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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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SECTIO XLII.
nicht die conversionem sondern excoecationem der Juden ein mysterium
nenne: aber ich sehe nicht/ wie solches in dem text gegründet/ wo nicht die ex-
coecatio
selbs/ sondern porosis apo merous ein mysterium genennet wird. Wel-
ches 1. der klahre buchstabe zeigt. 2. War die verstockung an sich selbs kein
mysterium, davon er hätte sagen mögen/ thelo umas agnoei~n dann solches
recht vor augen gestanden/ wie verstockt die Juden seyen: Aber daß sie der-
maleins wieder solten bekehret werden/ sahe kein mensch/ und schiene nicht zu
er warten seyn/ wo man betrachtete so wol ihre halßstarrigkeit/ als
göttliche gerechtigkeit welche sie mit ihren freveln sünden gereitzet.
3. Die ursach solches geheimnüsses/ oder warum ihnen der Apo-
stel dasselbe sage/ damit sie nicht stoltz werden/ schicket sich auff meine mei-
nung gantz wol/ und stehet die krafft der folge von dem v. 18. an: daß die ein-
gepfropffte zweige sich nicht rühmen sollen/ noch stoltz seyn. Warum? Weil ob
wol sie durch den glauben eingepfropffet/ sie doch wieder wegen des unglau-
bens mögen ausgehauen werden: hingegen daß diese ausgehauene an ihrer
stelle wieder mögen eingepfropffet werden: solches sagt er 23. v. seye GOtt
müglich. v. 24. will er/ ob wol etwas dunckler/ dahin incliniren/ daß es auch
geschehen werde. Darauff v. 25. sagt ers nunmehr assertive, als ein myste-
rium.
Nun konte die Heiden nichts mehr schrecken/ und ihren stoltz nieder-
schlagen/ als wo sie höreten/ es würde dermaleins dahin kommen/ daß auch
sie ihre würde verliehren möchten/ und die Juden wieder eingepfropffet wer-
den. Sonsten gienge des Apostels schluß nicht kräfftig/ sie solten nicht stoltz
seyn/ dann die Juden seyen ausgehauen worden. Da sie vielmehr möchten
sagen/ wir haben vielmehr ursach uns wahrhafftig zu rühmen: Dann GOtt
hat die natürliche zweige ausgehauen/ daß er uns einpfropffte/ sie sollen auch
ewig aus dem oelbaum bleiben: also bleiben wir allein zweige solches öl-
baums/ dann GOtt wird solchen nicht gar umhauen: müssen wir also noth-
wendig darinnen gelassen werden an platz der ausgehauenen. 4. War nicht
vonnöthen/ daß der Apostel sagte/ auff daß ihr nicht traurig seyd. Dann wir
sehen aus dem gantzen context, daß er es zu thun gehabt mit solchen/ die sich
des falles der Juden zum hochmuth über sie bewegen liessen/ nicht aber/ die
mitleiden mit ihnen trügen. Daher er mit fug sagen konte/ auff daß ihr
nicht stoltz seyd.
5. Kan auch derhalben die verstockung der Juden selbs
nicht die materia des mysterii seyn; dann es muß eine solche sache seyn/ wor-
innen das mysterium bestehet/ so durch den anziehenden spruch Esaiä 59.
bekräfftiget wird/ worinnen davon gehandelt wird/ daß aus Zion kommen
solle/ der da erlöse und abwende das gottlose wesen von Jacob.
So
ists nicht vergebens/ wo der Apostel saget v. 39. GOttes gabe und beruf-
fung mögen ihn nicht gereuen.
