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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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ARTIC. III. SECTIO XXXVI.
mit solchem ruffen wollen wir anhalten/ wie ich von meiner seite solches auch
zusage/ und alsdenn mit kindlichem gehorsam erwarten/ wie unser liebste
Vater/ der je nichts verderbet/ alles ausschlagen lassen wolle. 1692.

SECTIO XXXVI.
Von der krafft des worts GOttes. Von vorge-
bender unsündlichkeit. Rath/ wie mit irrenden
umzugehen.

JCh habe aus dessen letztern mit nicht geringer bestürtzung und betrüb-
nüß verstanden/ wie es ihrigen orts stehe/ und daß die irrungen wei-
ter eingerissen seyn/ als man gemeinet hätte. Jch kenne der beyden
benennten studiosorum medicinae keinen/ erinnere mich auch wenig ihres
nahmens/ darbey hertzlich wünschende/ daß das übel nicht viele bereits er-
griffen habe und noch ergreiffe. Daß das göttliche wort keine mehrere
krafft habe/ als etwa eines andern menschen brieff/ da also nur eine virtus
moralis
dabey wäre/ so nichts mehr wirckete/ als was die rationes einen
menschen nach der vernunfft bewegen oder überzeugen/ ist offenbarlich dessen
zeugnüß entgegen: Paulus nennet Rom. 1/ 16. das Evangelium (daß
man nicht/ wo der nahme des worts stünde/ die ausflucht nehme/ von dem
wesentlichen worte Christo) eine krafft Gottes seelig zu machen. Er
schreibet ihm zu/ daß man durch die predigt vom glauben den H. Geist
empfange. Gal.
3/ 2. 5. So durch das exempel bey Petri predigt
Ap. Gesch. 10/ 44. bekräfftiget wird: So sagt er 1. Cor. 2/ 4. seine predigt
seye nicht gewesen in vernünfftigen reden menschlicher weißheit/ son-
dern in beweisung des Geistes und der krafft:
Die wir also nicht von
seinem worte ausschliessen dörffen. Und wie könte es anders seyn/ oder wie
könte diese thörichte predigt von Christo/ welche nichts in der vernunfft
findet/ welches derselben gemäß wäre/ so ein grosses theil der welt zu dessen
glauben bekehret/ und darmit zur verleugnung alles dessen/ was sie in der welt
hatten oder haben konten/ gebracht haben/ wo nicht eine solche krafft sich in
dem wort fände/ welche in die hertzen selbst lebendig eintringe/ und daselbst
wo ihm nicht widerstanden wird/ dasjenige wirckte/ was zu dem heyl und zu
der heiligung nöthig ist. Was die vorgebende ohnsündlichkeit anlangt/
achte ich/ daß sie aus unwissenheit des gesetzes und dessen schärffe/ wie es ein
geistlich gesetz ist herkoen müße. Hingegen halte ich wie fast unmüglich/ daß ei-
ner der bey verstand ist/ wo er erkennet/ was es seye/ GOtt von gantzem her-
tzen/ von gantzer seele/ allen kräfften und gantzem gemüthe zu lieben/ so dann

al-

ARTIC. III. SECTIO XXXVI.
mit ſolchem ruffen wollen wir anhalten/ wie ich von meiner ſeite ſolches auch
zuſage/ und alsdenn mit kindlichem gehorſam erwarten/ wie unſer liebſte
Vater/ der je nichts verderbet/ alles ausſchlagen laſſen wolle. 1692.

SECTIO XXXVI.
Von der krafft des worts GOttes. Von vorge-
bender unſuͤndlichkeit. Rath/ wie mit irrenden
umzugehen.

