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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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sich diesen vorsatz in dem HErren nimmet/ den wird er nicht verlassen. Nechst
dem erfreue ich mich hertzlich/ daß er selbs bezeuget/ er befleißige sich in seinen
predigten der einfalt/ und führe die leute auff die praxin. Ach lieber bruder/
dieses halte er sein lebtag vor seine größte kunst/ wo er ohne einige menschliche
kunst in einer göttl. einfalt den leuten die jenige wahrheit vorträget/ welche
alle die in der furcht des HErrn acht geben wollen/ wol fassen können/ und das
er ja sein lebtag keine zeit ihm selbs oder seinen zuhörern verderbe/ mit ein-
führung solcher dinge/ welche allein ad ostentationem eruditionis, oder eine
verwunderung des volcks zu er wecken/ dienen und dahin gemeinet sind/ hin-
gegen keinen nutzen einer stärckung des glaubens oder beforderung dessen
früchten mit sich bringen: denn solche sachen sind nicht nur unnütz/ sondern bey
recht Christl. seelen erwecken sie eine hertzliche betrübnüß/ solche dinge von der
heil. stätte zu hören/ welche nicht aus Gott/ oder zu seinen ehren gerichtet sind/
daher auch bey ihnen/ das übrige nützlich vorgetragene fast etwas nachtheil
leidet/ und nicht so wol erbauet/ weil es von einem menschen kommet/ dessen
eiteln sinn sie aus anderem haben kennen lernen. Was die controversias an-
langt/ ist derselben vortragung nicht zu verachten/ sondern wo es des audito-
rii
nothdurfft erfordert/ und der text mit sich bringet/ thun die jenige wohl/
welchen GOtt solche gaben/ und die gründl. erudition (ohne die die abhand-
lung solcher materien fast schlecht abgehet/ und weil sie aus schwachheit der
vortragenden den leuten eher scrupel machen können/ billig von denselben/ die
sich dessen bewust seynd/ unterlassen werden sollen) verliehen hat/ daß sie die-
selbe gründlich vorlegen/ und die zuhörer gegen die verführer verwahren. Sie
gehören aber nicht allen zu/ und bedürffen weder allezeit noch aller orten ge-
trieben zu werden. Wo aber der praxeos gedacht wird/ ist abermahl nicht die
meinung/ daß man bey den moralien bleiben solle/ sondern das erste in der pra-
xi
ist selbs die praxis fidei, und am allermeisten dahin zu trachten/ daß durch
die predigt des heil. Evangelii/ und die theure sprüche der göttl. gnaden und
heils-güter/ wo sie gründl. und beweglich vorgeleget/ die hertzen der zuhörer zu
einem rechtschaffenen glauben und vertrauen gegen den himmlischen Vater
gebracht werden mögen/ daraus so bald eine hertzl. liebe gegen denselben folg-
lich auch ein ernster fleiß in den übrigen geboten des Herren aus liebe zu wan-
deln/ nothwendig entstehen wird; Da haben alsdann/ wo dieses zum grund
geleget wird/ die eigentl. so genannte moralia auch ihren nutzen. Also lasse er
ihm dieses sein lebtag eine regul seyn/ seinen haupt-zweck darinnen zu setzen/
daß er einen guten baum setzen/ das ist/ den glauben vermittels des Heiligen
Geistes wirckung in die hertzen bringen/ daraus eine liebe gegen Gott erwe-
cken/ und dadurch das übrige gottsel. leben zuwege bringen möge. Dieses wird
das amt eines rechten Evangel. predigers seyn. Geschicht es aber nicht auf die
weise/ und suchet man nicht den glauben einzupredigen/ so ist das meiste ver-

ge-

Das andere Capitel.
