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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das andere Capitel.
worden/ ich meinem gewissen ruhe zu schaffen/ so sehr zurück gehalten/ und
endlich die beyde städte bloß über mich disponiren lassen/ daß ich des göttli-
chen willens/ und nichts selbs gethan zu haben/ desto mehr überzeuget wür-
de. Hingegen habe einen guten freund gekant/ welcher sich von einem kir-
chen-dienst zu dem andern (der darzu ohne sein gesuch ihm auffgetragen wur-
de) versetzen ließ/ aber bald da ers dieses orts nicht fand/ wie ers gehoffet/ in
sehr schwehre anfechtung gerathen/ und sein hertz durch schreiben nicht nur ein-
mahl gegen mich ausgeschüttet/ und solches mit viel tausend thränen zu
thun bezeugete: ich weiß auch nicht/ ob er sich völlig biß in seinen todt/ in
dem er nach 2. jahren von der pest weggerissen wurde (da sichs darzu mit der
frucht deß Ministerii besser anfing anzulassen) tranquilliret habe. Ob aber
mein geliebter bruder/ was seinen beruff anlangt/ in seiner absicht/ die er da-
bey gehabt/ und GOtt allein dieselbe bey uns einsihet oder in andern umstän-
den finde/ daß sich fleischliches eingemischet/ oder das meiste darinnen gethan
hätte/ weiß ich nicht/ habe auch nicht ursach/ wider die liebe zu argwohnen/ es
wäre dann sach/ daß dieser beklagte scrupel dessen eine sorge machen möchte.
Wäre es aber/ so bekenne/ daß mit einer hertzlichen buß und demuth solches
vor GOtt zu erkennen/ und seine gnade wieder zu suchen/ würde biß daher
nöthig gewesen seyn/ biß man wieder in seinem hertzen solcher versöhnung
versicherung fühlete. Wofern aber solcher scrupul thesin betrifft/ und ei-
gentlich allein darauff gehet/ daß die vocation zu einer schul-arbeit gesche-
hen/ achte ich/ daß demselben leichter möge begegnet werden/ wiewohl es zim-
lich auch in diesem speciali auff das generale ankommet/ ob wir nemlich der
göttlichen vocation und leitung uns versichert befinden. Haben wir in un-
serer seelen die gewißheit/ von GOtt wahrhafftig beruffen zu seyn/ so stehet
ja diesem frey/ seine diener nach belieben zu beruffen/ wohin und wozu er
selbs will/ und also fället abermahl die sorge. Daß aber auch insgemein
von dem kirchen-dienst zu der schul der übergang nicht so frembd zu achten
seye/ meine ich daraus zu erhellen/ weil beyderseits der zweck/ wie auch vieles
von den verrichtungen überein kommet: Dann wie der zweck des kirchen-
diensts ist/ die ihm anvertraute seelen zu GOtt und ihrer seligkeit durch lehr/
vermahnung/ straff/ trost und dergleichen zu führen/ daß nemlich durch die
krafft des worts der glaube in ihnen gewircket/ erhalten/ gestärcket/ und sie
darinnen der göttlichen gnade theilhafftig werden/ so ist der zweck eines
Christlichen Rectoris und Praeceptoris, daß gleichfals durch seine informa-
tion
oder unter seiner direction die jugend nicht nur zu guten künsten und
sprachen angeführet/ sondern vornemlich zur lebendigen erkäntnüß GOT-
TES gebracht/ diese in ihnen erwecket und vermehret/ das göttliche bild in
ihnen erneuert/ und auff ihr lebenlang ein fester grund geleget werde. Da-

zu

Das andere Capitel.
