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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das andere Capitel.
der ersten kirchen gewesen/ ehe noch das geistliche und weltliche/ ob es
wol guter meinung/ jedoch mit unglücklichem success, unter einander gemen-
get worden ist. Es war die öffentliche abbitt in der ersten kirchen ein sehr
heilsames mittel/ dadurch der ärgerliche sünder nicht nur zur erkäntnüß sei-
ner sünde von sich selbst gebracht/ als welches auch auf andere weiß geschehen
mag/ sondern seine buß der gantzen gemeinde zu dero ihrer hertzlicher erbau-
ung kund wurde: Niemand wurde mit weltlicher straff darzu genöthiget/
sondern allein durch den mangel der geistlichen gnaden-güter darzu gezogen/
daß also keiner derselben sich unterwarff/ welchem es nicht ein gründlicher
ernst war/ ein rechtschaffener Christ zuseyn/ und also der heilsmittel theilhaff-
tig zubleiben: Wollte er sich derselben nicht theilhafftig machen/ hatte er in
der welt keine straff noch schande davon/ welche ihn bewegen könte/ allein aus
hencheley und weltlichem respect solches zuübernehmen. Hingegen wo er in
hertzlicher besserung die beständigkeit seiner buß bezeugte/ so wurde er mit sol-
cher liebe von der gemeinde aufgenommen/ daß seiner sünde künfftig nicht
mehr gedacht/ sondern er in gleicher würde nach seiner restitution mit andern
Christen gehalten wurde; daß also weder ihm noch denseinigen die geringste
macula daher zugezogen bliebe. Zu jetziger zeit aber hat sichs sehr mit unse-
rer kirchen-buß geändert. Dann 1. ist sie nun eine art einer straff. Wie die
Consistoriales nicht in abrede sind (Sihe Carpz. defin. Consist. lib. 77. def.
86. n.
4.) Daher 2. wird sie ordinarie also dictirt/ daß sie von invitis praesti-
ret wird/ und unter vielen poenitentibus, wie sie genant werden/ selten einer
ist der solche nicht wider seinen willen leistete/ den meisten aber wohl etwa ley-
der ist/ solche kirchen-buß auszustehen/ als ihre sünde begangen zu haben.
Daher zum 3. ist sie kein gewisses/ sondern bey den meisten kaum proba-
bles indicium
einer wahren buß/ sondern so vielfältig die offenbaren kennzei-
chen zusehen/ daß nicht von hertzen gehe was sie dabey thun müssen. Folglich
hat 4. die gemeinde die schuldige erbauung darvon nicht/ welche billig seyn
sollte 5. Ziehet sie auffs wenigste nach dem gemeinen gebrauch eine solche
notam nach sich/ daß dergleichen kirchen-buß gethan zuhaben/ wohl so
schimpfflich als das laster selbst geachtet/ ja wohl manchmahl noch den kin-
dern vor eine maculam vorgeworffen wird. So gar fern sind wir von der
liebe gegen die ausgefallenen wahrhafftig bußfertige. Daß also wo noch
einig frommes hertz nach seinem erkanten fall auf die strengste art als bey den
alten gebräuchl. gewesen/ sich aller disciplin zu submittiren bereit wäre/ den-
noch demselben dieser actus, wegen der das gantze leben durchwährender ma-
culae,
schwehr ankommt/ u. es nicht leicht mit der Christlichen willigkeit wie in
solcher sache geschehen solte/ übernehmen wird. Also daß endlich kaum ein
anderer nutzen aus derselben kirchen-buß übrig bleibet/ als daß aus furcht

so-

Das andere Capitel.
