. Man hat es D 2

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Zitationshilfe: [Spalding, Johann Joachim]: Betrachtung über die Bestimmung des Menschen. 3. Aufl. Berlin, 1749, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spalding_bestimmung_1749/37>, abgerufen am 24.04.2024.