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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das erste Capitel.
davor halte/ daß Johann Rothen solches viel genutzt habe/ massen auch ei-
nen brieff gelesen/ da er seine vorige irrungen hertzlich erkant/ und deroselben
ursachen Christlich untersuchet hat. 1686.

SECTIO LXXIV.
Gebet vor mich. Unterscheid zwischen seel und geist.
Gefährlich von andern zu urtheilen. Zurückziehung sonder-
licher gnaden-fühlung. Meines gebets schwachheit. Be-
wegung zum schreiben. Ob creutz zu ver-
langen?

ZUm fördristen sage Christlichen danck vor den hertzlichen wunsch und
gebet vor mich/ so mir sonderlich das erste schreiben/ mit nicht geringer
meiner in dem lesen gefühlter bewegung/ vorgestellet/ die übrige aber
auch mit wenigerem wiederhohlet haben. Es kan mir in der that keine grös-
sere wolthat von jemand wiederfahren/ als mit hertzlichem gebet/ und zwahr
vornemlich um erkäntnüß göttlichen willens/ und krafft zu dessen vollbrin-
gung: gegen welchem ich die übrige alle/ so nur vornemlich vor langes leben/
gute gesundheit und glücklichen wolstand meine und meines hauses gesche-
hen/ nicht anders als viel geringer achte. Sonderlich hat mich nicht wenig
erfreuet/ daß solcher erste wunsch in etlichen stücken also eingerichtet gewesen/
als wäre demselben vorgestanden/ was vor kampff mich damahls und bald
darauff betroffen. Nun der HErr gebe uns allezeit den geist der gnaden und
des gebets/ wann wir vor sein angesicht treten/ daß wir in dessen liecht verste-
hen/ was und wie wir beten sollen/ auch solches stets also thun/ wie es vor
seinem gnaden-thron angenehm ist. Jch komme so bald auff die frage von
unterscheid des geistes und der seelen/ davon aber vergnüglicher antwor-
ten zu können wünschete. Unter allem/ die ich davon gesehen zu haben erin-
nere/ finde ich diese beyde meinungen am gegründesten/ unter welchen auch
welche erwehlet wird/ keine der richtigen glaubens-lehr zuwider seyn wird/
und ich also jeglichem gern überlasse/ welche er in seiner überlegung vor die
gegründeste halten und erwehlen wolle. Die eine ist diese/ daß die seele
heisse das andere theil des menschen/ wie es dem leib entgegen stehet/ und so
fern es in seiner natur allein betrachtet wird: geist aber seye die neue natur
in den wiedergebohrnen/ wie sie nach der schrifft redens-art dem fleisch entge-
gen gesetzet wird. Also wäre bey einem unwiedergebohrnen seel und leib/
und kein geist/ dahin wir die wort Judä v. 19. die keinen geist haben/
ziehen möchten: aber bey einem wiedergebohrnen findet sich neben seel und

leib

Das erſte Capitel.
davor halte/ daß Johann Rothen ſolches viel genutzt habe/ maſſen auch ei-
nen brieff geleſen/ da er ſeine vorige irrungen hertzlich erkant/ und deroſelben
urſachen Chriſtlich unterſuchet hat. 1686.

SECTIO LXXIV.
Gebet vor mich. Unterſcheid zwiſchen ſeel und geiſt.
Gefaͤhrlich von andern zu urtheilen. Zuruͤckziehung ſonder-
licher gnaden-fuͤhlung. Meines gebets ſchwachheit. Be-
wegung zum ſchreiben. Ob creutz zu ver-
langen?

