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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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ren müssen/ welche ihre kirche annoch vor glieder erkennet) hände in solcher sache
bindet/ so wird es schwehr/ wie man sich zu verhalten habe/ damit man sein gewis-
sen nicht verletze. Daher 3. rathe ich/ daß der beichtvater Georgio ernstlich zu-
spreche/ und ihm die gefahr seiner seelen vor augen stelle: wie zwahr die weltliche
recht ihm den processum injuriarum verstatteten/ und man ihn deswegen nicht of-
fentlich aus der gemeinde ausschliessen könte/ aber sie setzeten deswegen sein gewis-
sen nicht in ruhe/ sondern so lang er also solche rach proceße fortführte/ seye er stäts
als ein hasser und also todtschläger seines bruders in GOttes ungnade und zorn/
wolte er aber seine gabe auf den altar opffern/ so vielmehr GOttes gnade daselbs
zu seiner seelen trost holen/ müsse er sich mit seinem bruder also versöhnen/ daß er al-
le rache fallen lasse (die behaltung seiner ehre und daß dero verletzung abgewendet
werde/ ist eine andre sache/ und einem Christen nicht verboten aber die vindicatio-
nem injuriae
nicht) und denselben wiederum von grund der seelen liebe. Dahero
stehe ihm frey/ zu wehlen was er wolle/ nemlich ob er lieber seine seele dahin geben/
und verliehren oder seine rache fallen lassen wolle. Wird Georgius durch GOt-
teskrafft gewonnen/ so ist der sach gerathen. Bleibt er aber dabey/ und will sein
recht ausführen mit bezeugung/ daß er in seinem hertzen keinen groll gegen Carolum
haben wolle/ so wird 4. ihm vorzustellen seyn/ man müsse ihm wohl zwahr mit seuff-
tzen wegen der eußerlichen verfassung des verwirreten kirchen wesens zu der commu-
nion
zu lassen/ man stelle ihm aber nochmahls zweyerley vor/ eines theils/ das är-
gernüß der gemeinde/ welches auch auf seine verantwortung fallen werde/ andern
theils/ ob er wohl sein hertz von feindschafft und haß frey zu haben bezeuge/ so zu
glauben schwehr werde/ daß er dennoch damit GOtt/ der in dem innersten grund
des hertzens sehe/ was liebe oder haß in demselben seye/ nicht werde betriegen kön-
nen. Vielmehr bleibe gewiß/ dafern wahrhafftig die bitterkeit und haß in dem
hertzen noch übrig seye/ welches der beichtvater aus behaltung des proceßus allzu
sehr sorgen müsse/ werde ihm die absolution, welche in ihrer natur/ wie sie von
menschen gesprochen wird/ allezeit die bedingung eines bußfertigen hertzens in sich
fasset/ und dahero wie offt sie gesprochen wird/ an keinem unbußfertigen kräfftig ist/
und die geniessung des heiligen abendmahls nichts nutzen/ vielmehr seine sünde (wie
dorten als Judas auch das nachtmahl unwürdig empfienge) desto mehr vergrös-
ser. Dahero man es endlich seiner verantwortung überlasse/ und wo er solchen ver-
warnungen nicht platz gebe/ weil in die hertzen der menschen zu sehen nicht unsers
vermögens seye/ ihn der sich als einen bußfertigen den worten nach darstelle/ admit-
ti
ren werde/ aber wo sein hertz also/ wie mans aus dem eusserlichen ansehe/ be-
wandt/ an seiner darin begehenden sünde nicht theil haben wolle. Hiemit hoffe/
solle dem gewissen/ sonderlich da hertzliches gebet zu GOtt/ welcher die hertzen al-
lein ändern kan/ zugleich geschiehet/ ein gnüge geschehen. Der grosse GOtt ver-
leihe auch in dieser sache geliebtem bruder den Geist der weißheit und der krafft sei-

nen

Das andere Capitel.
