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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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SECTIO XV.
Pred. 9/ 1. hat zwahr seine schwehrigkeit/ und sind die lehrer nicht so einig
drüber/ aber kaum ist eine erklährung/ welche weniger mit der gantzen absicht
Salomonis überein kommet/ als daß er solte handeln von der ungewißheit
der gläubigen über ihre seligkeit: da doch derselbe insgemein in dem gantzen
buch vielmehr von dem zustand des menschlichen lebens in dem eusserlichen/
und was solches vor beschwerde in seiner eitelkeit habe/ handelt. Jch will
nicht eben hie treiben auff Lutheri dollmetschung/ der es gibt: Doch kennet
kein mensch weder die liebe noch den haß irgend eines/ den er vor
sich hat/
daß also von der liebe eines menschen die er gegen den andern hat/
geredet würde. Welcher verstand an sich selbs auch nicht zuverwerffen ist. Wo
mans aber am einfältigsten nach dem grund-text gibet/ würde es also lauten/
auch die liebe/ auch den haß weiß kein mensch/ alles ist vor ihnen:
da möchte es am deutlichsten seyn/ wie er vorher gesagt/ alles seye in der hand
des HErrn/ daß er nun sage/ keiner wüste auch/ was er liebe/ und noch lieben
werde/ was er hasse oder noch hassen werde/ ob wol alles vor seinen augen ste-
he/ indem nichts in seiner direction ist/ sondern alles unter GOttes willen
stehe/ und der mensch es nicht wol eher gewahr wird/ biß es geschehe. Daß
also mehr als zweiffel hafftig ist/ daß hie von GOttes liebe oder haß geredet
werde. Wolte man aber den Jesuiten noch so viel nachgeben/ daß hie von
der liebe und haß GOttes geredet würde/ käme doch nach allem nichts wei-
ter heraus/ als daß kein mensch/ ob er in GOttes gnaden oder ungnaden seye/
aus demjenigen wissen könne/ wie es ihm eusserlich gehet: weil nemlich/ wie
die folgende wort lauten/ frommen und bösen/ und also denen/ die in GOt-
tes gnade und ungnade stehen/ einerley begegnen. Welches freylich wahr/
und uns nicht zuwider ist. Wie auch der Papist Tirinus es also erklähret:
ex eventibus sive prosperis sive adversis, utpote qui tam justis quam inju-
stis communes sunt.
Ob aber wol der mensch göttliche wercke und gnade
noch ungnade/ aus den eusserlichen begegnüssen nicht schliessen kan/ folget
nicht/ daß er derselben aus göttlichem wort und seines gewissens zeugnüß
nicht versichert seyn könne. Die lateinische Version, omnia in futurum
servantur incerta,
welches der Jesuit noch weiter ziehet oder determiniret:
on n'en sera certain, qu' en l'autre vie (da doch futurum nicht nothwendig
das künfftige leben andeutete) gehet hie gantz von dem grund-text/ und ist
keine sylbe davon darinnen/ sondern wie oben gemeldet/ alles ist vor
ihnen/
oder vor ihrem angesicht. Was den ort 1. Cor. 4/ 4. anlangt: ists
abermal ein solcher spruch/ damit er nichts gewinnet/ sondern dessen wir uns
vielmehr wider und gegen die Römische uns so fern gebrauchen können/ daß
nemlich ob wirs mit der eignen heiligkeit so weit bringen/ daß wir uns auch

im
Q

SECTIO XV.
Pred. 9/ 1. hat zwahr ſeine ſchwehrigkeit/ und ſind die lehrer nicht ſo einig
druͤber/ aber kaum iſt eine erklaͤhrung/ welche weniger mit der gantzen abſicht
Salomonis uͤberein kommet/ als daß er ſolte handeln von der ungewißheit
der glaͤubigen uͤber ihre ſeligkeit: da doch derſelbe insgemein in dem gantzen
buch vielmehr von dem zuſtand des menſchlichen lebens in dem euſſerlichen/
und was ſolches vor beſchwerde in ſeiner eitelkeit habe/ handelt. Jch will
nicht eben hie treiben auff Lutheri dollmetſchung/ der es gibt: Doch kennet
kein menſch weder die liebe noch den haß irgend eines/ den er vor
ſich hat/
daß alſo von der liebe eines menſchen die er gegen den andern hat/
geredet wuͤrde. Welcher verſtand an ſich ſelbs auch nicht zuverwerffen iſt. Wo
mans aber am einfaͤltigſten nach dem grund-text gibet/ wuͤrde es alſo lauten/
auch die liebe/ auch den haß weiß kein menſch/ alles iſt vor ihnen:
da moͤchte es am deutlichſten ſeyn/ wie er vorher geſagt/ alles ſeye in der hand
des HErrn/ daß er nun ſage/ keiner wuͤſte auch/ was er liebe/ und noch lieben
werde/ was er haſſe oder noch haſſen werde/ ob wol alles vor ſeinen augen ſte-
he/ indem nichts in ſeiner direction iſt/ ſondern alles unter GOttes willen
ſtehe/ und der menſch es nicht wol eher gewahr wird/ biß es geſchehe. Daß
alſo mehr als zweiffel hafftig iſt/ daß hie von GOttes liebe oder haß geredet
werde. Wolte man aber den Jeſuiten noch ſo viel nachgeben/ daß hie von
der liebe und haß GOttes geredet wuͤrde/ kaͤme doch nach allem nichts wei-
ter heraus/ als daß kein menſch/ ob er in GOttes gnaden oder ungnaden ſeye/
aus demjenigen wiſſen koͤnne/ wie es ihm euſſerlich gehet: weil nemlich/ wie
die folgende wort lauten/ frommen und boͤſen/ und alſo denen/ die in GOt-
tes gnade und ungnade ſtehen/ einerley begegnen. Welches freylich wahr/
und uns nicht zuwider iſt. Wie auch der Papiſt Tirinus es alſo erklaͤhret:
ex eventibus ſive proſperis ſive adverſis, utpote qui tam juſtis quam inju-
ſtis communes ſunt.
Ob aber wol der menſch goͤttliche wercke und gnade
noch ungnade/ aus den euſſerlichen begegnuͤſſen nicht ſchlieſſen kan/ folget
nicht/ daß er derſelben aus goͤttlichem wort und ſeines gewiſſens zeugnuͤß
nicht verſichert ſeyn koͤnne. Die lateiniſche Verſion, omnia in futurum
ſervantur incerta,
welches der Jeſuit noch weiter ziehet oder determiniret:
on n’en ſera certain, qu’ en l’autre vie (da doch futurum nicht nothwendig
das kuͤnfftige leben andeutete) gehet hie gantz von dem grund-text/ und iſt
keine ſylbe davon darinnen/ ſondern wie oben gemeldet/ alles iſt vor
ihnen/
oder vor ihrem angeſicht. Was den ort 1. Cor. 4/ 4. anlangt: iſts
abermal ein ſolcher ſpruch/ damit er nichts gewinnet/ ſondern deſſen wir uns
vielmehr wider und gegen die Roͤmiſche uns ſo fern gebrauchen koͤnnen/ daß
nemlich ob wirs mit der eignen heiligkeit ſo weit bringen/ daß wir uns auch

