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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das erste Capitel.
fleißiger wir uns bezeugen den willen des himmlischen vaters zu thun/ so
viel mehr werden wir inne/ daß die lehre von GOtt seye. Joh. 7/ 17.
3. Von der unempfindlichkeit des glaubens
auch mit wenigem zugeden-
cken/ ist solche eine gemeine klage mancher auch rechtschaffenen Christen/ und
eines ihrer schwehrsten leiden/ wegen der ängsten/ welche dabey sich zu finden
pflegen. Jch finde aber bey solcher materie vornehmlich diese stücke zu beob-
achten. 1. Es kan der glaube seyn/ wo er nicht empfunden wird/ so wol als
das leben bey einem/ der in tieffer ohnmacht liget. Denn es ist der glaube ei-
gentlich in dem geist/ das ist in der höchsten krafft der seelen/ wo GOtt woh-
net als in dem alten allerheiligsten/ und deswegen kein liecht darinnen ist/ als
das seinige/ die empfindlichkeit aber des glaubens/ als dessen auswirckung/ ist
in der seele (wie sie nach unsers lieben Lutheri erklährung über das Magnificat
dem geist entgegen gesetzt wird) und also in deren eusseren kräfften/ wohin
die gedancken/ gedächtnüß/ phantasie/ und also auch die reflexion dessen was
wir erkennen/ gehöret. Daher kan geschehen/ daß der glaube also in dem geist
verborgen bleibe/ daß die wirckung oder ausfluß der empfindlichkeit dessel-
ben zurück gehalten wird/ und er nur in dem innersten/ daher uns verborgen
bleibet. 2. Jndessen kennet man ihn doch alsdann an andern wirckungen/
als zum exempel an dem brünstigen und inniglichen verlangen nach demsel-
ben/ in welchem er wahrhafftig ob wol verborgen stecket/ wie der selige Arnd
schön zeiget/ Wahr. Christenth. 2/ 53. so dann an dem fleiß der heiligung/ eiff-
rigen ernst GOtt treulich zu dienen/ eckel an der welt/ und dero hertzlichen
verleugnung/ freude an dem guten/ haß des bösen oder traurigkeit darüber/
samt allen übrigen früchten des geistes/ welche die schrifft von den kindern
GOttes rühmet; denn wo diese oder doch der ungeheuchelte eiffer darnach
sich in einer seele findet/ dessen sie gar leicht eine überzeugung bey sich/ ob wohl
der glaube unmittelbahr unempfindlich bleibet/ fühlen kan/ da kan sie so ge-
wiß schliessen/ daß der glaube auch bey ihr seyn müsse/ als ich von einem
baum/ an dem ich gesunde und reiffe früchte sehe/ mich versichert weiß/ daß
auch die wurtzel/ die in der erde verborgen liget/ gut und gesund seye. Also
wird der glaube empfindlich in seinen wirckungen mit nicht weniger gewiß-
heit als ob man ihn selbst empfünde. 3. Weswegen wer in solcher unempfind-
lichkeit stehet/ zum aller fordristen sich wohl zu prüfen hat/ einstheils ob er et-
wa in einer solchen unwissenheit der Christlichen articul/ die zu dem grund
unsers glaubens gehören/ stehen möchte/ wo er also auch nicht empfinden kan/
was er wahrhafftig nicht hat/ andern theils ob er in sünden wider das gewis-
sen lebe/ bey welchen er alles liechtes des H. Geistes unfähig/ und also in der
that kein glaube bey ihm wäre; in welchem fall er sich nicht so wol um die em-

pfind-

Das erſte Capitel.
fleißiger wir uns bezeugen den willen des himmliſchen vaters zu thun/ ſo
viel mehr werden wir inne/ daß die lehre von GOtt ſeye. Joh. 7/ 17.
