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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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nicht/ sondern erführe sie erst aus der bekäntnüß der reae, daher die jenige/ so damit
durch ihre bekäntnüß der warheit der dirne vor der Obrigkeit kund werden wird/ sich
gar nicht gegen den beicht-vater/ deme sie ja selbs nichts geoffenbahret/ be-
schwehren kan. Wäre aber jenes/ so hätten sie auch nichts zu klagen/ dann
sie nicht nur allein solche that der schwängerung nicht gestanden/ vielmehr sie
geleugnet/ sondern ist ihnen/ austrücklich vorgesagt worden/ daß man der Ob-
rigkeit/ so sie anderwertlich hie die sache gewahr würde/ nichts begeben kön-
ne. Wäre es aber sache/ daß sie bloß ein individuum vagum oder unbekan-
ten namen genennet/ so fände ich auch nicht dringende ursachen/ daß sie nicht
anders als mit verbindung der manifestation vor der Obrigkeit möchte absol-
vi
ret werden/ ohn allein daß doch dieser verspruch nothwendig wäre/ wo sie
nochmahl vor der Obrigkeit/ da dieselbe etwas gewahr würde/ solte gefragt
werden/ als dann nicht wider aufs neue zu ligen/ sondern GOtt die ehre zu
geben. Dieses letztere ist zu dem vorsatz nicht weiter zu sündigen allerdings
nothwendig: Nicht aber sehe ich es gleicher massen nöthig/ daß sie sich von selb-
sten nochmahl der Obrigkeit sistire/ und die bekäntnüß ändern solte. Wie ich
auch weder ausdrückliches göttliches gebot solcher nothwendigkeit noch eine
bündige consequenz daraus sehe. So redet der S. D. Schmidt in der an-
gezogenen 28. gewissens-predigt sehr behutsam/ daß ich davor achte/ er
solte uns in unserem casu nicht entgegen gehen: Was die bekantnüß von an-
dern anlangt/ davon es doch gleichwohl meistens hier geredet ist/ so
kommt die meiste schwehrigkeit der sünden dahin/ daß der unschuldige
theil darüber leyden/ und der schuldige in seiner boßheit gestärcket wür-
de/ oder da sonsten sonderlich GOttes ehre oder lästerung/ des neben-
menschen besserung oder nachtheil daran hasstet.
Hie finde ich aber
keines unter allen/ dann was des unschuldigen schade anlangt/ ist dorten be-
reits bedinget/ daß in solchem fall derselbige wiederum schadloß gehalten wer-
den müsste: eine sonderliche stärckung der boßheit des schuldig/ sihe ich eben
auch nicht/ wie dann die dirne bey dem Pfarrherrn den rechtschuldigen zu be-
kennen/ und dieser alsdann zu sorgen hat/ daß seinem gewissen gerathen wer-
de. Nechst dem sehe ich auchs nichts sonderliches/ daß GOttes ehre oder
des nechsten besserung hierinnen periclitire. Was aber in S. D. Schmidts
predigt anlangt die nöthige bekäntnüß von seiner eignen sünde vor der Obrig-
keit/ so triffts wiederum unsern casum nicht so eigentlich; Dann hie die dirne
ihren fall bekennen muß/ der sich selbs offenbahret hat/ und ist nur hie eine
verschweigung gewisser und etwa gravirender umstände. Wolte also davor
halten/ wo dem seligen lehrer dieser casus mit allen diesen umständen vorge-
kommen/ so solte er eine von selbs thuende neue anmeldung nicht eben nöthig
erachtet/ oder die begangene falschheit vor eine solche sünde geschätzet haben/

wel-

Das andere Capitel.