Also ist denn das volck so einmahl er-

weh-

SECTIO XLII.
nicht die converſionem ſondern excœcationem der Juden ein myſterium
nenne: aber ich ſehe nicht/ wie ſolches in dem text gegruͤndet/ wo nicht die ex-
cœcatio
ſelbs/ ſondern πώρωσις ἀπὸ μέρους ein myſterium genennet wiꝛd. Wel-
ches 1. der klahre buchſtabe zeigt. 2. War die verſtockung an ſich ſelbs kein
myſterium, davon er haͤtte ſagen moͤgen/ ϑέλω ὑμᾶς ἀγνοει῀ν dann ſolches
recht vor augen geſtanden/ wie verſtockt die Juden ſeyen: Aber daß ſie der-
maleins wieder ſolten bekehret werden/ ſahe kein menſch/ und ſchiene nicht zu
er warten ſeyn/ wo man betrachtete ſo wol ihre halßſtarrigkeit/ als
goͤttliche gerechtigkeit welche ſie mit ihren freveln ſuͤnden gereitzet.
3. Die urſach ſolches geheimnuͤſſes/ oder warum ihnen der Apo-
ſtel daſſelbe ſage/ damit ſie nicht ſtoltz werden/ ſchicket ſich auff meine mei-
nung gantz wol/ und ſtehet die krafft der folge von dem v. 18. an: daß die ein-
gepfropffte zweige ſich nicht ruͤhmen ſollen/ noch ſtoltz ſeyn. Warum? Weil ob
wol ſie durch den glauben eingepfropffet/ ſie doch wieder wegen des unglau-
bens moͤgen ausgehauen werden: hingegen daß dieſe ausgehauene an ihrer
ſtelle wieder moͤgen eingepfropffet werden: ſolches ſagt er 23. v. ſeye GOtt
muͤglich. v. 24. will er/ ob wol etwas dunckler/ dahin incliniren/ daß es auch
geſchehen werde. Darauff v. 25. ſagt ers nunmehr aſſertivè, als ein myſte-
rium.
Nun konte die Heiden nichts mehr ſchrecken/ und ihren ſtoltz nieder-
ſchlagen/ als wo ſie hoͤreten/ es wuͤrde dermaleins dahin kommen/ daß auch
ſie ihre wuͤrde verliehren moͤchten/ und die Juden wieder eingepfropffet wer-
den. Sonſten gienge des Apoſtels ſchluß nicht kraͤfftig/ ſie ſolten nicht ſtoltz
ſeyn/ dann die Juden ſeyen ausgehauen worden. Da ſie vielmehr moͤchten
ſagen/ wir haben vielmehr urſach uns wahrhafftig zu ruͤhmen: Dann GOtt
hat die natuͤrliche zweige ausgehauen/ daß er uns einpfropffte/ ſie ſollen auch
ewig aus dem oelbaum bleiben: alſo bleiben wir allein zweige ſolches oͤl-
baums/ dann GOtt wird ſolchen nicht gar umhauen: muͤſſen wir alſo noth-
wendig darinnen gelaſſen werden an platz der ausgehauenen. 4. War nicht
vonnoͤthen/ daß der Apoſtel ſagte/ auff daß ihr nicht traurig ſeyd. Dann wir
ſehen aus dem gantzen context, daß er es zu thun gehabt mit ſolchen/ die ſich
des falles der Juden zum hochmuth uͤber ſie bewegen lieſſen/ nicht aber/ die
mitleiden mit ihnen truͤgen. Daher er mit fug ſagen konte/ auff daß ihr
nicht ſtoltz ſeyd.
5. Kan auch derhalben die verſtockung der Juden ſelbs
nicht die materia des myſterii ſeyn; dann es muß eine ſolche ſache ſeyn/ wor-
innen das myſterium beſtehet/ ſo durch den anziehenden ſpruch Eſaiaͤ 59.
bekraͤfftiget wird/ worinnen davon gehandelt wird/ daß aus Zion kommen
ſolle/ der da erloͤſe und abwende das gottloſe weſen von Jacob.
So
iſts nicht vergebens/ wo der Apoſtel ſaget v. 39. GOttes gabe und beruf-
fung moͤgen ihn nicht gereuen.