3. Von der unempfindlichkeit des glaubens
auch mit wenigem zugeden-
cken/ iſt ſolche eine gemeine klage mancher auch rechtſchaffenen Chriſten/ und
eines ihrer ſchwehrſten leiden/ wegen der aͤngſten/ welche dabey ſich zu finden
pflegen. Jch finde aber bey ſolcher materie vornehmlich dieſe ſtuͤcke zu beob-
achten. 1. Es kan der glaube ſeyn/ wo er nicht empfunden wird/ ſo wol als
das leben bey einem/ der in tieffer ohnmacht liget. Denn es iſt der glaube ei-
gentlich in dem geiſt/ das iſt in der hoͤchſten krafft der ſeelen/ wo GOtt woh-
net als in dem alten allerheiligſten/ und deswegen kein liecht darinnen iſt/ als
das ſeinige/ die empfindlichkeit aber des glaubens/ als deſſen auswirckung/ iſt
in der ſeele (wie ſie nach unſers lieben Lutheri erklaͤhrung uͤber das Magnificat
dem geiſt entgegen geſetzt wird) und alſo in deren euſſeren kraͤfften/ wohin
die gedancken/ gedaͤchtnuͤß/ phantaſie/ und alſo auch die reflexion deſſen was
wir erkennen/ gehoͤret. Daher kan geſchehen/ daß der glaube alſo in dem geiſt
verborgen bleibe/ daß die wirckung oder ausfluß der empfindlichkeit deſſel-
ben zuruͤck gehalten wird/ und er nur in dem innerſten/ daher uns verborgen
bleibet. 2. Jndeſſen kennet man ihn doch alsdann an andern wirckungen/
als zum exempel an dem bruͤnſtigen und inniglichen verlangen nach demſel-
ben/ in welchem er wahrhafftig ob wol verborgen ſtecket/ wie der ſelige Arnd
ſchoͤn zeiget/ Wahr. Chriſtenth. 2/ 53. ſo dann an dem fleiß der heiligung/ eiff-
rigen ernſt GOtt treulich zu dienen/ eckel an der welt/ und dero hertzlichen
verleugnung/ freude an dem guten/ haß des boͤſen oder traurigkeit daruͤber/
ſamt allen uͤbrigen fruͤchten des geiſtes/ welche die ſchrifft von den kindern
GOttes ruͤhmet; denn wo dieſe oder doch der ungeheuchelte eiffer darnach
ſich in einer ſeele findet/ deſſen ſie gar leicht eine uͤberzeugung bey ſich/ ob wohl
der glaube unmittelbahr unempfindlich bleibet/ fuͤhlen kan/ da kan ſie ſo ge-
wiß ſchlieſſen/ daß der glaube auch bey ihr ſeyn muͤſſe/ als ich von einem
baum/ an dem ich geſunde und reiffe fruͤchte ſehe/ mich verſichert weiß/ daß
auch die wurtzel/ die in der erde verborgen liget/ gut und geſund ſeye. Alſo
wird der glaube empfindlich in ſeinen wirckungen mit nicht weniger gewiß-
heit als ob man ihn ſelbſt empfuͤnde. 3. Weswegen wer in ſolcher unempfind-
lichkeit ſtehet/ zum aller fordriſten ſich wohl zu pruͤfen hat/ einstheils ob er et-
wa in einer ſolchen unwiſſenheit der Chriſtlichen articul/ die zu dem grund
unſers glaubens gehoͤren/ ſtehen moͤchte/ wo er alſo auch nicht empfinden kan/
was er wahrhafftig nicht hat/ andern theils ob er in ſuͤnden wider das gewiſ-
ſen lebe/ bey welchen er alles liechtes des H. Geiſtes unfaͤhig/ und alſo in der
that kein glaube bey ihm waͤre; in welchem fall er ſich nicht ſo wol um die em-