JCh habe aus deſſen letztern mit nicht geringer beſtuͤrtzung und betruͤb-
nuͤß verſtanden/ wie es ihrigen orts ſtehe/ und daß die irrungen wei-
ter eingeriſſen ſeyn/ als man gemeinet haͤtte. Jch kenne der beyden
benennten ſtudioſorum medicinæ keinen/ erinnere mich auch wenig ihres
nahmens/ darbey hertzlich wuͤnſchende/ daß das uͤbel nicht viele bereits er-
griffen habe und noch ergreiffe. Daß das goͤttliche wort keine mehrere
krafft habe/ als etwa eines andern menſchen brieff/ da alſo nur eine virtus
moralis
dabey waͤre/ ſo nichts mehr wirckete/ als was die rationes einen
menſchen nach der vernunfft bewegen oder uͤberzeugen/ iſt offenbarlich deſſen
zeugnuͤß entgegen: Paulus nennet Rom. 1/ 16. das Evangelium (daß
man nicht/ wo der nahme des worts ſtuͤnde/ die ausflucht nehme/ von dem
weſentlichen worte Chriſto) eine krafft Gottes ſeelig zu machen. Er
ſchreibet ihm zu/ daß man durch die predigt vom glauben den H. Geiſt
empfange. Gal.
3/ 2. 5. So durch das exempel bey Petri predigt
Ap. Geſch. 10/ 44. bekraͤfftiget wird: So ſagt er 1. Cor. 2/ 4. ſeine predigt
ſeye nicht geweſen in vernuͤnfftigen reden menſchlicher weißheit/ ſon-
dern in beweiſung des Geiſtes und der krafft:
Die wir alſo nicht von
ſeinem worte ausſchlieſſen doͤrffen. Und wie koͤnte es anders ſeyn/ oder wie
koͤnte dieſe thoͤrichte predigt von Chriſto/ welche nichts in der vernunfft
findet/ welches derſelben gemaͤß waͤre/ ſo ein groſſes theil der welt zu deſſen
glauben bekehret/ und darmit zur verleugnung alles deſſen/ was ſie in der welt
hatten oder haben konten/ gebracht haben/ wo nicht eine ſolche krafft ſich in
dem wort faͤnde/ welche in die hertzen ſelbſt lebendig eintringe/ und daſelbſt
wo ihm nicht widerſtanden wird/ dasjenige wirckte/ was zu dem heyl und zu
der heiligung noͤthig iſt. Was die vorgebende ohnſuͤndlichkeit anlangt/
achte ich/ daß ſie aus unwiſſenheit des geſetzes und deſſen ſchaͤrffe/ wie es ein
geiſtlich geſetz iſt herkoen muͤße. Hingegen halte ich wie faſt unmuͤglich/ daß ei-
ner der bey verſtand iſt/ wo er erkennet/ was es ſeye/ GOtt von gantzem her-
tzen/ von gantzer ſeele/ allen kraͤfften und gantzem gemuͤthe zu lieben/ ſo dann

al-
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[759/0775] ARTIC. III. SECTIO XXXVI. mit ſolchem ruffen wollen wir anhalten/ wie ich von meiner ſeite ſolches auch zuſage/ und alsdenn mit kindlichem gehorſam erwarten/ wie unſer liebſte Vater/ der je nichts verderbet/ alles ausſchlagen laſſen wolle. 1692. SECTIO XXXVI. Von der krafft des worts GOttes. Von vorge- bender unſuͤndlichkeit. Rath/ wie mit irrenden umzugehen. JCh habe aus deſſen letztern mit nicht geringer beſtuͤrtzung und betruͤb- nuͤß verſtanden/ wie es ihrigen orts ſtehe/ und daß die irrungen wei- ter eingeriſſen ſeyn/ als man gemeinet haͤtte. Jch kenne der beyden benennten ſtudioſorum medicinæ keinen/ erinnere mich auch wenig ihres nahmens/ darbey hertzlich wuͤnſchende/ daß das uͤbel nicht viele bereits er- griffen habe und noch ergreiffe. Daß das goͤttliche wort keine mehrere krafft habe/ als etwa eines andern menſchen brieff/ da alſo nur eine virtus moralis dabey waͤre/ ſo nichts mehr wirckete/ als was die rationes einen menſchen nach der vernunfft bewegen oder uͤberzeugen/ iſt offenbarlich deſſen zeugnuͤß entgegen: Paulus nennet Rom. 1/ 16. das Evangelium (daß man nicht/ wo der nahme des worts ſtuͤnde/ die ausflucht nehme/ von dem weſentlichen worte Chriſto) eine krafft Gottes ſeelig zu machen. Er ſchreibet ihm zu/ daß man durch die predigt vom glauben den H. Geiſt empfange. Gal. 3/ 2. 5. So durch das exempel bey Petri predigt Ap. Geſch. 10/ 44. bekraͤfftiget wird: So ſagt er 1. Cor. 2/ 4. ſeine predigt ſeye nicht geweſen in vernuͤnfftigen reden menſchlicher weißheit/ ſon- dern in beweiſung des Geiſtes und der krafft: Die wir alſo nicht von ſeinem worte ausſchlieſſen doͤrffen. Und wie koͤnte es anders ſeyn/ oder wie koͤnte dieſe thoͤrichte predigt von Chriſto/ welche nichts in der vernunfft findet/ welches derſelben gemaͤß waͤre/ ſo ein groſſes theil der welt zu deſſen glauben bekehret/ und darmit zur verleugnung alles deſſen/ was ſie in der welt hatten oder haben konten/ gebracht haben/ wo nicht eine ſolche krafft ſich in dem wort faͤnde/ welche in die hertzen ſelbſt lebendig eintringe/ und daſelbſt wo ihm nicht widerſtanden wird/ dasjenige wirckte/ was zu dem heyl und zu der heiligung noͤthig iſt. Was die vorgebende ohnſuͤndlichkeit anlangt/ achte ich/ daß ſie aus unwiſſenheit des geſetzes und deſſen ſchaͤrffe/ wie es ein geiſtlich geſetz iſt herkoen muͤße. Hingegen halte ich wie faſt unmuͤglich/ daß ei- ner der bey verſtand iſt/ wo er erkennet/ was es ſeye/ GOtt von gantzem her- tzen/ von gantzer ſeele/ allen kraͤfften und gantzem gemuͤthe zu lieben/ ſo dann al-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 759. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/775>, abgerufen am 22.11.2024.