ren muͤſſen/ welche ihre kirche annoch vor glieder erkennet) haͤnde in ſolcher ſache
bindet/ ſo wird es ſchwehr/ wie man ſich zu verhalten habe/ damit man ſein gewiſ-
ſen nicht verletze. Daher 3. rathe ich/ daß der beichtvater Georgio ernſtlich zu-
ſpreche/ und ihm die gefahr ſeiner ſeelen vor augen ſtelle: wie zwahr die weltliche
recht ihm den proceſſum injuriarum verſtatteten/ und man ihn deswegen nicht of-
fentlich aus der gemeinde ausſchlieſſen koͤnte/ aber ſie ſetzeten deswegen ſein gewiſ-
ſen nicht in ruhe/ ſondern ſo lang er alſo ſolche rach proceße fortfuͤhrte/ ſeye er ſtaͤts
als ein haſſer und alſo todtſchlaͤger ſeines bruders in GOttes ungnade und zorn/
wolte er aber ſeine gabe auf den altar opffern/ ſo vielmehr GOttes gnade daſelbs
zu ſeiner ſeelen troſt holen/ muͤſſe er ſich mit ſeinem bruder alſo verſoͤhnen/ daß er al-
le rache fallen laſſe (die behaltung ſeiner ehre und daß dero verletzung abgewendet
werde/ iſt eine andre ſache/ und einem Chriſten nicht verboten aber die vindicatio-
nem injuriæ
nicht) und denſelben wiederum von grund der ſeelen liebe. Dahero
ſtehe ihm frey/ zu wehlen was er wolle/ nemlich ob er lieber ſeine ſeele dahin geben/
und verliehren oder ſeine rache fallen laſſen wolle. Wird Georgius durch GOt-
teskrafft gewonnen/ ſo iſt der ſach gerathen. Bleibt er aber dabey/ und will ſein
recht ausfuͤhren mit bezeugung/ daß er in ſeinem hertzen keinen groll gegen Carolum
haben wolle/ ſo wird 4. ihm vorzuſtellen ſeyn/ man muͤſſe ihm wohl zwahr mit ſeuff-
tzen wegen der eußerlichen verfaſſung des verwirꝛeten kirchen weſens zu der commu-
nion
zu laſſen/ man ſtelle ihm aber nochmahls zweyerley vor/ eines theils/ das aͤr-
gernuͤß der gemeinde/ welches auch auf ſeine verantwortung fallen werde/ andern
theils/ ob er wohl ſein hertz von feindſchafft und haß frey zu haben bezeuge/ ſo zu
glauben ſchwehr werde/ daß er dennoch damit GOtt/ der in dem innerſten grund
des hertzens ſehe/ was liebe oder haß in demſelben ſeye/ nicht werde betriegen koͤn-
nen. Vielmehr bleibe gewiß/ dafern wahrhafftig die bitterkeit und haß in dem
hertzen noch uͤbrig ſeye/ welches der beichtvater aus behaltung des proceßus allzu
ſehr ſorgen muͤſſe/ werde ihm die abſolution, welche in ihrer natur/ wie ſie von
menſchen geſprochen wird/ allezeit die bedingung eines bußfertigen hertzens in ſich
faſſet/ und dahero wie offt ſie geſprochen wird/ an keinem unbußfertigen kraͤfftig iſt/
und die genieſſung des heiligen abendmahls nichts nutzen/ vielmehr ſeine ſuͤnde (wie
dorten als Judas auch das nachtmahl unwuͤrdig empfienge) deſto mehr vergroͤſ-
ſer. Dahero man es endlich ſeiner verantwortung uͤberlaſſe/ und wo er ſolchen ver-
warnungen nicht platz gebe/ weil in die hertzen der menſchen zu ſehen nicht unſers
vermoͤgens ſeye/ ihn der ſich als einen bußfertigen den worten nach darſtelle/ admit-
ti
ren werde/ aber wo ſein hertz alſo/ wie mans aus dem euſſerlichen anſehe/ be-
wandt/ an ſeiner darin begehenden ſuͤnde nicht theil haben wolle. Hiemit hoffe/
ſolle dem gewiſſen/ ſonderlich da hertzliches gebet zu GOtt/ welcher die hertzen al-
lein aͤndern kan/ zugleich geſchiehet/ ein gnuͤge geſchehen. Der groſſe GOtt ver-
leihe auch in dieſer ſache geliebtem bruder den Geiſt der weißheit und der krafft ſei-