ſich dieſen vorſatz in dem HErren nimmet/ den wird er nicht verlaſſen. Nechſt
dem erfreue ich mich hertzlich/ daß er ſelbs bezeuget/ er befleißige ſich in ſeinen
predigten der einfalt/ und fuͤhre die leute auff die praxin. Ach lieber bruder/
dieſes halte er ſein lebtag vor ſeine groͤßte kunſt/ wo er ohne einige menſchliche
kunſt in einer goͤttl. einfalt den leuten die jenige wahrheit vortraͤget/ welche
alle die in der furcht des HErrn acht geben wollen/ wol faſſen koͤnnen/ und das
er ja ſein lebtag keine zeit ihm ſelbs oder ſeinen zuhoͤrern verderbe/ mit ein-
fuͤhrung ſolcher dinge/ welche allein ad oſtentationem eruditionis, oder eine
verwunderung des volcks zu er wecken/ dienen und dahin gemeinet ſind/ hin-
gegen keinen nutzen einer ſtaͤrckung des glaubens oder beforderung deſſen
fruͤchten mit ſich bringen: denn ſolche ſachen ſind nicht nur unnuͤtz/ ſondern bey
recht Chriſtl. ſeelen erwecken ſie eine hertzliche betruͤbnuͤß/ ſolche dinge von der
heil. ſtaͤtte zu hoͤren/ welche nicht aus Gott/ oder zu ſeinen ehren gerichtet ſind/
daher auch bey ihnen/ das uͤbrige nuͤtzlich vorgetragene faſt etwas nachtheil
leidet/ und nicht ſo wol erbauet/ weil es von einem menſchen kommet/ deſſen
eiteln ſinn ſie aus anderem haben kennen lernen. Was die controverſias an-
langt/ iſt derſelben vortragung nicht zu verachten/ ſondern wo es des audito-
rii
nothdurfft erfordert/ und der text mit ſich bringet/ thun die jenige wohl/
welchen GOtt ſolche gaben/ und die gruͤndl. erudition (ohne die die abhand-
lung ſolcher materien faſt ſchlecht abgehet/ und weil ſie aus ſchwachheit der
vortragenden den leuten eher ſcrupel machen koͤnnen/ billig von denſelben/ die
ſich deſſen bewuſt ſeynd/ unterlaſſen werden ſollen) verliehen hat/ daß ſie die-
ſelbe gruͤndlich vorlegen/ und die zuhoͤrer gegen die verfuͤhrer verwahren. Sie
gehoͤren aber nicht allen zu/ und beduͤrffen weder allezeit noch aller orten ge-
trieben zu werden. Wo aber der praxeos gedacht wird/ iſt abermahl nicht die
meinung/ daß man bey den moralien bleiben ſolle/ ſondern das erſte in der pra-
xi
iſt ſelbs die praxis fidei, und am allermeiſten dahin zu trachten/ daß durch
die predigt des heil. Evangelii/ und die theure ſpruͤche der goͤttl. gnaden und
heils-guͤter/ wo ſie gruͤndl. und beweglich voꝛgeleget/ die hertzen der zuhoͤrer zu
einem rechtſchaffenen glauben und vertrauen gegen den himmliſchen Vater
gebracht werden moͤgen/ daraus ſo bald eine hertzl. liebe gegen denſelben folg-
lich auch ein ernſter fleiß in den uͤbrigen geboten des Herren aus liebe zu wan-
deln/ nothwendig entſtehen wird; Da haben alsdann/ wo dieſes zum grund
geleget wird/ die eigentl. ſo genannte moralia auch ihren nutzen. Alſo laſſe er
ihm dieſes ſein lebtag eine regul ſeyn/ ſeinen haupt-zweck darinnen zu ſetzen/
daß er einen guten baum ſetzen/ das iſt/ den glauben vermittels des Heiligen
Geiſtes wirckung in die hertzen bringen/ daraus eine liebe gegen Gott erwe-
cken/ und dadurch das uͤbrige gottſel. leben zuwege bringen moͤge. Dieſes wird
das amt eines rechten Evangel. predigers ſeyn. Geſchicht es aber nicht auf die
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ge-
