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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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SECTIO XII.
reissen und in die hölle stürtzen mögen/ sondern daß er die gantze zeit/ als er
von ihm nichts wissen wollen/ ja wol gar seiner gespottet/ und wo nicht mit
worten/ auffs wenigste mit so vielen bösen thaten/ ihn gelästert/ gleichwol
nicht unterlassen ihm gutes zu thun/ und damit nach Pauli lehr Rom. 2/ 4.
zur busse geleitet/ und sich durch die offtere verachtung nicht müde machen
lassen: biß er endlich durch die beständigkeit seiner gnade seine hartnäckigkeit
überwunden/ und die buß in ihm angefangen. Welche güte noch so vielmehr
zu erheben/ wo der mensch sich erinnert/ in seinem gottlosen stand dem tode
(und also der ewigen verdammnüß) wol gar aus eigener schuld/ und da er die
gefahr selbs gesucht/ so nahe gewesen zu seyn/ daß es eines sonderbaren schu-
tzes ihn zu erhalten bedorfft/ und der gnädige GOtt auch denselben geleistet
hat/ um die zeit der buß/ wie er wol gekont/ ihm nicht abgeschnitten werden zu
lassen. Am allermeisten aber erkennet er die überschwengliche gnade/ wo er sich
einiger exempel erinnert anderer/ die in gleicher gottlosigkeit/ oder auch an-
derer boßheit/ von göttlichem gericht weggerissen worden/ und also ohne buß
gewiß verlohren gegangen sind. Welches ihm gleichfals begegnen können/
und ers nicht weniger verschuldet hätte. Alle diese betrachtung der gött-
lichen barmhertzigkeit/ dienet nicht allein zu befestigung des glaubens/ son-
dern auch machet die reue erst recht heilsam/ daß ihm sein voriger zustand leid
seye/ nicht mehr allein oder vornemlich wegen der verdammnüß/ in die er/ wo
er darinne beharret/ gefallen seyn würde/ sondern aus betrübnüß seinen gü-
tigen vater so wol so lange nicht gekannt als so gröblich beleidiget zu haben/
daß er daran nicht anders als mit schaam und wehemuth gedencken kan.

§. XXIII. Ob nun wol diese betrachtung der göttlichen gnade/ die der
arme mensch an sich selbs erfahren hat/ und davon jetzt meldung geschehen/
bereits zu stärckung des glaubens dienet/ so wird doch bey einem solchen men-
schen/ weil es ihm auch theils an der erkäntnüß theils beyfall der göttlichen
wahrheiten gemangelt/ erfordert/ daß der in seiner seele wieder angezündete
funcke des glaubens recht zur krafft komme/ und zu einem rechten feur werde.
Darzu hat er sich der gehörigen mittel zu gebrauchen; zum fordersten eines
stets anhaltenden gebets um den H. Geist/ den der HErr den betenden ver-
heissen hat Luc. 11/ 13. daß ihm der vater denselben gebe/ als den geist der
weißheit und der offenbahrung zu sein selbs erkäntnüß/ und erleuchtete au-
gen des verständnüsses/ zu erkennen welches da seye die hoffnung unsers be-
ruffs und welches seye der reichthum seines herrlichen erbes an seinen heili-
gen. Eph. 1/ 17. 18. also daß er ihm den glauben/ auff den alles ankommet/
stärcke. Luc. 17/ 6. Mit dieser übung hat er stets umzugehen/ damit sich nie-
derzulegen und wieder auffzustehen.