worden/ ich meinem gewiſſen ruhe zu ſchaffen/ ſo ſehr zuruͤck gehalten/ und
endlich die beyde ſtaͤdte bloß uͤber mich diſponiren laſſen/ daß ich des goͤttli-
chen willens/ und nichts ſelbs gethan zu haben/ deſto mehr uͤberzeuget wuͤr-
de. Hingegen habe einen guten freund gekant/ welcher ſich von einem kir-
chen-dienſt zu dem andern (der darzu ohne ſein geſuch ihm auffgetragen wur-
de) verſetzen ließ/ aber bald da ers dieſes orts nicht fand/ wie ers gehoffet/ in
ſehr ſchwehre anfechtung gerathen/ und ſein hertz durch ſchreiben nicht nur ein-
mahl gegen mich ausgeſchuͤttet/ und ſolches mit viel tauſend thraͤnen zu
thun bezeugete: ich weiß auch nicht/ ob er ſich voͤllig biß in ſeinen todt/ in
dem er nach 2. jahren von der peſt weggeriſſen wurde (da ſichs darzu mit der
frucht deß Miniſterii beſſer anfing anzulaſſen) tranquilliret habe. Ob aber
mein geliebter bruder/ was ſeinen beruff anlangt/ in ſeiner abſicht/ die er da-
bey gehabt/ und GOtt allein dieſelbe bey uns einſihet oder in andern umſtaͤn-
den finde/ daß ſich fleiſchliches eingemiſchet/ oder das meiſte darinnen gethan
haͤtte/ weiß ich nicht/ habe auch nicht urſach/ wider die liebe zu argwohnen/ es
waͤre dann ſach/ daß dieſer beklagte ſcrupel deſſen eine ſorge machen moͤchte.
Waͤre es aber/ ſo bekenne/ daß mit einer hertzlichen buß und demuth ſolches
vor GOtt zu erkennen/ und ſeine gnade wieder zu ſuchen/ wuͤrde biß daher
noͤthig geweſen ſeyn/ biß man wieder in ſeinem hertzen ſolcher verſoͤhnung
verſicherung fuͤhlete. Wofern aber ſolcher ſcrupul theſin betrifft/ und ei-
gentlich allein darauff gehet/ daß die vocation zu einer ſchul-arbeit geſche-
hen/ achte ich/ daß demſelben leichter moͤge begegnet werden/ wiewohl es zim-
lich auch in dieſem ſpeciali auff das generale ankommet/ ob wir nemlich der
goͤttlichen vocation und leitung uns verſichert befinden. Haben wir in un-
ſerer ſeelen die gewißheit/ von GOtt wahrhafftig beruffen zu ſeyn/ ſo ſtehet
ja dieſem frey/ ſeine diener nach belieben zu beruffen/ wohin und wozu er
ſelbs will/ und alſo faͤllet abermahl die ſorge. Daß aber auch insgemein
von dem kirchen-dienſt zu der ſchul der uͤbergang nicht ſo frembd zu achten
ſeye/ meine ich daraus zu erhellen/ weil beyderſeits der zweck/ wie auch vieles
von den verrichtungen uͤberein kommet: Dann wie der zweck des kirchen-
dienſts iſt/ die ihm anvertraute ſeelen zu GOtt und ihrer ſeligkeit durch lehr/
vermahnung/ ſtraff/ troſt und dergleichen zu fuͤhren/ daß nemlich durch die
krafft des worts der glaube in ihnen gewircket/ erhalten/ geſtaͤrcket/ und ſie
darinnen der goͤttlichen gnade theilhafftig werden/ ſo iſt der zweck eines
Chriſtlichen Rectoris und Præceptoris, daß gleichfals durch ſeine informa-
tion
oder unter ſeiner direction die jugend nicht nur zu guten kuͤnſten und
ſprachen angefuͤhret/ ſondern vornemlich zur lebendigen erkaͤntnuͤß GOT-
TES gebracht/ dieſe in ihnen erwecket und vermehret/ das goͤttliche bild in