nicht/ ſondern erfuͤhre ſie erſt aus der bekaͤntnuͤß der reæ, daher die jenige/ ſo damit
durch ihre bekaͤntnuͤß der warheit der dirne vor der Obrigkeit kund werden wird/ ſich
gar nicht gegen den beicht-vater/ deme ſie ja ſelbs nichts geoffenbahret/ be-
ſchwehren kan. Waͤre aber jenes/ ſo haͤtten ſie auch nichts zu klagen/ dann
ſie nicht nur allein ſolche that der ſchwaͤngerung nicht geſtanden/ vielmehr ſie
geleugnet/ ſondern iſt ihnen/ austruͤcklich vorgeſagt worden/ daß man der Ob-
rigkeit/ ſo ſie anderwertlich hie die ſache gewahr wuͤrde/ nichts begeben koͤn-
ne. Waͤre es aber ſache/ daß ſie bloß ein individuum vagum oder unbekan-
ten namen genennet/ ſo faͤnde ich auch nicht dringende urſachen/ daß ſie nicht
anders als mit verbindung der manifeſtation vor der Obrigkeit moͤchte abſol-
vi
ret werden/ ohn allein daß doch dieſer verſpruch nothwendig waͤre/ wo ſie
nochmahl vor der Obrigkeit/ da dieſelbe etwas gewahr wuͤrde/ ſolte gefragt
werden/ als dann nicht wider aufs neue zu ligen/ ſondern GOtt die ehre zu
geben. Dieſes letztere iſt zu dem vorſatz nicht weiter zu ſuͤndigen allerdings
nothwendig: Nicht aber ſehe ich es gleicher maſſen noͤthig/ daß ſie ſich von ſelb-
ſten nochmahl der Obrigkeit ſiſtire/ und die bekaͤntnuͤß aͤndern ſolte. Wie ich
auch weder ausdruͤckliches goͤttliches gebot ſolcher nothwendigkeit noch eine
buͤndige conſequenz daraus ſehe. So redet der S. D. Schmidt in der an-
gezogenen 28. gewiſſens-predigt ſehr behutſam/ daß ich davor achte/ er
ſolte uns in unſerem caſu nicht entgegen gehen: Was die bekantnuͤß von an-
dern anlangt/ davon es doch gleichwohl meiſtens hier geredet iſt/ ſo
kommt die meiſte ſchwehrigkeit der ſuͤnden dahin/ daß der unſchuldige
theil daruͤber leyden/ und der ſchuldige in ſeiner boßheit geſtaͤrcket wuͤr-
de/ oder da ſonſten ſonderlich GOttes ehre oder laͤſterung/ des neben-
menſchen beſſerung oder nachtheil daran haſſtet.
Hie finde ich aber
keines unter allen/ dann was des unſchuldigen ſchade anlangt/ iſt dorten be-
reits bedinget/ daß in ſolchem fall derſelbige wiederum ſchadloß gehalten wer-
den muͤſſte: eine ſonderliche ſtaͤrckung der boßheit des ſchuldig/ ſihe ich eben
auch nicht/ wie dann die dirne bey dem Pfarrherrn den rechtſchuldigen zu be-
kennen/ und dieſer alsdann zu ſorgen hat/ daß ſeinem gewiſſen gerathen wer-
de. Nechſt dem ſehe ich auchs nichts ſonderliches/ daß GOttes ehre oder
des nechſten beſſerung hierinnen periclitire. Was aber in S. D. Schmidts
predigt anlangt die noͤthige bekaͤntnuͤß von ſeiner eignen ſuͤnde vor der Obrig-
keit/ ſo triffts wiederum unſern caſum nicht ſo eigentlich; Dann hie die dirne
ihren fall bekennen muß/ der ſich ſelbs offenbahret hat/ und iſt nur hie eine
verſchweigung gewiſſer und etwa gravirender umſtaͤnde. Wolte alſo davor
halten/ wo dem ſeligen lehrer dieſer caſus mit allen dieſen umſtaͤnden vorge-
kommen/ ſo ſolte er eine von ſelbs thuende neue anmeldung nicht eben noͤthig
erachtet/ oder die begangene falſchheit vor eine ſolche ſuͤnde geſchaͤtzet haben/

wel-