Alſo iſt denn das volck ſo einmahl er-

weh-
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[215/0231] SECTIO XLII. nicht die converſionem ſondern excœcationem der Juden ein myſterium nenne: aber ich ſehe nicht/ wie ſolches in dem text gegruͤndet/ wo nicht die ex- cœcatio ſelbs/ ſondern πώρωσις ἀπὸ μέρους ein myſterium genennet wiꝛd. Wel- ches 1. der klahre buchſtabe zeigt. 2. War die verſtockung an ſich ſelbs kein myſterium, davon er haͤtte ſagen moͤgen/ ϑέλω ὑμᾶς ἀγνοει῀ν dann ſolches recht vor augen geſtanden/ wie verſtockt die Juden ſeyen: Aber daß ſie der- maleins wieder ſolten bekehret werden/ ſahe kein menſch/ und ſchiene nicht zu er warten ſeyn/ wo man betrachtete ſo wol ihre halßſtarrigkeit/ als goͤttliche gerechtigkeit welche ſie mit ihren freveln ſuͤnden gereitzet. 3. Die urſach ſolches geheimnuͤſſes/ oder warum ihnen der Apo- ſtel daſſelbe ſage/ damit ſie nicht ſtoltz werden/ ſchicket ſich auff meine mei- nung gantz wol/ und ſtehet die krafft der folge von dem v. 18. an: daß die ein- gepfropffte zweige ſich nicht ruͤhmen ſollen/ noch ſtoltz ſeyn. Warum? Weil ob wol ſie durch den glauben eingepfropffet/ ſie doch wieder wegen des unglau- bens moͤgen ausgehauen werden: hingegen daß dieſe ausgehauene an ihrer ſtelle wieder moͤgen eingepfropffet werden: ſolches ſagt er 23. v. ſeye GOtt muͤglich. v. 24. will er/ ob wol etwas dunckler/ dahin incliniren/ daß es auch geſchehen werde. Darauff v. 25. ſagt ers nunmehr aſſertivè, als ein myſte- rium. Nun konte die Heiden nichts mehr ſchrecken/ und ihren ſtoltz nieder- ſchlagen/ als wo ſie hoͤreten/ es wuͤrde dermaleins dahin kommen/ daß auch ſie ihre wuͤrde verliehren moͤchten/ und die Juden wieder eingepfropffet wer- den. Sonſten gienge des Apoſtels ſchluß nicht kraͤfftig/ ſie ſolten nicht ſtoltz ſeyn/ dann die Juden ſeyen ausgehauen worden. Da ſie vielmehr moͤchten ſagen/ wir haben vielmehr urſach uns wahrhafftig zu ruͤhmen: Dann GOtt hat die natuͤrliche zweige ausgehauen/ daß er uns einpfropffte/ ſie ſollen auch ewig aus dem oelbaum bleiben: alſo bleiben wir allein zweige ſolches oͤl- baums/ dann GOtt wird ſolchen nicht gar umhauen: muͤſſen wir alſo noth- wendig darinnen gelaſſen werden an platz der ausgehauenen. 4. War nicht vonnoͤthen/ daß der Apoſtel ſagte/ auff daß ihr nicht traurig ſeyd. Dann wir ſehen aus dem gantzen context, daß er es zu thun gehabt mit ſolchen/ die ſich des falles der Juden zum hochmuth uͤber ſie bewegen lieſſen/ nicht aber/ die mitleiden mit ihnen truͤgen. Daher er mit fug ſagen konte/ auff daß ihr nicht ſtoltz ſeyd. 5. Kan auch derhalben die verſtockung der Juden ſelbs nicht die materia des myſterii ſeyn; dann es muß eine ſolche ſache ſeyn/ wor- innen das myſterium beſtehet/ ſo durch den anziehenden ſpruch Eſaiaͤ 59. bekraͤfftiget wird/ worinnen davon gehandelt wird/ daß aus Zion kommen ſolle/ der da erloͤſe und abwende das gottloſe weſen von Jacob. So iſts nicht vergebens/ wo der Apoſtel ſaget v. 39. GOttes gabe und beruf- fung moͤgen ihn nicht gereuen. Alſo iſt denn das volck ſo einmahl er- weh-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/231>, abgerufen am 29.11.2024.