der erſten kirchen geweſen/ ehe noch das geiſtliche und weltliche/ ob es
wol guter meinung/ jedoch mit ungluͤcklichem ſucceſſ, unter einander gemen-
get worden iſt. Es war die oͤffentliche abbitt in der erſten kirchen ein ſehr
heilſames mittel/ dadurch der aͤrgerliche ſuͤnder nicht nur zur erkaͤntnuͤß ſei-
ner ſuͤnde von ſich ſelbſt gebracht/ als welches auch auf andere weiß geſchehen
mag/ ſondern ſeine buß der gantzen gemeinde zu dero ihrer hertzlicher erbau-
ung kund wurde: Niemand wurde mit weltlicher ſtraff darzu genoͤthiget/
ſondern allein durch den mangel der geiſtlichen gnaden-guͤter darzu gezogen/
daß alſo keiner derſelben ſich unterwarff/ welchem es nicht ein gruͤndlicher
ernſt war/ ein rechtſchaffener Chriſt zuſeyn/ und alſo der heilsmittel theilhaff-
tig zubleiben: Wollte er ſich derſelben nicht theilhafftig machen/ hatte er in
der welt keine ſtraff noch ſchande davon/ welche ihn bewegen koͤnte/ allein aus
hencheley und weltlichem reſpect ſolches zuuͤbernehmen. Hingegen wo er in
hertzlicher beſſerung die beſtaͤndigkeit ſeiner buß bezeugte/ ſo wurde er mit ſol-
cher liebe von der gemeinde aufgenommen/ daß ſeiner ſuͤnde kuͤnfftig nicht
mehr gedacht/ ſondern er in gleicher wuͤrde nach ſeiner reſtitution mit andern
Chriſten gehalten wurde; daß alſo weder ihm noch denſeinigen die geringſte
macula daher zugezogen bliebe. Zu jetziger zeit aber hat ſichs ſehr mit unſe-
rer kirchen-buß geaͤndert. Dann 1. iſt ſie nun eine art einer ſtraff. Wie die
Conſiſtoriales nicht in abrede ſind (Sihe Carpz. defin. Conſiſt. lib. 77. def.
86. n.
4.) Daher 2. wird ſie ordinarie alſo dictirt/ daß ſie von invitis præſti-
ret wird/ und unter vielen pœnitentibus, wie ſie genant werden/ ſelten einer
iſt der ſolche nicht wider ſeinen willen leiſtete/ den meiſten aber wohl etwa ley-
der iſt/ ſolche kirchen-buß auszuſtehen/ als ihre ſuͤnde begangen zu haben.
Daher zum 3. iſt ſie kein gewiſſes/ ſondern bey den meiſten kaum proba-
bles indicium
einer wahren buß/ ſondern ſo vielfaͤltig die offenbaren kennzei-
chen zuſehen/ daß nicht von hertzen gehe was ſie dabey thun muͤſſen. Folglich
hat 4. die gemeinde die ſchuldige erbauung darvon nicht/ welche billig ſeyn
ſollte 5. Ziehet ſie auffs wenigſte nach dem gemeinen gebrauch eine ſolche
notam nach ſich/ daß dergleichen kirchen-buß gethan zuhaben/ wohl ſo
ſchimpfflich als das laſter ſelbſt geachtet/ ja wohl manchmahl noch den kin-
dern vor eine maculam vorgeworffen wird. So gar fern ſind wir von der
liebe gegen die ausgefallenen wahrhafftig bußfertige. Daß alſo wo noch
einig frommes hertz nach ſeinem erkanten fall auf die ſtrengſte art als bey den
alten gebraͤuchl. geweſen/ ſich aller diſciplin zu ſubmittiren bereit waͤre/ den-
noch demſelben dieſer actus, wegen der das gantze leben durchwaͤhrender ma-
culæ,
ſchwehr ankommt/ u. es nicht leicht mit der Chriſtlichen willigkeit wie in
ſolcher ſache geſchehen ſolte/ uͤbernehmen wird. Alſo daß endlich kaum ein
anderer nutzen aus derſelben kirchen-buß uͤbrig bleibet/ als daß aus furcht

ſo-