§. XXIV.
H 2

SECTIO XII.
reiſſen und in die hoͤlle ſtuͤrtzen moͤgen/ ſondern daß er die gantze zeit/ als er
von ihm nichts wiſſen wollen/ ja wol gar ſeiner geſpottet/ und wo nicht mit
worten/ auffs wenigſte mit ſo vielen boͤſen thaten/ ihn gelaͤſtert/ gleichwol
nicht unterlaſſen ihm gutes zu thun/ und damit nach Pauli lehr Rom. 2/ 4.
zur buſſe geleitet/ und ſich durch die offtere verachtung nicht muͤde machen
laſſen: biß er endlich durch die beſtaͤndigkeit ſeiner gnade ſeine hartnaͤckigkeit
uͤberwunden/ und die buß in ihm angefangen. Welche guͤte noch ſo vielmehr
zu erheben/ wo der menſch ſich erinnert/ in ſeinem gottloſen ſtand dem tode
(und alſo der ewigen verdammnuͤß) wol gar aus eigener ſchuld/ und da er die
gefahr ſelbs geſucht/ ſo nahe geweſen zu ſeyn/ daß es eines ſonderbaren ſchu-
tzes ihn zu erhalten bedorfft/ und der gnaͤdige GOtt auch denſelben geleiſtet
hat/ um die zeit der buß/ wie er wol gekont/ ihm nicht abgeſchnitten werden zu
laſſen. Am allermeiſten aber erkennet er die uͤberſchwengliche gnade/ wo er ſich
einiger exempel erinnert anderer/ die in gleicher gottloſigkeit/ oder auch an-
derer boßheit/ von goͤttlichem gericht weggeriſſen worden/ und alſo ohne buß
gewiß verlohren gegangen ſind. Welches ihm gleichfals begegnen koͤnnen/
und ers nicht weniger verſchuldet haͤtte. Alle dieſe betrachtung der goͤtt-
lichen barmhertzigkeit/ dienet nicht allein zu befeſtigung des glaubens/ ſon-
dern auch machet die reue erſt recht heilſam/ daß ihm ſein voriger zuſtand leid
ſeye/ nicht mehr allein oder vornemlich wegen der verdammnuͤß/ in die er/ wo
er darinne beharret/ gefallen ſeyn wuͤrde/ ſondern aus betruͤbnuͤß ſeinen guͤ-
tigen vater ſo wol ſo lange nicht gekannt als ſo groͤblich beleidiget zu haben/
daß er daran nicht anders als mit ſchaam und wehemuth gedencken kan.

§. XXIII. Ob nun wol dieſe betrachtung der goͤttlichen gnade/ die der
arme menſch an ſich ſelbs erfahren hat/ und davon jetzt meldung geſchehen/
bereits zu ſtaͤrckung des glaubens dienet/ ſo wird doch bey einem ſolchen men-
ſchen/ weil es ihm auch theils an der erkaͤntnuͤß theils beyfall der goͤttlichen
wahrheiten gemangelt/ erfordert/ daß der in ſeiner ſeele wieder angezuͤndete
funcke des glaubens recht zur krafft komme/ und zu einem rechten feur werde.
Darzu hat er ſich der gehoͤrigen mittel zu gebrauchen; zum forderſten eines
ſtets anhaltenden gebets um den H. Geiſt/ den der HErr den betenden ver-
heiſſen hat Luc. 11/ 13. daß ihm der vater denſelben gebe/ als den geiſt der
weißheit und der offenbahrung zu ſein ſelbs erkaͤntnuͤß/ und erleuchtete au-
gen des verſtaͤndnuͤſſes/ zu erkennen welches da ſeye die hoffnung unſers be-
ruffs und welches ſeye der reichthum ſeines herrlichen erbes an ſeinen heili-
gen. Eph. 1/ 17. 18. alſo daß er ihm den glauben/ auff den alles ankommet/
ſtaͤrcke. Luc. 17/ 6. Mit dieſer uͤbung hat er ſtets umzugehen/ damit ſich nie-
derzulegen und wieder auffzuſtehen.

