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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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logie gründlich eingenommen/ und gelernet hat die schrifft zu verstehen/
und deroselben reichthum selbs mit fleißigem untersuchen einzusehen/ be-
darff geringe anweisung/ daß er nachmahls kräfftige und gründliche predig-
ten thue/ mit grosser erbauung/ und ohne nöthig zu haben mit vielen ampli-
ficatio
nen die zeit zu füllen/ nachdem ihm die schrifft selbs eine qvelle wird/
daraus ihm gnug aus jedem text zufleust. Dahingegen/ wo der meiste fleiß
ist/ das predigen zu einer redners-kunst zu machen/ und in gewisse regulas
methodi
einzuschrencken/ es gemeiniglich leute gibt/ die muster und leisten
zu zierlichen schuhen sich angeschafft/ und manglet ihnen nachmahlen an dem
leder/ aus dem sie die schuhe zuschneiden sollen/ wissen sie auch nicht nach
jegliches fusses beqvemlichkeit einzurichten: Es gibet predigten/ da man end-
lich viele zierliche wort und weitgehohlte amplificationes höret/ wo aber das
frembde/ so zu der haupt-sache nicht gehöret/ davon gethan wird/ bleibet
wenig safftiges und kräfftiges übrig/ und die erbauung ist gemeiniglich sehr
gering: Daran es aber den jenigen nicht mangeln kan/ welche der schrifft
mächtig sind/ da ihnen die dinge selbs zufliessen/ die der Heilige Geist in
jeglichem ort geleget/ ob sie auch an keine zierde gedencken/ und von keinen
regulis methodicis wissen wollen. Wie ich mirs vor keine schande achte/
daß mein lebetag in kein collegium homileticum gegangen bin/ noch ei-
nige Oratoriam Ecclesiasticam gelesen habe. Jm übrigen habe aus hertz-
lichem gutmeinen allein noch diese doppelte erinnerung zu thun/ weil es mit
dem Studio Theologico eine gantz andre bewandnüß hat/ als mit übrigen
studiis, indem zu diesen der menschliche fleiß nechst dem allgemeinen göttli-
chen beystand alles thut/ zu jenem aber auch das liecht des Heiligen Gei-
stes (solle anders/ was wir lernen wollen/ auch recht in das hertz kommen/
und dermahleins kräfftiger segen davon gehoffet werden) erfordert wird:
Daher einem Theologo zweyerley von nöthen ist/ daß er unabläßig vor
und auch unter seinen studiis GOTT um seinen Heiligen Geist anruffe/
daß er ihm die innere augen seines verständnüß öffne/ zu einer nicht nur
buchstäblichen sondern wahrhafftig lebendigen erkäntnüß zu kommen/ und
die göttliche geheimnüssen auch in göttlichem liecht nach dem maaß des gei-
stes einzusehen (daher auch unser liebe Lutherus das gebet in seinen Me-
thodum Studii Theologici
setzet/ und gewiß dadurch so viel als durch
das übrige studiren selbs ausgerichtet werden muß) so dann/ daß er sich
alsobald in ein solches leben/ noch zeit seines studii, begebe/ indem er sich
der wahren gottseligkeit befleisse/ und nicht nur einen eusserlich ehrbarn
wandel führe/ hingegen der unter den Studiosis meistens graßiren-
den laster sich enthalte/ sondern auch innerlich sich mehr und mehr in
verleugnung sein selbs und der welt dermassen übe/ daß er auch