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[286/1086] Das andere Capitel. der erſten kirchen geweſen/ ehe noch das geiſtliche und weltliche/ ob es wol guter meinung/ jedoch mit ungluͤcklichem ſucceſſ, unter einander gemen- get worden iſt. Es war die oͤffentliche abbitt in der erſten kirchen ein ſehr heilſames mittel/ dadurch der aͤrgerliche ſuͤnder nicht nur zur erkaͤntnuͤß ſei- ner ſuͤnde von ſich ſelbſt gebracht/ als welches auch auf andere weiß geſchehen mag/ ſondern ſeine buß der gantzen gemeinde zu dero ihrer hertzlicher erbau- ung kund wurde: Niemand wurde mit weltlicher ſtraff darzu genoͤthiget/ ſondern allein durch den mangel der geiſtlichen gnaden-guͤter darzu gezogen/ daß alſo keiner derſelben ſich unterwarff/ welchem es nicht ein gruͤndlicher ernſt war/ ein rechtſchaffener Chriſt zuſeyn/ und alſo der heilsmittel theilhaff- tig zubleiben: Wollte er ſich derſelben nicht theilhafftig machen/ hatte er in der welt keine ſtraff noch ſchande davon/ welche ihn bewegen koͤnte/ allein aus hencheley und weltlichem reſpect ſolches zuuͤbernehmen. Hingegen wo er in hertzlicher beſſerung die beſtaͤndigkeit ſeiner buß bezeugte/ ſo wurde er mit ſol- cher liebe von der gemeinde aufgenommen/ daß ſeiner ſuͤnde kuͤnfftig nicht mehr gedacht/ ſondern er in gleicher wuͤrde nach ſeiner reſtitution mit andern Chriſten gehalten wurde; daß alſo weder ihm noch denſeinigen die geringſte macula daher zugezogen bliebe. Zu jetziger zeit aber hat ſichs ſehr mit unſe- rer kirchen-buß geaͤndert. Dann 1. iſt ſie nun eine art einer ſtraff. Wie die Conſiſtoriales nicht in abrede ſind (Sihe Carpz. defin. Conſiſt. lib. 77. def. 86. n. 4.) Daher 2. wird ſie ordinarie alſo dictirt/ daß ſie von invitis præſti- ret wird/ und unter vielen pœnitentibus, wie ſie genant werden/ ſelten einer iſt der ſolche nicht wider ſeinen willen leiſtete/ den meiſten aber wohl etwa ley- der iſt/ ſolche kirchen-buß auszuſtehen/ als ihre ſuͤnde begangen zu haben. Daher zum 3. iſt ſie kein gewiſſes/ ſondern bey den meiſten kaum proba- bles indicium einer wahren buß/ ſondern ſo vielfaͤltig die offenbaren kennzei- chen zuſehen/ daß nicht von hertzen gehe was ſie dabey thun muͤſſen. Folglich hat 4. die gemeinde die ſchuldige erbauung darvon nicht/ welche billig ſeyn ſollte 5. Ziehet ſie auffs wenigſte nach dem gemeinen gebrauch eine ſolche notam nach ſich/ daß dergleichen kirchen-buß gethan zuhaben/ wohl ſo ſchimpfflich als das laſter ſelbſt geachtet/ ja wohl manchmahl noch den kin- dern vor eine maculam vorgeworffen wird. So gar fern ſind wir von der liebe gegen die ausgefallenen wahrhafftig bußfertige. Daß alſo wo noch einig frommes hertz nach ſeinem erkanten fall auf die ſtrengſte art als bey den alten gebraͤuchl. geweſen/ ſich aller diſciplin zu ſubmittiren bereit waͤre/ den- noch demſelben dieſer actus, wegen der das gantze leben durchwaͤhrender ma- culæ, ſchwehr ankommt/ u. es nicht leicht mit der Chriſtlichen willigkeit wie in ſolcher ſache geſchehen ſolte/ uͤbernehmen wird. Alſo daß endlich kaum ein anderer nutzen aus derſelben kirchen-buß uͤbrig bleibet/ als daß aus furcht ſo-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/1086>, abgerufen am 24.11.2024.