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[36/0052] Das erſte Capitel. fleißiger wir uns bezeugen den willen des himmliſchen vaters zu thun/ ſo viel mehr werden wir inne/ daß die lehre von GOtt ſeye. Joh. 7/ 17. 3. Von der unempfindlichkeit des glaubens auch mit wenigem zugeden- cken/ iſt ſolche eine gemeine klage mancher auch rechtſchaffenen Chriſten/ und eines ihrer ſchwehrſten leiden/ wegen der aͤngſten/ welche dabey ſich zu finden pflegen. Jch finde aber bey ſolcher materie vornehmlich dieſe ſtuͤcke zu beob- achten. 1. Es kan der glaube ſeyn/ wo er nicht empfunden wird/ ſo wol als das leben bey einem/ der in tieffer ohnmacht liget. Denn es iſt der glaube ei- gentlich in dem geiſt/ das iſt in der hoͤchſten krafft der ſeelen/ wo GOtt woh- net als in dem alten allerheiligſten/ und deswegen kein liecht darinnen iſt/ als das ſeinige/ die empfindlichkeit aber des glaubens/ als deſſen auswirckung/ iſt in der ſeele (wie ſie nach unſers lieben Lutheri erklaͤhrung uͤber das Magnificat dem geiſt entgegen geſetzt wird) und alſo in deren euſſeren kraͤfften/ wohin die gedancken/ gedaͤchtnuͤß/ phantaſie/ und alſo auch die reflexion deſſen was wir erkennen/ gehoͤret. Daher kan geſchehen/ daß der glaube alſo in dem geiſt verborgen bleibe/ daß die wirckung oder ausfluß der empfindlichkeit deſſel- ben zuruͤck gehalten wird/ und er nur in dem innerſten/ daher uns verborgen bleibet. 2. Jndeſſen kennet man ihn doch alsdann an andern wirckungen/ als zum exempel an dem bruͤnſtigen und inniglichen verlangen nach demſel- ben/ in welchem er wahrhafftig ob wol verborgen ſtecket/ wie der ſelige Arnd ſchoͤn zeiget/ Wahr. Chriſtenth. 2/ 53. ſo dann an dem fleiß der heiligung/ eiff- rigen ernſt GOtt treulich zu dienen/ eckel an der welt/ und dero hertzlichen verleugnung/ freude an dem guten/ haß des boͤſen oder traurigkeit daruͤber/ ſamt allen uͤbrigen fruͤchten des geiſtes/ welche die ſchrifft von den kindern GOttes ruͤhmet; denn wo dieſe oder doch der ungeheuchelte eiffer darnach ſich in einer ſeele findet/ deſſen ſie gar leicht eine uͤberzeugung bey ſich/ ob wohl der glaube unmittelbahr unempfindlich bleibet/ fuͤhlen kan/ da kan ſie ſo ge- wiß ſchlieſſen/ daß der glaube auch bey ihr ſeyn muͤſſe/ als ich von einem baum/ an dem ich geſunde und reiffe fruͤchte ſehe/ mich verſichert weiß/ daß auch die wurtzel/ die in der erde verborgen liget/ gut und geſund ſeye. Alſo wird der glaube empfindlich in ſeinen wirckungen mit nicht weniger gewiß- heit als ob man ihn ſelbſt empfuͤnde. 3. Weswegen wer in ſolcher unempfind- lichkeit ſtehet/ zum aller fordriſten ſich wohl zu pruͤfen hat/ einstheils ob er et- wa in einer ſolchen unwiſſenheit der Chriſtlichen articul/ die zu dem grund unſers glaubens gehoͤren/ ſtehen moͤchte/ wo er alſo auch nicht empfinden kan/ was er wahrhafftig nicht hat/ andern theils ob er in ſuͤnden wider das gewiſ- ſen lebe/ bey welchen er alles liechtes des H. Geiſtes unfaͤhig/ und alſo in der that kein glaube bey ihm waͤre; in welchem fall er ſich nicht ſo wol um die em- pfind-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/52>, abgerufen am 24.11.2024.