§. XXIV.
H 2
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[59/0075] SECTIO XII. reiſſen und in die hoͤlle ſtuͤrtzen moͤgen/ ſondern daß er die gantze zeit/ als er von ihm nichts wiſſen wollen/ ja wol gar ſeiner geſpottet/ und wo nicht mit worten/ auffs wenigſte mit ſo vielen boͤſen thaten/ ihn gelaͤſtert/ gleichwol nicht unterlaſſen ihm gutes zu thun/ und damit nach Pauli lehr Rom. 2/ 4. zur buſſe geleitet/ und ſich durch die offtere verachtung nicht muͤde machen laſſen: biß er endlich durch die beſtaͤndigkeit ſeiner gnade ſeine hartnaͤckigkeit uͤberwunden/ und die buß in ihm angefangen. Welche guͤte noch ſo vielmehr zu erheben/ wo der menſch ſich erinnert/ in ſeinem gottloſen ſtand dem tode (und alſo der ewigen verdammnuͤß) wol gar aus eigener ſchuld/ und da er die gefahr ſelbs geſucht/ ſo nahe geweſen zu ſeyn/ daß es eines ſonderbaren ſchu- tzes ihn zu erhalten bedorfft/ und der gnaͤdige GOtt auch denſelben geleiſtet hat/ um die zeit der buß/ wie er wol gekont/ ihm nicht abgeſchnitten werden zu laſſen. Am allermeiſten aber erkennet er die uͤberſchwengliche gnade/ wo er ſich einiger exempel erinnert anderer/ die in gleicher gottloſigkeit/ oder auch an- derer boßheit/ von goͤttlichem gericht weggeriſſen worden/ und alſo ohne buß gewiß verlohren gegangen ſind. Welches ihm gleichfals begegnen koͤnnen/ und ers nicht weniger verſchuldet haͤtte. Alle dieſe betrachtung der goͤtt- lichen barmhertzigkeit/ dienet nicht allein zu befeſtigung des glaubens/ ſon- dern auch machet die reue erſt recht heilſam/ daß ihm ſein voriger zuſtand leid ſeye/ nicht mehr allein oder vornemlich wegen der verdammnuͤß/ in die er/ wo er darinne beharret/ gefallen ſeyn wuͤrde/ ſondern aus betruͤbnuͤß ſeinen guͤ- tigen vater ſo wol ſo lange nicht gekannt als ſo groͤblich beleidiget zu haben/ daß er daran nicht anders als mit ſchaam und wehemuth gedencken kan. §. XXIII. Ob nun wol dieſe betrachtung der goͤttlichen gnade/ die der arme menſch an ſich ſelbs erfahren hat/ und davon jetzt meldung geſchehen/ bereits zu ſtaͤrckung des glaubens dienet/ ſo wird doch bey einem ſolchen men- ſchen/ weil es ihm auch theils an der erkaͤntnuͤß theils beyfall der goͤttlichen wahrheiten gemangelt/ erfordert/ daß der in ſeiner ſeele wieder angezuͤndete funcke des glaubens recht zur krafft komme/ und zu einem rechten feur werde. Darzu hat er ſich der gehoͤrigen mittel zu gebrauchen; zum forderſten eines ſtets anhaltenden gebets um den H. Geiſt/ den der HErr den betenden ver- heiſſen hat Luc. 11/ 13. daß ihm der vater denſelben gebe/ als den geiſt der weißheit und der offenbahrung zu ſein ſelbs erkaͤntnuͤß/ und erleuchtete au- gen des verſtaͤndnuͤſſes/ zu erkennen welches da ſeye die hoffnung unſers be- ruffs und welches ſeye der reichthum ſeines herrlichen erbes an ſeinen heili- gen. Eph. 1/ 17. 18. alſo daß er ihm den glauben/ auff den alles ankommet/ ſtaͤrcke. Luc. 17/ 6. Mit dieſer uͤbung hat er ſtets umzugehen/ damit ſich nie- derzulegen und wieder auffzuſtehen. §. XXIV. H 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/75>, abgerufen am 26.11.2024.