selbs

Das andere Capitel.
logie gruͤndlich eingenommen/ und gelernet hat die ſchrifft zu verſtehen/
und deroſelben reichthum ſelbs mit fleißigem unterſuchen einzuſehen/ be-
darff geringe anweiſung/ daß er nachmahls kraͤfftige und gruͤndliche predig-
ten thue/ mit groſſer erbauung/ und ohne noͤthig zu haben mit vielen ampli-
ficatio
nen die zeit zu fuͤllen/ nachdem ihm die ſchrifft ſelbs eine qvelle wird/
daraus ihm gnug aus jedem text zufleuſt. Dahingegen/ wo der meiſte fleiß
iſt/ das predigen zu einer redners-kunſt zu machen/ und in gewiſſe regulas
methodi
einzuſchrencken/ es gemeiniglich leute gibt/ die muſter und leiſten
zu zierlichen ſchuhen ſich angeſchafft/ und manglet ihnen nachmahlen an dem
leder/ aus dem ſie die ſchuhe zuſchneiden ſollen/ wiſſen ſie auch nicht nach
jegliches fuſſes beqvemlichkeit einzurichten: Es gibet predigten/ da man end-
lich viele zierliche wort und weitgehohlte amplificationes hoͤret/ wo aber das
frembde/ ſo zu der haupt-ſache nicht gehoͤret/ davon gethan wird/ bleibet
wenig ſafftiges und kraͤfftiges uͤbrig/ und die erbauung iſt gemeiniglich ſehr
gering: Daran es aber den jenigen nicht mangeln kan/ welche der ſchrifft
maͤchtig ſind/ da ihnen die dinge ſelbs zuflieſſen/ die der Heilige Geiſt in
jeglichem ort geleget/ ob ſie auch an keine zierde gedencken/ und von keinen
regulis methodicis wiſſen wollen. Wie ich mirs vor keine ſchande achte/
daß mein lebetag in kein collegium homileticum gegangen bin/ noch ei-
nige Oratoriam Eccleſiaſticam geleſen habe. Jm uͤbrigen habe aus hertz-
lichem gutmeinen allein noch dieſe doppelte erinnerung zu thun/ weil es mit
dem Studio Theologico eine gantz andre bewandnuͤß hat/ als mit uͤbrigen
ſtudiis, indem zu dieſen der menſchliche fleiß nechſt dem allgemeinen goͤttli-
chen beyſtand alles thut/ zu jenem aber auch das liecht des Heiligen Gei-
ſtes (ſolle anders/ was wir lernen wollen/ auch recht in das hertz kommen/
und dermahleins kraͤfftiger ſegen davon gehoffet werden) erfordert wird:
Daher einem Theologo zweyerley von noͤthen iſt/ daß er unablaͤßig vor
und auch unter ſeinen ſtudiis GOTT um ſeinen Heiligen Geiſt anruffe/
daß er ihm die innere augen ſeines verſtaͤndnuͤß oͤffne/ zu einer nicht nur
buchſtaͤblichen ſondern wahrhafftig lebendigen erkaͤntnuͤß zu kommen/ und
die goͤttliche geheimnuͤſſen auch in goͤttlichem liecht nach dem maaß des gei-
ſtes einzuſehen (daher auch unſer liebe Lutherus das gebet in ſeinen Me-
thodum Studii Theologici
ſetzet/ und gewiß dadurch ſo viel als durch
das uͤbrige ſtudiren ſelbs ausgerichtet werden muß) ſo dann/ daß er ſich
alſobald in ein ſolches leben/ noch zeit ſeines ſtudii, begebe/ indem er ſich
der wahren gottſeligkeit befleiſſe/ und nicht nur einen euſſerlich ehrbarn
wandel fuͤhre/ hingegen der unter den Studioſis meiſtens graßiren-
den laſter ſich enthalte/ ſondern auch innerlich ſich mehr und mehr in
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[412/0428] Das andere Capitel. logie gruͤndlich eingenommen/ und gelernet hat die ſchrifft zu verſtehen/ und deroſelben reichthum ſelbs mit fleißigem unterſuchen einzuſehen/ be- darff geringe anweiſung/ daß er nachmahls kraͤfftige und gruͤndliche predig- ten thue/ mit groſſer erbauung/ und ohne noͤthig zu haben mit vielen ampli- ficationen die zeit zu fuͤllen/ nachdem ihm die ſchrifft ſelbs eine qvelle wird/ daraus ihm gnug aus jedem text zufleuſt. Dahingegen/ wo der meiſte fleiß iſt/ das predigen zu einer redners-kunſt zu machen/ und in gewiſſe regulas methodi einzuſchrencken/ es gemeiniglich leute gibt/ die muſter und leiſten zu zierlichen ſchuhen ſich angeſchafft/ und manglet ihnen nachmahlen an dem leder/ aus dem ſie die ſchuhe zuſchneiden ſollen/ wiſſen ſie auch nicht nach jegliches fuſſes beqvemlichkeit einzurichten: Es gibet predigten/ da man end- lich viele zierliche wort und weitgehohlte amplificationes hoͤret/ wo aber das frembde/ ſo zu der haupt-ſache nicht gehoͤret/ davon gethan wird/ bleibet wenig ſafftiges und kraͤfftiges uͤbrig/ und die erbauung iſt gemeiniglich ſehr gering: Daran es aber den jenigen nicht mangeln kan/ welche der ſchrifft maͤchtig ſind/ da ihnen die dinge ſelbs zuflieſſen/ die der Heilige Geiſt in jeglichem ort geleget/ ob ſie auch an keine zierde gedencken/ und von keinen regulis methodicis wiſſen wollen. Wie ich mirs vor keine ſchande achte/ daß mein lebetag in kein collegium homileticum gegangen bin/ noch ei- nige Oratoriam Eccleſiaſticam geleſen habe. Jm uͤbrigen habe aus hertz- lichem gutmeinen allein noch dieſe doppelte erinnerung zu thun/ weil es mit dem Studio Theologico eine gantz andre bewandnuͤß hat/ als mit uͤbrigen ſtudiis, indem zu dieſen der menſchliche fleiß nechſt dem allgemeinen goͤttli- chen beyſtand alles thut/ zu jenem aber auch das liecht des Heiligen Gei- ſtes (ſolle anders/ was wir lernen wollen/ auch recht in das hertz kommen/ und dermahleins kraͤfftiger ſegen davon gehoffet werden) erfordert wird: Daher einem Theologo zweyerley von noͤthen iſt/ daß er unablaͤßig vor und auch unter ſeinen ſtudiis GOTT um ſeinen Heiligen Geiſt anruffe/ daß er ihm die innere augen ſeines verſtaͤndnuͤß oͤffne/ zu einer nicht nur buchſtaͤblichen ſondern wahrhafftig lebendigen erkaͤntnuͤß zu kommen/ und die goͤttliche geheimnuͤſſen auch in goͤttlichem liecht nach dem maaß des gei- ſtes einzuſehen (daher auch unſer liebe Lutherus das gebet in ſeinen Me- thodum Studii Theologici ſetzet/ und gewiß dadurch ſo viel als durch das uͤbrige ſtudiren ſelbs ausgerichtet werden muß) ſo dann/ daß er ſich alſobald in ein ſolches leben/ noch zeit ſeines ſtudii, begebe/ indem er ſich der wahren gottſeligkeit befleiſſe/ und nicht nur einen euſſerlich ehrbarn wandel fuͤhre/ hingegen der unter den Studioſis meiſtens graßiren- den laſter ſich enthalte/ ſondern auch innerlich ſich mehr und mehr in verleugnung ſein ſelbs und der welt dermaſſen uͤbe/ daß er auch ſelbs

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/428>, abgerufen am 25.11.2024.