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[578/0594] Das andere Capitel. worden/ ich meinem gewiſſen ruhe zu ſchaffen/ ſo ſehr zuruͤck gehalten/ und endlich die beyde ſtaͤdte bloß uͤber mich diſponiren laſſen/ daß ich des goͤttli- chen willens/ und nichts ſelbs gethan zu haben/ deſto mehr uͤberzeuget wuͤr- de. Hingegen habe einen guten freund gekant/ welcher ſich von einem kir- chen-dienſt zu dem andern (der darzu ohne ſein geſuch ihm auffgetragen wur- de) verſetzen ließ/ aber bald da ers dieſes orts nicht fand/ wie ers gehoffet/ in ſehr ſchwehre anfechtung gerathen/ und ſein hertz durch ſchreiben nicht nur ein- mahl gegen mich ausgeſchuͤttet/ und ſolches mit viel tauſend thraͤnen zu thun bezeugete: ich weiß auch nicht/ ob er ſich voͤllig biß in ſeinen todt/ in dem er nach 2. jahren von der peſt weggeriſſen wurde (da ſichs darzu mit der frucht deß Miniſterii beſſer anfing anzulaſſen) tranquilliret habe. Ob aber mein geliebter bruder/ was ſeinen beruff anlangt/ in ſeiner abſicht/ die er da- bey gehabt/ und GOtt allein dieſelbe bey uns einſihet oder in andern umſtaͤn- den finde/ daß ſich fleiſchliches eingemiſchet/ oder das meiſte darinnen gethan haͤtte/ weiß ich nicht/ habe auch nicht urſach/ wider die liebe zu argwohnen/ es waͤre dann ſach/ daß dieſer beklagte ſcrupel deſſen eine ſorge machen moͤchte. Waͤre es aber/ ſo bekenne/ daß mit einer hertzlichen buß und demuth ſolches vor GOtt zu erkennen/ und ſeine gnade wieder zu ſuchen/ wuͤrde biß daher noͤthig geweſen ſeyn/ biß man wieder in ſeinem hertzen ſolcher verſoͤhnung verſicherung fuͤhlete. Wofern aber ſolcher ſcrupul theſin betrifft/ und ei- gentlich allein darauff gehet/ daß die vocation zu einer ſchul-arbeit geſche- hen/ achte ich/ daß demſelben leichter moͤge begegnet werden/ wiewohl es zim- lich auch in dieſem ſpeciali auff das generale ankommet/ ob wir nemlich der goͤttlichen vocation und leitung uns verſichert befinden. Haben wir in un- ſerer ſeelen die gewißheit/ von GOtt wahrhafftig beruffen zu ſeyn/ ſo ſtehet ja dieſem frey/ ſeine diener nach belieben zu beruffen/ wohin und wozu er ſelbs will/ und alſo faͤllet abermahl die ſorge. Daß aber auch insgemein von dem kirchen-dienſt zu der ſchul der uͤbergang nicht ſo frembd zu achten ſeye/ meine ich daraus zu erhellen/ weil beyderſeits der zweck/ wie auch vieles von den verrichtungen uͤberein kommet: Dann wie der zweck des kirchen- dienſts iſt/ die ihm anvertraute ſeelen zu GOtt und ihrer ſeligkeit durch lehr/ vermahnung/ ſtraff/ troſt und dergleichen zu fuͤhren/ daß nemlich durch die krafft des worts der glaube in ihnen gewircket/ erhalten/ geſtaͤrcket/ und ſie darinnen der goͤttlichen gnade theilhafftig werden/ ſo iſt der zweck eines Chriſtlichen Rectoris und Præceptoris, daß gleichfals durch ſeine informa- tion oder unter ſeiner direction die jugend nicht nur zu guten kuͤnſten und ſprachen angefuͤhret/ ſondern vornemlich zur lebendigen erkaͤntnuͤß GOT- TES gebracht/ dieſe in ihnen erwecket und vermehret/ das goͤttliche bild in ihnen erneuert/ und auff ihr lebenlang ein feſter grund geleget werde. Da- zu

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 578. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/594>, abgerufen am 22.11.2024.