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[216/1016] Das andere Capitel. ren muͤſſen/ welche ihre kirche annoch vor glieder erkennet) haͤnde in ſolcher ſache bindet/ ſo wird es ſchwehr/ wie man ſich zu verhalten habe/ damit man ſein gewiſ- ſen nicht verletze. Daher 3. rathe ich/ daß der beichtvater Georgio ernſtlich zu- ſpreche/ und ihm die gefahr ſeiner ſeelen vor augen ſtelle: wie zwahr die weltliche recht ihm den proceſſum injuriarum verſtatteten/ und man ihn deswegen nicht of- fentlich aus der gemeinde ausſchlieſſen koͤnte/ aber ſie ſetzeten deswegen ſein gewiſ- ſen nicht in ruhe/ ſondern ſo lang er alſo ſolche rach proceße fortfuͤhrte/ ſeye er ſtaͤts als ein haſſer und alſo todtſchlaͤger ſeines bruders in GOttes ungnade und zorn/ wolte er aber ſeine gabe auf den altar opffern/ ſo vielmehr GOttes gnade daſelbs zu ſeiner ſeelen troſt holen/ muͤſſe er ſich mit ſeinem bruder alſo verſoͤhnen/ daß er al- le rache fallen laſſe (die behaltung ſeiner ehre und daß dero verletzung abgewendet werde/ iſt eine andre ſache/ und einem Chriſten nicht verboten aber die vindicatio- nem injuriæ nicht) und denſelben wiederum von grund der ſeelen liebe. Dahero ſtehe ihm frey/ zu wehlen was er wolle/ nemlich ob er lieber ſeine ſeele dahin geben/ und verliehren oder ſeine rache fallen laſſen wolle. Wird Georgius durch GOt- teskrafft gewonnen/ ſo iſt der ſach gerathen. Bleibt er aber dabey/ und will ſein recht ausfuͤhren mit bezeugung/ daß er in ſeinem hertzen keinen groll gegen Carolum haben wolle/ ſo wird 4. ihm vorzuſtellen ſeyn/ man muͤſſe ihm wohl zwahr mit ſeuff- tzen wegen der eußerlichen verfaſſung des verwirꝛeten kirchen weſens zu der commu- nion zu laſſen/ man ſtelle ihm aber nochmahls zweyerley vor/ eines theils/ das aͤr- gernuͤß der gemeinde/ welches auch auf ſeine verantwortung fallen werde/ andern theils/ ob er wohl ſein hertz von feindſchafft und haß frey zu haben bezeuge/ ſo zu glauben ſchwehr werde/ daß er dennoch damit GOtt/ der in dem innerſten grund des hertzens ſehe/ was liebe oder haß in demſelben ſeye/ nicht werde betriegen koͤn- nen. Vielmehr bleibe gewiß/ dafern wahrhafftig die bitterkeit und haß in dem hertzen noch uͤbrig ſeye/ welches der beichtvater aus behaltung des proceßus allzu ſehr ſorgen muͤſſe/ werde ihm die abſolution, welche in ihrer natur/ wie ſie von menſchen geſprochen wird/ allezeit die bedingung eines bußfertigen hertzens in ſich faſſet/ und dahero wie offt ſie geſprochen wird/ an keinem unbußfertigen kraͤfftig iſt/ und die genieſſung des heiligen abendmahls nichts nutzen/ vielmehr ſeine ſuͤnde (wie dorten als Judas auch das nachtmahl unwuͤrdig empfienge) deſto mehr vergroͤſ- ſer. Dahero man es endlich ſeiner verantwortung uͤberlaſſe/ und wo er ſolchen ver- warnungen nicht platz gebe/ weil in die hertzen der menſchen zu ſehen nicht unſers vermoͤgens ſeye/ ihn der ſich als einen bußfertigen den worten nach darſtelle/ admit- tiren werde/ aber wo ſein hertz alſo/ wie mans aus dem euſſerlichen anſehe/ be- wandt/ an ſeiner darin begehenden ſuͤnde nicht theil haben wolle. Hiemit hoffe/ ſolle dem gewiſſen/ ſonderlich da hertzliches gebet zu GOtt/ welcher die hertzen al- lein aͤndern kan/ zugleich geſchiehet/ ein gnuͤge geſchehen. Der groſſe GOtt ver- leihe auch in dieſer ſache geliebtem bruder den Geiſt der weißheit und der krafft ſei- nen

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/1016>, abgerufen am 27.11.2024.