ZUm foͤrdriſten ſage Chriſtlichen danck vor den hertzlichen wunſch und
gebet vor mich/ ſo mir ſonderlich das erſte ſchreiben/ mit nicht geringer
meiner in dem leſen gefuͤhlter bewegung/ vorgeſtellet/ die uͤbrige aber
auch mit wenigerem wiederhohlet haben. Es kan mir in der that keine groͤſ-
ſere wolthat von jemand wiederfahren/ als mit hertzlichem gebet/ und zwahr
vornemlich um erkaͤntnuͤß goͤttlichen willens/ und krafft zu deſſen vollbrin-
gung: gegen welchem ich die uͤbrige alle/ ſo nur vornemlich vor langes leben/
gute geſundheit und gluͤcklichen wolſtand meine und meines hauſes geſche-
hen/ nicht anders als viel geringer achte. Sonderlich hat mich nicht wenig
erfreuet/ daß ſolcher erſte wunſch in etlichen ſtuͤcken alſo eingerichtet geweſen/
als waͤre demſelben vorgeſtanden/ was vor kampff mich damahls und bald
darauff betroffen. Nun der HErr gebe uns allezeit den geiſt der gnaden und
des gebets/ wann wir vor ſein angeſicht treten/ daß wir in deſſen liecht verſte-
hen/ was und wie wir beten ſollen/ auch ſolches ſtets alſo thun/ wie es vor
ſeinem gnaden-thron angenehm iſt. Jch komme ſo bald auff die frage von
unterſcheid des geiſtes und der ſeelen/ davon aber vergnuͤglicher antwor-
ten zu koͤnnen wuͤnſchete. Unter allem/ die ich davon geſehen zu haben erin-
nere/ finde ich dieſe beyde meinungen am gegruͤndeſten/ unter welchen auch
welche erwehlet wird/ keine der richtigen glaubens-lehr zuwider ſeyn wird/
und ich alſo jeglichem gern uͤberlaſſe/ welche er in ſeiner uͤberlegung vor die
gegruͤndeſte halten und erwehlen wolle. Die eine iſt dieſe/ daß die ſeele
heiſſe das andere theil des menſchen/ wie es dem leib entgegen ſtehet/ und ſo
fern es in ſeiner natur allein betrachtet wird: geiſt aber ſeye die neue natur
in den wiedergebohrnen/ wie ſie nach der ſchrifft redens-art dem fleiſch entge-
gen geſetzet wird. Alſo waͤre bey einem unwiedergebohrnen ſeel und leib/
und kein geiſt/ dahin wir die wort Judaͤ v. 19. die keinen geiſt haben/
ziehen moͤchten: aber bey einem wiedergebohrnen findet ſich neben ſeel und

leib
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[326/0342] Das erſte Capitel. davor halte/ daß Johann Rothen ſolches viel genutzt habe/ maſſen auch ei- nen brieff geleſen/ da er ſeine vorige irrungen hertzlich erkant/ und deroſelben urſachen Chriſtlich unterſuchet hat. 1686. SECTIO LXXIV. Gebet vor mich. Unterſcheid zwiſchen ſeel und geiſt. Gefaͤhrlich von andern zu urtheilen. Zuruͤckziehung ſonder- licher gnaden-fuͤhlung. Meines gebets ſchwachheit. Be- wegung zum ſchreiben. Ob creutz zu ver- langen? ZUm foͤrdriſten ſage Chriſtlichen danck vor den hertzlichen wunſch und gebet vor mich/ ſo mir ſonderlich das erſte ſchreiben/ mit nicht geringer meiner in dem leſen gefuͤhlter bewegung/ vorgeſtellet/ die uͤbrige aber auch mit wenigerem wiederhohlet haben. Es kan mir in der that keine groͤſ- ſere wolthat von jemand wiederfahren/ als mit hertzlichem gebet/ und zwahr vornemlich um erkaͤntnuͤß goͤttlichen willens/ und krafft zu deſſen vollbrin- gung: gegen welchem ich die uͤbrige alle/ ſo nur vornemlich vor langes leben/ gute geſundheit und gluͤcklichen wolſtand meine und meines hauſes geſche- hen/ nicht anders als viel geringer achte. Sonderlich hat mich nicht wenig erfreuet/ daß ſolcher erſte wunſch in etlichen ſtuͤcken alſo eingerichtet geweſen/ als waͤre demſelben vorgeſtanden/ was vor kampff mich damahls und bald darauff betroffen. Nun der HErr gebe uns allezeit den geiſt der gnaden und des gebets/ wann wir vor ſein angeſicht treten/ daß wir in deſſen liecht verſte- hen/ was und wie wir beten ſollen/ auch ſolches ſtets alſo thun/ wie es vor ſeinem gnaden-thron angenehm iſt. Jch komme ſo bald auff die frage von unterſcheid des geiſtes und der ſeelen/ davon aber vergnuͤglicher antwor- ten zu koͤnnen wuͤnſchete. Unter allem/ die ich davon geſehen zu haben erin- nere/ finde ich dieſe beyde meinungen am gegruͤndeſten/ unter welchen auch welche erwehlet wird/ keine der richtigen glaubens-lehr zuwider ſeyn wird/ und ich alſo jeglichem gern uͤberlaſſe/ welche er in ſeiner uͤberlegung vor die gegruͤndeſte halten und erwehlen wolle. Die eine iſt dieſe/ daß die ſeele heiſſe das andere theil des menſchen/ wie es dem leib entgegen ſtehet/ und ſo fern es in ſeiner natur allein betrachtet wird: geiſt aber ſeye die neue natur in den wiedergebohrnen/ wie ſie nach der ſchrifft redens-art dem fleiſch entge- gen geſetzet wird. Alſo waͤre bey einem unwiedergebohrnen ſeel und leib/ und kein geiſt/ dahin wir die wort Judaͤ v. 19. die keinen geiſt haben/ ziehen moͤchten: aber bey einem wiedergebohrnen findet ſich neben ſeel und leib

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/342>, abgerufen am 23.11.2024.