im
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[121/0137] SECTIO XV. Pred. 9/ 1. hat zwahr ſeine ſchwehrigkeit/ und ſind die lehrer nicht ſo einig druͤber/ aber kaum iſt eine erklaͤhrung/ welche weniger mit der gantzen abſicht Salomonis uͤberein kommet/ als daß er ſolte handeln von der ungewißheit der glaͤubigen uͤber ihre ſeligkeit: da doch derſelbe insgemein in dem gantzen buch vielmehr von dem zuſtand des menſchlichen lebens in dem euſſerlichen/ und was ſolches vor beſchwerde in ſeiner eitelkeit habe/ handelt. Jch will nicht eben hie treiben auff Lutheri dollmetſchung/ der es gibt: Doch kennet kein menſch weder die liebe noch den haß irgend eines/ den er vor ſich hat/ daß alſo von der liebe eines menſchen die er gegen den andern hat/ geredet wuͤrde. Welcher verſtand an ſich ſelbs auch nicht zuverwerffen iſt. Wo mans aber am einfaͤltigſten nach dem grund-text gibet/ wuͤrde es alſo lauten/ auch die liebe/ auch den haß weiß kein menſch/ alles iſt vor ihnen: da moͤchte es am deutlichſten ſeyn/ wie er vorher geſagt/ alles ſeye in der hand des HErrn/ daß er nun ſage/ keiner wuͤſte auch/ was er liebe/ und noch lieben werde/ was er haſſe oder noch haſſen werde/ ob wol alles vor ſeinen augen ſte- he/ indem nichts in ſeiner direction iſt/ ſondern alles unter GOttes willen ſtehe/ und der menſch es nicht wol eher gewahr wird/ biß es geſchehe. Daß alſo mehr als zweiffel hafftig iſt/ daß hie von GOttes liebe oder haß geredet werde. Wolte man aber den Jeſuiten noch ſo viel nachgeben/ daß hie von der liebe und haß GOttes geredet wuͤrde/ kaͤme doch nach allem nichts wei- ter heraus/ als daß kein menſch/ ob er in GOttes gnaden oder ungnaden ſeye/ aus demjenigen wiſſen koͤnne/ wie es ihm euſſerlich gehet: weil nemlich/ wie die folgende wort lauten/ frommen und boͤſen/ und alſo denen/ die in GOt- tes gnade und ungnade ſtehen/ einerley begegnen. Welches freylich wahr/ und uns nicht zuwider iſt. Wie auch der Papiſt Tirinus es alſo erklaͤhret: ex eventibus ſive proſperis ſive adverſis, utpote qui tam juſtis quam inju- ſtis communes ſunt. Ob aber wol der menſch goͤttliche wercke und gnade noch ungnade/ aus den euſſerlichen begegnuͤſſen nicht ſchlieſſen kan/ folget nicht/ daß er derſelben aus goͤttlichem wort und ſeines gewiſſens zeugnuͤß nicht verſichert ſeyn koͤnne. Die lateiniſche Verſion, omnia in futurum ſervantur incerta, welches der Jeſuit noch weiter ziehet oder determiniret: on n’en ſera certain, qu’ en l’autre vie (da doch futurum nicht nothwendig das kuͤnfftige leben andeutete) gehet hie gantz von dem grund-text/ und iſt keine ſylbe davon darinnen/ ſondern wie oben gemeldet/ alles iſt vor ihnen/ oder vor ihrem angeſicht. Was den ort 1. Cor. 4/ 4. anlangt: iſts abermal ein ſolcher ſpruch/ damit er nichts gewinnet/ ſondern deſſen wir uns vielmehr wider und gegen die Roͤmiſche uns ſo fern gebrauchen koͤnnen/ daß nemlich ob wirs mit der eignen heiligkeit ſo weit bringen/ daß wir uns auch im Q

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/137>, abgerufen am 27.11.2024.