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[690/0706] Das andere Capitel. ſich dieſen vorſatz in dem HErren nimmet/ den wird er nicht verlaſſen. Nechſt dem erfreue ich mich hertzlich/ daß er ſelbs bezeuget/ er befleißige ſich in ſeinen predigten der einfalt/ und fuͤhre die leute auff die praxin. Ach lieber bruder/ dieſes halte er ſein lebtag vor ſeine groͤßte kunſt/ wo er ohne einige menſchliche kunſt in einer goͤttl. einfalt den leuten die jenige wahrheit vortraͤget/ welche alle die in der furcht des HErrn acht geben wollen/ wol faſſen koͤnnen/ und das er ja ſein lebtag keine zeit ihm ſelbs oder ſeinen zuhoͤrern verderbe/ mit ein- fuͤhrung ſolcher dinge/ welche allein ad oſtentationem eruditionis, oder eine verwunderung des volcks zu er wecken/ dienen und dahin gemeinet ſind/ hin- gegen keinen nutzen einer ſtaͤrckung des glaubens oder beforderung deſſen fruͤchten mit ſich bringen: denn ſolche ſachen ſind nicht nur unnuͤtz/ ſondern bey recht Chriſtl. ſeelen erwecken ſie eine hertzliche betruͤbnuͤß/ ſolche dinge von der heil. ſtaͤtte zu hoͤren/ welche nicht aus Gott/ oder zu ſeinen ehren gerichtet ſind/ daher auch bey ihnen/ das uͤbrige nuͤtzlich vorgetragene faſt etwas nachtheil leidet/ und nicht ſo wol erbauet/ weil es von einem menſchen kommet/ deſſen eiteln ſinn ſie aus anderem haben kennen lernen. Was die controverſias an- langt/ iſt derſelben vortragung nicht zu verachten/ ſondern wo es des audito- rii nothdurfft erfordert/ und der text mit ſich bringet/ thun die jenige wohl/ welchen GOtt ſolche gaben/ und die gruͤndl. erudition (ohne die die abhand- lung ſolcher materien faſt ſchlecht abgehet/ und weil ſie aus ſchwachheit der vortragenden den leuten eher ſcrupel machen koͤnnen/ billig von denſelben/ die ſich deſſen bewuſt ſeynd/ unterlaſſen werden ſollen) verliehen hat/ daß ſie die- ſelbe gruͤndlich vorlegen/ und die zuhoͤrer gegen die verfuͤhrer verwahren. Sie gehoͤren aber nicht allen zu/ und beduͤrffen weder allezeit noch aller orten ge- trieben zu werden. Wo aber der praxeos gedacht wird/ iſt abermahl nicht die meinung/ daß man bey den moralien bleiben ſolle/ ſondern das erſte in der pra- xi iſt ſelbs die praxis fidei, und am allermeiſten dahin zu trachten/ daß durch die predigt des heil. Evangelii/ und die theure ſpruͤche der goͤttl. gnaden und heils-guͤter/ wo ſie gruͤndl. und beweglich voꝛgeleget/ die hertzen der zuhoͤrer zu einem rechtſchaffenen glauben und vertrauen gegen den himmliſchen Vater gebracht werden moͤgen/ daraus ſo bald eine hertzl. liebe gegen denſelben folg- lich auch ein ernſter fleiß in den uͤbrigen geboten des Herren aus liebe zu wan- deln/ nothwendig entſtehen wird; Da haben alsdann/ wo dieſes zum grund geleget wird/ die eigentl. ſo genannte moralia auch ihren nutzen. Alſo laſſe er ihm dieſes ſein lebtag eine regul ſeyn/ ſeinen haupt-zweck darinnen zu ſetzen/ daß er einen guten baum ſetzen/ das iſt/ den glauben vermittels des Heiligen Geiſtes wirckung in die hertzen bringen/ daraus eine liebe gegen Gott erwe- cken/ und dadurch das uͤbrige gottſel. leben zuwege bringen moͤge. Dieſes wird das amt eines rechten Evangel. predigers ſeyn. Geſchicht es aber nicht auf die weiſe/ und ſuchet man nicht den glauben einzupredigen/ ſo iſt das meiſte ver- ge-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 690. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/706>, abgerufen am 22.11.2024.