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[226/1026] Das andere Capitel. nicht/ ſondern erfuͤhre ſie erſt aus der bekaͤntnuͤß der reæ, daher die jenige/ ſo damit durch ihre bekaͤntnuͤß der warheit der dirne vor der Obrigkeit kund werden wird/ ſich gar nicht gegen den beicht-vater/ deme ſie ja ſelbs nichts geoffenbahret/ be- ſchwehren kan. Waͤre aber jenes/ ſo haͤtten ſie auch nichts zu klagen/ dann ſie nicht nur allein ſolche that der ſchwaͤngerung nicht geſtanden/ vielmehr ſie geleugnet/ ſondern iſt ihnen/ austruͤcklich vorgeſagt worden/ daß man der Ob- rigkeit/ ſo ſie anderwertlich hie die ſache gewahr wuͤrde/ nichts begeben koͤn- ne. Waͤre es aber ſache/ daß ſie bloß ein individuum vagum oder unbekan- ten namen genennet/ ſo faͤnde ich auch nicht dringende urſachen/ daß ſie nicht anders als mit verbindung der manifeſtation vor der Obrigkeit moͤchte abſol- viret werden/ ohn allein daß doch dieſer verſpruch nothwendig waͤre/ wo ſie nochmahl vor der Obrigkeit/ da dieſelbe etwas gewahr wuͤrde/ ſolte gefragt werden/ als dann nicht wider aufs neue zu ligen/ ſondern GOtt die ehre zu geben. Dieſes letztere iſt zu dem vorſatz nicht weiter zu ſuͤndigen allerdings nothwendig: Nicht aber ſehe ich es gleicher maſſen noͤthig/ daß ſie ſich von ſelb- ſten nochmahl der Obrigkeit ſiſtire/ und die bekaͤntnuͤß aͤndern ſolte. Wie ich auch weder ausdruͤckliches goͤttliches gebot ſolcher nothwendigkeit noch eine buͤndige conſequenz daraus ſehe. So redet der S. D. Schmidt in der an- gezogenen 28. gewiſſens-predigt ſehr behutſam/ daß ich davor achte/ er ſolte uns in unſerem caſu nicht entgegen gehen: Was die bekantnuͤß von an- dern anlangt/ davon es doch gleichwohl meiſtens hier geredet iſt/ ſo kommt die meiſte ſchwehrigkeit der ſuͤnden dahin/ daß der unſchuldige theil daruͤber leyden/ und der ſchuldige in ſeiner boßheit geſtaͤrcket wuͤr- de/ oder da ſonſten ſonderlich GOttes ehre oder laͤſterung/ des neben- menſchen beſſerung oder nachtheil daran haſſtet. Hie finde ich aber keines unter allen/ dann was des unſchuldigen ſchade anlangt/ iſt dorten be- reits bedinget/ daß in ſolchem fall derſelbige wiederum ſchadloß gehalten wer- den muͤſſte: eine ſonderliche ſtaͤrckung der boßheit des ſchuldig/ ſihe ich eben auch nicht/ wie dann die dirne bey dem Pfarrherrn den rechtſchuldigen zu be- kennen/ und dieſer alsdann zu ſorgen hat/ daß ſeinem gewiſſen gerathen wer- de. Nechſt dem ſehe ich auchs nichts ſonderliches/ daß GOttes ehre oder des nechſten beſſerung hierinnen periclitire. Was aber in S. D. Schmidts predigt anlangt die noͤthige bekaͤntnuͤß von ſeiner eignen ſuͤnde vor der Obrig- keit/ ſo triffts wiederum unſern caſum nicht ſo eigentlich; Dann hie die dirne ihren fall bekennen muß/ der ſich ſelbs offenbahret hat/ und iſt nur hie eine verſchweigung gewiſſer und etwa gravirender umſtaͤnde. Wolte alſo davor halten/ wo dem ſeligen lehrer dieſer caſus mit allen dieſen umſtaͤnden vorge- kommen/ ſo ſolte er eine von ſelbs thuende neue anmeldung nicht eben noͤthig erachtet/ oder die begangene falſchheit vor eine ſolche ſuͤnde geſchaͤtzet haben/ wel-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/1026>, abgerufen am 26.11.2024.